hatl
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Pakistan und das nukleare Asien 1974-1976
Benazir Bhutto hat 1988, in dem Jahr als sie erstmals Ministerpräsidentin von Pakistan wurde, eine Autobiografie veröffentlicht. 1)
Darin beschreibt sie, in durchaus empörter Tonlage, eine Auseinandersetzung im Jahre 1976 zwischen ihrem Vater, dem dann amtierenden Premier, und Henry Kissinger.
Ich folge einfach mal ihrer Darstellung ab Seite 86. Es sei so gewesen, dass ihr Vater entschlossen gewesen sei ein französisches Angebot für den Kauf einer nuklearen Aufbereitungsanlage* wahrzunehmen. Die US-Regierung habe offensichtlich dieses Geschäft ausschließlich unter dem Aspekt der Möglichkeit die Atombombe zu bauen („only in terms of its potential to produce a nuclear device“) gesehen.
Ja, Kissinger habe gar ihrem Vater recht unverhohlen mit einem schrecklichen Schicksal gedroht.
(„Reconsider the agreement with France or risk beeing made into a ‚horrible example‘ “)
Und das alles sei geschehen, während einer Zeit als die Ölpreise („skyrocketing“) sprunghaft infolge der Ölkrise stiegen, und selbst die robusten Wirtschaften des Westen beeinträchtigten, wie sie mit Bitterkeit anmerkt.
(Ihr Vater wurde drei Jahre später von dem nun regierenden Militärdiktator ermordet.
Sie selbst fiel Ende 2007 einem politischen Attentat zum Opfer, als sie sich für eine dritte Amtszeit als Ministerpräsidentin bewarb.)
Autobiografien sind ja stets eine wacklige Sache, insbesondere wenn sie eine Deutung des Geschehenen darstellen. Es wird nicht einfach sein zu glauben, dass diese intelligente Frau die beschriebenen Geschehnisse nicht vor dem Hintergrund der nuklearen Proliferation deuten konnte.
Denn 1974 hatte das verfeindete Indien eine nukleare Explosion bewerkstelligt.
Kleiner als die „Hiroshima-Bombe“, aber durchaus eine funktionierende Atombombe, wurde diese drohende Demonstration der eigenen Fähigkeit in den fadenscheinigen Schleier einer sogenannten PNE „peaceful nuclear explosion“2) gekleidet.
Es war eine Pu-Bombe und das Pu entstammte eben einer solchen „reprocessing“-Anlage, wie sie Bhutto nun erwerben wollte.
Die USA jedenfalls scheinen nun wachsamer gegenüber einer gefährlichen Schwachstelle im ohnehin schwierigen Nichtverbreitungsmanagement. 3)
Und sie intervenieren gegen den Verkauf von „reprocessing“ (Wiederaufbereitung) im Folgejahr erfolgreich in Südkorea. Kissinger argumentiert, Pu aus zivilen Kraftwerken könne für Atombombenbau verwendet werden. Der Erwerb von Anlagen für die Pu-Gewinnung seien daher ein Schritt zur Bombe der verhindert werden müsse . 4)
Auch in Taiwan intervenieren die USA aus diesem Grund hartnäckig gegen den Erwerb von Aufbereitungsanlagen zu eben dieser Zeit. 5)
Das ist so ungefähr die Lage.
Taiwan fühlt sich bedroht durch die Volksrepublik China, Südkorea durch China und die UDSSR, und Pakistan durch Indien.
Alle drei streben nach Atomwaffen. Alle drei haben eine nennenswerte Abhängigkeit von den USA.
Letztere fürchten begründet die Verbreitung von Atomwaffen, insbesondere in einer spannungsreichen und instabilen Region und machen ihren Einfluss nach Kräften geltend.
(Die Europäer, allen voran Frankreich und Deutschland, denken der weilen bevorzugt an das Exportgeschäft.
..und an die eigenen nuklearen Fähigkeiten.)
Die Geschichte wird für Pakistan einen zweiten Weg zur Atombombe bereithalten.
Während das oben beschriebene stattfindet bricht sich in Europa eine neue Technik der Urananreicherung die Bahn.
* Aufbereitungsanlage (reprocessing plant): In einem Uranreaktor entsteht Plutonium (Pu). Dieses ist ebenso spaltbar wie Uran und kann daher zur Energiefreisetzung genutzt werden.
Das kann in einem Kraftwerk geschehen, in dem man das Plutonium dem Uran beimischt (MOX),
oder durch die Explosion einer Atombombe (Spaltungsbombe).
Die Aufbereitungsanlage trennt das Plutonium aus gebrauchten Kernbrennstäben, unterschiedslos für welchen der beiden Zwecke.
