Du brauchst hier nicht mit deinen Nord-Ostfranken oder Spätburgundern zu kommen.
Es wird ja wohl erlaubt sein zurückzufragen, auf welche Gesellschaften germanischer Stämme bzw. Reichsbildungen Du Dich beziehst.
Anm.: Ich habe weder etwas von
Nord-Ostfranken noch von
Spätburgundern geschrieben - und auch dazu überhaupt nichts ausgeführt. Und apropos
Spätburgunder: wir können auch gern über Weinsorten sprechen, aber das gehört wohl eher in den Bereich
Smalltalk...
Eine archaische Gesellschaft ist eine Gesellschaft, in der noch die alte Sippenstruktur das Gemeinwesen bestimmt.
Hat niemand bestritten; dennoch danke für die Erklärung.
Ich meine beispielsweise die Friesen, die sich vom 7. bis 9. Jahrhundert nur widerwillig missionieren ließen. Bei ihnen hatten die uralten Bräuche der Blutsverwandschaft überdauert (die übrigens mangels einer eigenen Schrift auch nur mündlich weitergetragen wurden).
Hat ebenfalls niemand bestritten.
Ich möchte dabei aber darauf hinweisen, daß das Aufgreifen einzelner Beispiele wie Friesen oder auch Sachsen nicht zwangsläufig allgemein verbindlich für
die Gesellschaft im Frühmittelalter ist - v.a. auch wenn wir bedenken, daß sie noch inmitten des Frühmittelalters (nämlich um 800 bzw. in den Jahren kurz danach) ins Frankenreich integriert wurden.
Aber bleiben wir dennoch kurz bei den Friesen: die uralten Bräuche der Blutsverwandtschaft, die mündlich weitergegeben wurden, interessieren mich. Du bist bitte so freundlich, sie mir kurz zu nennen, da ich dazu auf die Schnelle nichts finden konnte.
(Unde usque hodie gens Saxonica triformi genere ac lege preter conditionem servilem dividitur (Wid. I, 14).
Widukind beschreibt hier eine Standestrennung zwischen Adel und Freien nach Abstammung und Gesetz, die sich bei den Franken so nicht beobachten läßt.
Zu dieser rechtlichen Trennung gehörten wohl die Ehehindernisse, die Rudolf von Fulda in der Translatio S. Alexandri (863) erwähnt:
Et id legibus firmatum, ut ulla pars in copulandis coniugiis propriae sortis terminos transferat, sed nobilis nobilem ducat uxorem, et liber liberam, libertus coniungatur libertae, et servus ancillae (Translatio S. Alex. c. 1; 13, 675).
Auch dies hat niemand bestritten, wiewohl grundsätzlich anzumerken ist, daß sich bei allen germanischen Stämmen infolge sozialer Differenzierung eine aristokratische Führungsschicht herausgebildet hatte - wenn auch von Stamm zu Stamm unterschiedlich ausgeprägt.
Im Übrigen hast Du mir zwar jetzt einige Erklärungen geliefert, daß ich die Punkte 1 und 2 beantwortet sehen kann, aber trotzdem noch immer keine endgültig Begründung für die von mir genannten Punkte 3 und 4 bzw. die eindeutigen Belege, um die ich gebeten hatte. Wenn die o.g. Bräuche der Blutsverwandtschaft gemeint sind, müßtest Du eben an der Stelle konkret werden.
Ich kann dir folgende Literatur dazu empfehlen:
M. Last, Die Sozialordnung der Sachsen nach den Schrift-Quellen, in C. Ahrens (Hg.), Sachsen und Angelsachsen, 1978
G. v. Olberg, Aspekte der rechtlich-sozialen Stellung der Frauen in den frühmittelalterlichen Leges, in: W. Affoldt (Hg.), Frauen in Spätantike und Frühmittelalter (1990)
Dies., Die Bezeichnungen für soziale Stände, Schichten und Gruppen in den Leges Barbarorum (1991)
H. Park, Die Stände der Lex Saxonum, in: Concilium medii aevi 2 (1999)
Ich konnte leider nicht alle sofort nachschlagen, aber soweit ich es überblicken kann, geht es auf unser Thema bezogen auch dort stets um das
mundium, welches nach älterem germanischem (Gewohnheits-)Recht zu zahlen war, damit der Mann das Recht auf die Heimführung der Braut und das eheliche Beilager erwarb.
Anm.: Der Herr
Affoldt nennt sich übrigens
Affeldt, aber das war sicher nur ein Tippfehler...
