Man kann weder das eine noch das andere beweisen, Caecilia. Ob es Jesus von Nazareth wirklich gegeben hat, ist momentan einfach eine Glaubensfrage.
Das stimmt nicht ganz, es ist auch eine Methodenfrage. Man muss ja auch die Frage beantworten, warum niemand (bis auf Illig) an der Existenz von Harald Schönhaar zweifelt, obgleich zwischen ihm und den schriftlichen Nachrichten über ihn ein viel längerer Zeitraum liegt als zwischen Jesus und den Evangelien. Außerdem muss begründet werden, warum die Evangelien und Paulus in Bezug auf die Existenz der Person, über die sie berichten, unglaubwürdig sein sollen, Snorri aber nicht. Beide sind parteiisch, die einen in Bezug auf die Religion, Snorri in Bezug auf die Legitimation seines zeitgenössischen Königs, dem er eine stattliche Ahnentafel andichtet, wobei man heute die Dichtung bei dem Großvater Haralds und von ihm in die graue Vorzeit beginnen lässt. Regis Boyer verwirft beispielsweise die Grausamkeiten der Wikinger, weil über sie ausschließlich von den angeblichen Opfern, insbesondere den Klosterannalen berichtet werde. Ich habe schon früher darauf hingewiesen, dass mit diesem Argument niemand wagen würde, die Berichte von Holocaust-Überlebenden anzuzweifeln.
Es stellt sich dann die sehr grundsätzliche Frage, was die Geschichtswissenschaft eigentlich erzeugt. Ist es eine Wirklichkeit, die in der Vergangenheit tatsächlich so angesiedelt ist? Also eine echte Rekonstruktion früherer Vorgänge? Oder ist es eine Neukonstruktion aus den Überlieferungsstücken, die umso "wahrer" ist, je widerspruchsloser sie die überlieferten Mosaiksteine in einen plausiblen Zusammenhang bringt? Für letzteres spricht jedenfalls, dass man für die nur archäologisch fassbaren Frühkulturen ethnologische Erkenntnisse rezenter Kulturen ähnlicher Entwicklungsstufe heranzieht. Dies erzeugt nicht Wahrheit (in der Hallstattzeit kann's ja ganz anders gewesen sein), sondern Plausibilität. Deshalb ist das hyperkritische Verwerfen von Quellen so problematisch: Man hat anschließend eben nichts mehr, und die Gefahr besteht (und ihr ist Boyer in hohem Maße erlegen), dass man anschließend diese Lücke mit eigener Phantasie füllt, die sich an den Ergebnissen der rezenten Sozialwissenschaften orientiert. Gerade bei Quellen, die von parteiischen Verfassern stammen, wird oft leichthin postuliert, dass die Darstellung der "Wirklichkeit" umso "wahrer" sei, je weiter sie sich von der Quellenaussage entferne. Es wurde schon von Argrivarier angemahnt: "... auch die Quellenkritik muss sich einer Kritik unterwerfen lassen. Schon gar einer Quellenkritik." Und da zeigt sich, dass das vollständige Beiseiteschieben alter Texte regelmäßig noch parteiischer ist, als der Text selbst (es sei denn, es geht um die Fälschung einer alten Urkunde). Und da gilt mein alter Spruch: Das Märchen von Hänsel und Gretel ist eine zuverlässige Quelle dafür, dass es zu seiner Entstehungszeit Lebkuchen gegeben hat. Denn diese pauschale Vorgehensweise leugnet in meinem Beispiel von Hänsel und Gretel auch gleich den Lebkuchen mit. Das kann nur den Grund haben, dass man von vornherein an diese Geschichte mit dem Vorsatz herangeht, dass sie nichts belegen kann, also schon bevor man den ersten Satz gelesen hat.
Erst in allerneuester Zeit beginnt man den Quellenwert der Heiligenviten und Translationsberichte, die mit Wundern aller Art angefüllt sind, als historische Quelle richtig zu würdigen.
Ein starkes Indiz für die Geschichtlichkeit Jesu ist immerhin, dass Paulus von dessen Geschichtlichkeit fest überzeugt ist; denn niemand lässt sich für das Festklammern an einer selbsterfundenen Geschichte hinrichten, wenn er noch alle Sinne beisammen hat (und das wird man Paulus wohl nicht absprechen). Auch andere Zeitgenossen haben sich lieber hinrichten lassen, als die geschichtliche Existenz zu leugnen. Die können nicht alle psychisch gestört gewesen sein. Was aber über diesen Mann erzählt wird, unterliegt der Prüfung der Quellenkritik. Und da stellt sich die Frage: Was wollte der Evangelist mit dieser oder jener Passage zum Ausdruck bringen oder beim Leser erreichen? Diese Frage wird auch bei Gregor von Tours oder bei Snorri gestellt.