----------------------
1) Bhutto, Benazir (2008, 2007): Daughter of destiny. An autobiography. 1st Harper Perennial ed. New York: Harper Perennial. [Nachdruck, Erstveröffentlichung 1988]
2) PNE entsprechen der ungewöhnlichen Vorstellung man könne mit Atombomben Erdbewegungen für zivile Zwecke, wie etwa Bergbau oder Kanalbau, durchführen. Es gab dazu tatsächlich ernsthafte Überlegungen, und auch ein Experiment in den USA und mehr als hundert in der SU.
Immerhin, der wahrlich seltsame Begriff, denn eine „friedliche“ Atombombe bleibt ja eine solche, war entstanden und bedeutend.
„Although the TTBT was signed in 1974, it was not sent to the U.S. Senate for advice and consent to ratification until July 1976. Submission was held in abeyance until the companion Treaty on underground nuclear explosions for peaceful purposes (PNET) had been successfully negotiated ...“
https://fas.org/nuke/control/ttbt/intro.htm
Und auch in Südafrika nutzte man zeitweilig das Feigenblatt PNE um schließlich eine heimliche Atommacht zu werden. https://isis-online.org/uploads/isi...visitingSouthAfricasNuclearWeaponsProgram.pdf S.11ff. „South Africa’s interest in PNEs was not secret at first. The AEB reported in its 1969 annual report that it was researching the use of nuclear explosives for earth-moving.29"
..dies als Hintergrund wieso Indien eine, aus heutiger Sicht, absurde Begründung für den Bombentest nannte.
3) „In 1974, India, which had acquired reprocessing technology — ostensibly for a breeder
reactor program — conducted a “peaceful” nuclear explosion that utilized plutonium
produced in a reactor supplied with U.S. heavy water. The U.S. government realized
that civilian reprocessing was facilitating nuclear-weapon proliferation“
http://fissilematerials.org/library/rr14.pdf
4) https://nsarchive.gwu.edu/briefing-...eans-break-contract-french-reprocessing-plant
5)Ausführlich bei: Albright, David; Stricker, Andrea (2018): Taiwan's former nuclear weapons program. Nuclear weapons on-demand. Washington, DC: Institute for Science and International Security.
https://isis-online.org/books/detail/taiwans-former-nuclear-weapons-program-nuclear-weapons-on-demand/15
Benazir Bhutto hat 1988, in dem Jahr als sie erstmals Ministerpräsidentin von Pakistan wurde, eine Autobiografie veröffentlicht. 1)
Darin beschreibt sie, in durchaus empörter Tonlage, eine Auseinandersetzung im Jahre 1976 zwischen ihrem Vater, dem dann amtierenden Premier, und Henry Kissinger.
Ich folge einfach mal ihrer Darstellung ab Seite 86. Es sei so gewesen, dass ihr Vater entschlossen gewesen sei ein französisches Angebot für den Kauf einer nuklearen Aufbereitungsanlage* wahrzunehmen. Die US-Regierung habe offensichtlich dieses Geschäft ausschließlich unter dem Aspekt der Möglichkeit die Atombombe zu bauen („only in terms of its potential to produce a nuclear device“) gesehen.
Ja, Kissinger habe gar ihrem Vater recht unverhohlen mit einem schrecklichen Schicksal gedroht.
(„Reconsider the agreement with France or risk beeing made into a ‚horrible example‘ “)
Und das alles sei geschehen, während einer Zeit als die Ölpreise („skyrocketing“) sprunghaft infolge der Ölkrise stiegen, und selbst die robusten Wirtschaften des Westen beeinträchtigten, wie sie mit Bitterkeit anmerkt.
(Ihr Vater wurde drei Jahre später von dem nun regierenden Militärdiktator ermordet.
Sie selbst fiel Ende 2007 einem politischen Attentat zum Opfer, als sie sich für eine dritte Amtszeit als Ministerpräsidentin bewarb.)
Autobiografien sind ja stets eine wacklige Sache, insbesondere wenn sie eine Deutung des Geschehenen darstellen. Es wird nicht einfach sein zu glauben, dass diese intelligente Frau die beschriebenen Geschehnisse nicht vor dem Hintergrund der nuklearen Proliferation deuten konnte.
Denn 1974 hatte das verfeindete Indien eine nukleare Explosion bewerkstelligt.
Kleiner als die „Hiroshima-Bombe“, aber durchaus eine funktionierende Atombombe, wurde diese drohende Demonstration der eigenen Fähigkeit in den fadenscheinigen Schleier einer sogenannten PNE „peaceful nuclear explosion“2) gekleidet.
