Kleideten sich Nonnen im Frühmittelalter farbenfroher als später?

Dion

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In dem Buch „Femina“ schriebt die Autorin an einer Stelle, dass die Nonnen des 8. Jahrhunderts „farbenfrohe Gewänder [trugen, die] in einem scharfen Gegensatz zu den schlichten Habiten der Nonnen aus dem späteren Mittelalter standen.“

Da sie dazu keine Quellenangabe macht, scheint das allgemein bekannt zu sein – nur ich habe dazu nichts gefunden. Weiß jemand in diesem Forum darüber mehr?
 
Die Kleidung der Nonnen, aber auch die von männlichen Klerikern waren ein wichtiges Thema im 8. Jahrhundert und wurden vor allem von angelsächsischen Autoren diskutiert. Es handelt sich um Beschwerden, d.h. ein Kleriker ist mit der aktuellen Farbenpracht der Nonnen nicht einverstanden.

Leicht reißerisch wurden Aldhelms Maßregelungen an die Nonnen 1300 Jahre später von der britischen Presse zitiert:
https://www.dailymail.co.uk/news/ar...rs-ago-shows-church-concerns-Essex-girls.html
 
Das von Ihnen angeführte "Buch" ist keine Quelle sondern ein Roman. Alleine der Titel sollte Ihnen zur Intention der Verfasserin genügend Aufschluss geben. Wüsste nicht wie man derartiges in seriösem geschichtlichen Kontext diskutieren könnte. Realistisch betrachtet ist das Humbug (und vermutlich deshalb von der Autorin nicht mit Quelle versehen).
 
Der Aldhelm-Text ist schwierig zu lesen (MGH Scriptores, Auctores Antiquissimi 15); ohne also den Text verstanden, geschweige den vollständig gelesen zu haben, wage ich mal folgende Prognose: Es war nicht der Habit der Nonnen, der bunter war, als wir das heute kennen, sondern dass die Nonnen laut Aldhelmus sich entgegen ihres Keuschheitsgelübdes (man muss sich auch vergegenwärtigen, dass junge, adelige Damen nicht immer ganz freiwillig im Kloster waren), bunt (und aufreizend) kleideten.
Da es sich um ein Lehrwerk handelt, ist wiederum in Frage zu stellen, inwieweit das Problem tatsächlich bestand. Dafür spräche, dass es vermutlich einen wahrgenommenen Missstand gab, der Aldhelmus zum Handeln veranlasste. Auf der anderen Seite sind Exempla nicht immer die besten Quellen, sondern eher Anekdötchen. Aber, wie gesagt, es ist nur eine Prognose.
 
Man kann die Einlassungen Aldhelm von Malmesburys als kirchlichen Sexismus rezipieren, der sicherlich eine Rolle spielt, man sollte sie aber auch in die endlose Litanei von kritischen Äußerungen über den Lebenswandel im Klerus und in den Ordensgemeinschaften einsortieren, die das gesamte Mittelalter über mit schöner Regelmäßigkeit auftauchen. Schweiger präsentiert z.B. in 'Mönchtum, Orden, Klöster' einen ganzen Stoß Traktate, die im ersten normannischen Jahrhundert in England entstanden (und daher wohl auch politisch motiviert waren), in denen u.a. davon die Rede ist, dass sich die (normannischen) Mönche wie "Edelleute" und Nonnen wie ihre "Kebsweiber" in teure Tuche und Pelze gekleidet hätten.
 
Aldhelm geht es nicht nur um die violette Seidenkleidung der Nonnen, sondern auch um die dekadenten Frisuren. Die Nonnen würden sich mit heißen Eisenstäben die Locken legen.

Die Ausführungen Aldhelms erscheinen im ersten Moment übertrieben, aber Reliquien aus dem französischen Chelles scheinen seine Polemik teilweise zu bestätigen. Es handelt sich um die Reliquien der Äbtissinnen Bertild und Bathild. Vom ikonischen Schwarzweiß späterer Jahrhunderte fehlt jede Spur. Es handelt sich um knallbunte Seidengewebe und mit Seide besticktes Leinen. Besonders dekadent ist der erhaltene Zopf der heiligen Bathild. Ihr Haar war rot gefärbt und zusätzlich mit bunten Seidenfäden und Goldfäden durchwirkt.
Beide Äbtissinnen waren adeliger Herkunft, Bathild sogar eine verwitwete Königin.

Sicherlich wird das Thema später zum Topos, aber auch dieser Topos muss ja irgendwann enstanden sein.
Die Gesellschaft im 8. Jahrhundert war nur oberflächlich christianisiert war und das galt insbesondere für den angelsächsischen und fränkischen Adel. Die Benediktinerregel konkurrierte mit der Columbanregel, aber letztlich gab es innerhalb der Kirche noch nicht die Machtstrukturen, um solche Regeln wirklich durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund erscheint es nur logisch, dass sich Nonnen praktisch so anziehen konnten, wie sie wollten. Da sie sich ohnehin mit Stickereien u.a. beschäftigten und sie wegen ihrer adeligen Herkunft auch noch stinkreich waren, gab es da praktisch auch keine Grenzen.
 
