@ El Quijote
Die Theorie von Carnap-Bornheim ist durchaus denkbar, zumindest was einen Teil der Fundstücke von Kalkriese betrifft. Insbesondere denke ich da an die Gesichtsmaske, die, das beweist das Entfernen der Silberoberfläche, bereits im Besitz der Germanen war, bevor sie für 2000 Jahre im Boden verschwand. Auch die Denarhorte könnten darin ihre Begründung finden.
Andere Fundobjekte erscheinen dagegen als zu profan, um kultische Weihegaben zu sein. Besonders das Maultier scheint tatsächlich während der Kampfhandlungen vom Wall verschüttet worden zu sein, da es noch Trense und Glocke wie ursprünglich trug.
Wie gesagt, ich sehe in den beiden Erklärungen, d.h. in den übersehenden Objekten einerseits und den Weihegaben andererseits keinen Widerspruch. Sie können beide gleichzeitig zutreffen.
Die Gewaltexzesse an den Überlebenden des Varusheeres, die offensichtlich von Augenzeugen überliefert wurden, werden bei den Germanen durchaus auch religiös motiviert gewesen sein.
Insgesamt werden jene Römer, die sich 9 n.Chr. nicht rechtzeitig zum Rhein retten konnten, und damit meine ich sowohl Militär als auch Zivilisten, ein Schicksal zwischen Tod und Sklaverei erlitten haben.
Auch, dass Germanicus aus der Wallstatt später eine römische Weihestätte schuf, indem er als Ehrerweisung an die gefallenen Legionäre einen Tumulus errichtete, ist nachvollziehbar.
Im Großen und Ganzen wird Germanicus während seiner Feldzüge etliche einstmals römische Plätze vorgefunden haben, die die Spuren von Verwüstung trugen. Ich hatte bereits geschrieben, dass in Waldgirmes, das offensichtlich von den Bewohnern rechtzeitig verlassen wurde, Trümmerschutt in den Gräben entdeckt wurde. Diese Aufräumarbeiten können wohl dem Germanicus während seines Chattenfeldzuges zugeschrieben werden.
Nehmen wir einmal an, das Ereignis von Kalkriese habe sich tatsächlich im Herbst des Jahres 9 zugetragen. So bliebe neben dem Heer des Varus noch die Möglichkeit, dass es das Heer des Asprenas war, das in die Kampfhandlungen von Kalkriese verwickelt wurde.
Nach V. Paterculus führte dieser sein Zweilegionenheer (Legio I und Legio V) erfolgreich in das untere Winterlager am Rhein (Vetera) zurück. Im Gegensatz zu Varus kann deshalb seine Zugrichtung gen Westen als gesichert gelten. Asprenas kann auf seinem Rückzug wohl kaum die Lippe entlang gezogen sein, da er sonst die eingeschlossene Besatzung von Aliso rechtzeitig geborgen hätte. Es ist deshalb durchaus möglich, dass er den anderen Weg, d.h. den Hellweg vor dem Sandforde, wählte und bei Kalkriese die von den Germanen besetzte Engstelle passieren musste.
Nach den Aussagen von Wilbers-Rost wird die römische Stärke des in Kalkriese beteiligten
römischen Heeres mit 10 000 bis 12 000 Kombattanten geschätzt. Das entspräche etwa zwei Legionen der augusteischen Zeit. Auch ist anzunehmen, dass zahlreiche Zivilisten versuchten, im Schutze dieses Heeres den Rhein zu erreichen. Die Aufgabelung westlich des Passes könnte die Bewegungsrichtung der beiden Legionen widerspiegeln. Der Durchbruch gelang unter verhältnismäßig geringen Verlusten, deren Überreste Germanicus sechs Jahre später in Gruben verbergen ließ.
Diese Theorie ist zugegebenermaßen wissenschaftlich ebenso wenig belegbar, wie jene der Varuschlacht bei Kalkriese. Allerdings verweist die entdeckte vermutliche Legionskennung, wenn auch mit den erwähnten Einsprüchen, eher auf eine der Asprenaslegionen.
Wie auch immer, eine Datierung des Fundplatzes Kalkriese in das Jahr 9, die Anwesenheit einer ersten Kohorte sowie die nachträglich angelegten Knochengruben sind keineswegs unumstößliche Belege für die Varusschlacht.
Erweitert man aus numismatischer Sicht den zeitlichen Rahmen bis zum Jahr 15, so treten weitere Möglichkeiten hinzu. Aus diesem Grunde lehne ich es ab, nach heutigem Erkenntnisstand das Ereignis von Kalkriese mit der Varusschlacht gleichzusetzen.
Gruß Cato