Es war eine Pu-Bombe und das Pu entstammte eben einer solchen „reprocessing“-Anlage, wie sie Bhutto nun erwerben wollte.
Die USA jedenfalls scheinen nun wachsamer gegenüber einer gefährlichen Schwachstelle im ohnehin schwierigen Nichtverbreitungsmanagement. 3)
Und sie intervenieren gegen den Verkauf von „reprocessing“ (Wiederaufbereitung) im Folgejahr erfolgreich in Südkorea. Kissinger argumentiert, Pu aus zivilen Kraftwerken könne für Atombombenbau verwendet werden. Der Erwerb von Anlagen für die Pu-Gewinnung seien daher ein Schritt zur Bombe der verhindert werden müsse . 4)
Auch in Taiwan intervenieren die USA aus diesem Grund hartnäckig gegen den Erwerb von Aufbereitungsanlagen zu eben dieser Zeit. 5)
Das ist so ungefähr die Lage.
Taiwan fühlt sich bedroht durch die Volksrepublik China, Südkorea durch China und die UDSSR, und Pakistan durch Indien.
Alle drei streben nach Atomwaffen. Alle drei haben eine nennenswerte Abhängigkeit von den USA.
Letztere fürchten begründet die Verbreitung von Atomwaffen, insbesondere in einer spannungsreichen und instabilen Region und machen ihren Einfluss nach Kräften geltend.
(Die Europäer, allen voran Frankreich und Deutschland, denken der weilen bevorzugt an das Exportgeschäft.
..und an die eigenen nuklearen Fähigkeiten.)
Die Geschichte wird für Pakistan einen zweiten Weg zur Atombombe bereithalten.
Während das oben beschriebene stattfindet bricht sich in Europa eine neue Technik der Urananreicherung die Bahn.
* Aufbereitungsanlage (reprocessing plant): In einem Uranreaktor entsteht Plutonium (Pu). Dieses ist ebenso spaltbar wie Uran und kann daher zur Energiefreisetzung genutzt werden.
Das kann in einem Kraftwerk geschehen, in dem man das Plutonium dem Uran beimischt (MOX),
oder durch die Explosion einer Atombombe (Spaltungsbombe).
Die Aufbereitungsanlage trennt das Plutonium aus gebrauchten Kernbrennstäben, unterschiedslos für welchen der beiden Zwecke.
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1) Bhutto, Benazir (2008, 2007): Daughter of destiny. An autobiography. 1st Harper Perennial ed. New York: Harper Perennial. [Nachdruck, Erstveröffentlichung 1988]
2) PNE entsprechen der ungewöhnlichen Vorstellung man könne mit Atombomben Erdbewegungen für zivile Zwecke, wie etwa Bergbau oder Kanalbau, durchführen. Es gab dazu tatsächlich ernsthafte Überlegungen, und auch ein Experiment in den USA und mehr als hundert in der SU.
Immerhin, der wahrlich seltsame Begriff, denn eine „friedliche“ Atombombe bleibt ja eine solche, war entstanden und bedeutend.
„Although the TTBT was signed in 1974, it was not sent to the U.S. Senate for advice and consent to ratification until July 1976. Submission was held in abeyance until the companion Treaty on underground nuclear explosions for peaceful purposes (PNET) had been successfully negotiated ...“
https://fas.org/nuke/control/ttbt/intro.htm
Und auch in Südafrika nutzte man zeitweilig das Feigenblatt PNE um schließlich eine heimliche Atommacht zu werden. https://isis-online.org/uploads/isi...visitingSouthAfricasNuclearWeaponsProgram.pdf S.11ff. „South Africa’s interest in PNEs was not secret at first. The AEB reported in its 1969 annual report that it was researching the use of nuclear explosives for earth-moving.29"
..dies als Hintergrund wieso Indien eine, aus heutiger Sicht, absurde Begründung für den Bombentest nannte.
3) „In 1974, India, which had acquired reprocessing technology — ostensibly for a breeder
reactor program — conducted a “peaceful” nuclear explosion that utilized plutonium
produced in a reactor supplied with U.S. heavy water. The U.S. government realized
that civilian reprocessing was facilitating nuclear-weapon proliferation“
http://fissilematerials.org/library/rr14.pdf
4) https://nsarchive.gwu.edu/briefing-...eans-break-contract-french-reprocessing-plant
5)Ausführlich bei: Albright, David; Stricker, Andrea (2018): Taiwan's former nuclear weapons program. Nuclear weapons on-demand. Washington, DC: Institute for Science and International Security.
https://isis-online.org/books/detail/taiwans-former-nuclear-weapons-program-nuclear-weapons-on-demand/15
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