Deutschland und Frankreich gingen aus der Spaltung des alten fränkischen Reiches hervor, aber ganz sicher nicht als Nationalstaaten. Warum Deutschland dann erst mit 1871, Frankreich aber mit 843 in Verbindung gebracht wird ist mir schleierhaft. Das ganze Mittelalter hindurch gab es keine europäischen Nationalstaaten, denn der Feudalismus und seine staatlichen Organisationen bedienen ausschließlich die dynastische Schiene. 'Nationales Empfinden' ist etwas ganz Anderes. Vor gut 100 Jahren hätten auch wenige Deutsche die USA als Nationalstaat angesehen. Das ist vielleicht auch der Hintergrund für die Fragestellung. Ich würde die Antworten in den letzten 200 Jahren suchen und mich nicht im Mittelalter verlieren. Frankreich war vorher ein Ständestaat und 'Deutschland' als HRR ein Staatenbund.
Meine persönliche Meinung:
Die USA haben sich förmlich gegründet als Interessenverband, der sich über demokratische Prinzipien definierte. Ein gefestigtes nationales Bewußtsein finde ich erst nach dem Bürgerkrieg, in dem die provinziellen Eigenheiten endgültig dem nationalen Interesse untergeordnet wurden.
Frankreich erlebte nach der absolutistischen Zeit des Ländersammelns, der sogenannten 'Reunion' des alten Galliens mit der Ostgrenze des Rheines mit der französischen Revolution eine gewaltige Umwälzung. Erst von da an wurde es ein Nationalstaat, in dem die 'nationalen Minderheiten' wie Bretonen, Korsen, Elsässer, Basken... sich in einer gemeinsamen Kraftanstrengung wirklich als ein Volk fühlen konnten. Das verwischte die alten kulturellen Unterschiede genauso wie die ständischen Profile. Allerdings war die 'nationale Selbstfindung' des Volkes schon vorher recht ausgeprägt.
Am Schwierigsten ist Deutschland. Vor 1871 gab es keinen Nationalstaat und Österreicher waren nicht eben glücklich damit 1866 aus dem Deutschen Bund herausgeworfen worden zu sein. Die ungelöste Nationalitätenfrage konnte noch von Hitler unrühmlich ausgespielt werden. Ein erstes deutliches nationales Erwachen in Deutschland finde ich während der Reformation und dem Bauernkrieg, die gegen die 'Deutsche Libertät' der Fürsten gerichtet war und den Einfluß Roms ausschalten wollte. Kulturell durch die Übersetzung der Bibel ins Deutsche, deutsche Messen und dem nun allgemein gebräuchlichen Deutsch in großen Teilen des öffentlichen Schriftverkehrs abzulesen. Die Bauern wurden niedergeworfen, der lutherische Glaube hat Deutschland nicht geeint, sondern gespalten... 30jähriger Krieg... Die Entwicklungen liefen in den fürstlichen Territorien von nun an prinzipiell weit anders, so dass keine Einheit möglich war. Wenn Überhaupt hatte sich das deutsche Volk nur als eine 'Kultur' definiert.
Erst die Befreiungskriege gegen Napoleon bewirkten ein allgemeines deutsches Bewußstsein, wieder genährt von Kulturschaffenden (Literaten, Demokraten, Maler...), das unerfüllt in der gescheiterten Revolution von 1848/49 zum Ausbruch kam. Als Nützlich wurde die geistige Bewegung im Machtpoker alter Prägung zwischen den Dynastien 1866 militärisch entschieden und in neuer patriotischer Aufwallung 1871 vollendet.
Kurz gesagt würde ich die drei Staaten so definieren:
Die USA definierten sich über eine bewusste, damals völlig neue politische Lebensform als 'Neue Welt' über eine Verfassung und ein Sendungsbewusstsein. Staatsbürger wird man wenn man in den USA geboren ist, sowie über eine bewusste Entscheidung (Einbürgerung). Die Abstammung spielte lange keine nennenswerte Rolle.
Frankreich, gefestigt durch jahrhunderte alte dynastische Einheit und weitgehend auch der Sprache formte sich selbst aus einer bewußten Volksentscheidung der Revolution heraus. Es gibt wenig Anforderungen kultureller Art, sondern die bewusste Entscheidung des Einzelnen sind Hauptpunkte dafür ein Franzose zu werden oder zu sein - zumindest war es lange so...
Deutschland wuchs aus einer gemeinsamen sprachlichen und kulturellen Tradition heraus nicht zum Nationalstaat. Lange war es nur eine Art von schwammiger Kulturnation, die in gewissen Abständen immer einmal die Gemeinsamkeit beschwor. Geformt wurde es letztlich zum Nationalstaat durch dynastischem Willen, dem aber der sprachlich/kulturelle Hintergrund bewusst blieb. Das spiegelt sich in unserem alten Staatsbürgerschaftsrecht wieder: Deutscher wird man in erster Linie durch Abstammung, egal ob die Vorfahren über Jahrhunderte weit entfernt gelebt haben (z.B. Russlanddeutsche) und erst in zweiter Linie durch Einbürgerung, womit wir uns immer noch schwer tun...