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Es handelt sich um die Reliquien der Äbtissinnen Bertild und Bathild. Vom ikonischen Schwarzweiß späterer Jahrhunderte fehlt jede Spur. Es handelt sich um knallbunte Seidengewebe und mit Seide besticktes Leinen. Besonders dekadent ist der erhaltene Zopf der heiligen Bathild. Ihr Haar war rot gefärbt und zusätzlich mit bunten Seidenfäden und Goldfäden durchwirkt.
Beide Äbtissinnen waren adeliger Herkunft, Bathild sogar eine verwitwete Königin.
interessantes zur Inszenierung von "heiligen Königinnen" der Merwowingerzeit:
https://www.academia.edu/27810546/Die_Gewandreliquie_der_heiligen_Bathilde_Überlegungen_zu_ihrem_Bildstatus_und_Funktionskontext
(der "spektakuläre" Zopf der Balthild ist mir neu, wo finde ich darüber Literatur?)
 
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Kannst du zitieren, wer diese Gewänder trug?
Nein, kann ich nicht. Der Satz steht in einem Kapitel mit der Überschrift: Entscheidungsträgerinnen.

Es wurde nach einem Ort gesucht, wo eine Königin „Cynethryth, eine der einflussreichen Frauen des 8. Jahrhundert, Äbtissin eines Klosters irgendwo am Fluss an der umstrittenen Grenze zwischen den Königreichen Mercia und Wessex gewesen sein“ soll.

Diesen Ort meint man 2021 in Cookham, Berkshire, England gefunden zu haben – hier ein Artikel dazu, geschrieben vom Historiker Ian Randall: https://www.dailymail.co.uk/science...astery-1-200-years-near-Berkshire-church.html

Bei den Ausgrabungen hat man u.a. eine Kleidernadel gefunden, und in diesem Zusammenhang fiel der im ersten Beitrag zitierte Satz über die bunte Kleidung der Nonnen jener Zeit.
 
Es geht also um die Führungsschicht. Wasser predigen, Wein trinken. Denn vorgeschrieben war andere Kleidung.

Oder gibt es andere Zusammenfassungen?
 
Ein Gegenbeispiel für eine sittsame Nonne:
In der Vita des Heiligen Bonfatius heißt es, dass Bonifatius der Heiligen Lioba seine Kukulle übergab, bevor er zur Friesenmission aufbrach. Lioba trug fortan die Äbtissin diese Kutte und übernahm somit symbolisch das Erbe des Missionars. Diese Äbtissin trug also laut Legende die Kleidung eines Mannes auf.
 
Möglicherweise finden wir im Regelbuch des Niedermünsters in Regensburg Antworten.
bavarikon
Im Scan 120 ist Uta von Kirchberg, Äbtissin im Niedermünster, abgebildet. Falls Uta tatsächlich diese Kleider trug, entsprächen sie den Regeln des Caesarius von Arles, die in diesem Buch enthalten sind? Er schrieb nämlich in der Regula ad virgines:
Omnia vero indumenta simplici tantum et honesto colore habeant, nunquam nigra, non lucida, sed tantum laia vel lactina.
Siehe Scan 157 (XLIII)
Er hielt also schwarz für nicht richtig. Trotzdem finde ich, diese Regel lässt Spielraum für Farben, wenn auch nur "honesto" und nicht "lucida". Fragt sich nun, wie man die Farben in Utas Habit interpretieren will.

Jedenfalls weist das Regelbuch darauf hin, dass den Nonnen im 10. Jh. die Regeln des Caesarius aus dem 6. Jh. noch oder wieder wichtig waren und vielleicht, wie sie seine farblichen Vorgaben umsetzten. Sie hätten auch die Regeln des Donatus von Besançon aus dem 7. Jh. kopieren können, der auch "laia et lactina" als einzig erlaubte helle Farbe deklariert, das Verbot für Schwarz jedoch aufweicht und mMn durch das explizite Erwähnen von Purpur und Biberfell anderes offen lässt.

Moneo specialus, ut vestimenta lucida, vel cum purpura, vel bebrina nunquam in usu habeatis, nisi tantum laia et lactina.
Plumaria ornamenta et omne polyritum nunquam in monasterio fiant: nec ulla tinctura, nisi nigra tantum, si necessitas fuerit,

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Gibt es neue Erkenntnisse, was mit "laia vel lactina" gemeint war? Ich las für "laia" unterschiedliche Interpretationen von steingrau bis leinenfarben. Eine helle Farbe wird es wohl gewesen sein und "lactina" wahrscheinlich milchweiß.
 
Zu beachten ist, jedenfalls, dass Uta von Kirchberg bereits im 11. Jahrhundert wirkte. Zwischenzeitlich hatte sich einiges getan, etwa die Cluniazensische Reform.
Letztlich haben die Kirchenreformer von Cluny aber das Rad nicht neu erfunden, sondern nur die strengere Anwendung der bereits im 6. Jahrhundert entstandenen Benediktiner-Regel gefordert und durchgesetzt. (Im Grunde wollte Aldhelm Anfang des 8. Jahrhundert auch nichts anderes.)

Ein weitere farbige Abbildung einer hochadeligen Äbtissin ist auf dem Otto-Mathilden-Kreuz in einer Emaille-Arbeit überliefert. Mathilde, Äbtissin von Essen, trägt hier ein gemustertes Kleidungsstück. Es wird als persische Seide gedeutet und ähnelt stark dem Mantel ihres Bruders Herzog Otto. Echtes tyrisches Purpur konnte tatsächlich derart dunkel-violett sein. (Ein vergleichbar prunkvolles Textil ist der königliche Sternenmantel Heinrichs II.) Die Grundfarbe würde ich als Purpur deuten, darauf sind rot- gelbe Blümchen-Applikationen. Ihr Schleier ist hingegen blau.
 
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