Was die "archaische" Zeit betrifft, so schien dem allgemein geschätzten "Meyer" (Bd. 10, S. 393) vor 100 Jahren die Sache klar:
Jus primae noctis (lat., »Recht der ersten Nacht«, Herrenrecht, Droit de seigneur, Droit de culage, Droit de prélibation), das Recht des Gutsherrn, bei der Verheiratung seiner weiblichen Hörigen ihnen zuerst in der Brautnacht beizuwohnen. Obwohl viel bestritten von der Wissenschaft (vgl. besonders K. Schmidt, Das Jus primae noctis, Freiburg 1881), läßt sich das J. doch nachweisen. Es wird uns bezeugt aus alter Zeit von den Adyrmachiden, den Kephalenen, später von den Germanen, Schotten, Iren und Basken, aus neuester Zeit von südamerikanischen Stämmen und von den Völkern des Morgenlandes, von Eskimos, dem australischen Stamme der Wa Teita und von den Australnegern, also aus allen Zeiten und allen Ländern. [...] Wie die Stammesgenossen, so haben später die Häupter des Stammes unbefangen den Töchtern ihres Stammes beigewohnt, und erst das Christentum hat allmählich mit dieser völlig begreiflichen Gewohnheit nach und nach aufzuräumen vermocht...
Zwar finde ich es auch interessant, daß "Meyer" die Sache vor etwa 100 Jahren so klar schien, aber das hilft uns nun hierbei nur bedingt weiter. Schließlich hat sich gerade bzgl. populärer Geschichtsmythen und - irrtümer in den letzten Jahrzehnten einiges bewegt.
Aber sei's drum...
Nur soviel: hier werden verschiedene Phänomene miteinander vermischt, die zwar miteinander darin konvergieren, daß es eben um die erste Nacht i.S.v. Defloration geht, jedoch ein unterschiedliches Motiv haben. Das
ius primae noctis - egal, wie man es nun sieht - steht eben als ein Herrenrecht i.S.v. Macht über andere, die genannten Beispiele vorchristlicher Zeit bzw. außereuropäischer Kulturen stehen im Kontext der sog. rituellen Defloration, wonach dies nur mächtigen Männern - eben Stammesoberhäupter u.dgl. - gefahrlos möglich ist (Stichwort: Angst vor Blut des ersten Verkehrs, das als schädlich angesehen wurde) oder von diesen i.S.v. Initiation des Überganges der Jungfrau zur Frau auszuüben war.
Es ist also im jeweiligen kulturellen Kontext durchaus erklärbar, nur sind Vermischungen ähnlicher Phänomene fatal - v.a. wie hier, wo sie eben durchaus unterschiedlichen Hintergrund haben.
... Als Überbleibsel hiervon ragte dann noch lange in die Zeit höherer oder sagen wir offen mit einem gewissen Beigeschmack »verfeinerter« sittlicher Auffassung der Geschlechtsgemeinschaft der sogen. Jungfernzins herein, d. h. eine Abgabe, die der Ehemann dem Grundherrn dafür geben mußte, daß dieser einstmals das Recht hatte, die Blüte seiner weiblichen Hörigen, falls ihm beliebte, zu pflücken. Vgl. Wilutzky, Vorgeschichte des Rechts (Bresl. 1902–03, 3 Tle.).
Der zuletzt angedeutete finanzielle Aspekt kam ggf. der Kirche zugute: Im Mittelalter bestand (nach Sägmüller, Kirchenrecht, Bd. 2, S. 134. f. unter Verweis auf K. Schmidt) da oder dort ein Gebot der Enthaltsamkeit in den ersten drei Nächsten (Tobiasnächte). Wollten die Gatten hiervon frei sein (jus primae noctis), so hatten sie eine Taxe zu erlegen
Dieses Enthaltsamkeitsgebot wiederum muss nicht zwangsläufig aus kirchlichen Quellen resultieren: Auch im insoweit unverdächtigen Kamasutra wird eine entsprechende Empfehlung gegeben (
Kamasutra, III,2)! Manchmal allerdings vermischen sich zuweilen Tobiasnacht und Herrenrecht in der Überlieferung (z. B. in
Urlaub in der Belgischen Eifel bei Familie Rauw).
Hier werden aber in der Tat
Tobiasnächte,
ius primae noctis und
mundium (Ablösesumme bzw. Auslösesumme für die Braut) miteinander vermengt...
Selbst Wettlaufer - von mir an der Stelle jetzt als Beispiel genannt, weil hier schon mehrfach angesprochen - zeigt dabei auf, daß zum einen zwischen
Tobiasnächten und
ius primae noctis zu differenzieren ist und zum anderen die Betonung auf die Heiratsabgaben zu setzen ist.
Am konkreten Beispiel hatte ich die eigentliche Bedeutung - Ablösesumme bzw. Auslösesumme für die Braut - ja bereits aufzuzeigen versucht:
http://www.geschichtsforum.de/326142-post13.html
Der erwähnte Wettlaufer macht im Hauptteil seiner Arbeit deutlich, dass der Topos "Herrenrecht" tatsächlich im Mittelalter entstand. Er stellt ihn in den "Kontext der bizarren Gewohnheitsrechte", was bedeutet, dass man nach einer förmlichen Rechtsgrundlage vergeblich suchen wird. (Gewohnheitsrecht nahm damals freilich einen ungleich höheren Stellenwert ein als heute.)
Er differenziert dabei allerdings schon zwischen Herrenrechten i.S.v. Gewohnheitsrechten und einem verbrieften
ius primae noctis.
Und daß es auch bei Wettlaufer eher beim Versuch der Verdeutlichung geblieben ist, hatten wir auch schon:
http://www.geschichtsforum.de/326273-post18.html