Typen wie Talleyrand und Fouche drehten ihr Fähnchen nach dem Wind...
Ich denke mal, dass diese Einschätzung eher zeitgenössischen Karrikaturen und Urteilen von Zeitgenossen geschuldet ist. Politisch stellt sich das anders dar, auch wenn das Wirken beider in den verschiedensten Regimen natürlich den Verdacht nahelegt.
Talleyrand war maßgeblich am 18./19. Brumaire beteiligt und im Konsulat sorgte er für die Schaffung der neuen Monarchie unter Napoleon, auch wenn er den Kaisertitel ablehnte.
Er begleitete N. Außenpolitik aktiv bis 1807. Die Verkündung der Kontinentalsperre und die Schlacht bei Pr. Eylau ließen den Entschluss reifen, dass die expansive Politik nicht gut enden kann und er trat nach Tilsit zurück.
In Erfurt 1808 wirkte er in Richtung eines russisch/österreichischen Bündnisses, um zu erreichen, dass das Gleichgewicht in Europa wiederhergestellt und der "Kaiser" - territorial gesprochen- wieder "König" wird. Deutlich wird erstmals, dass er die Interessen Frankreichs vom Kaiser trennt, ohne allerdings das System Empire (allerdings ohne expansive Außenpolitik!) in Frage zu stellen.
Talleyrand übt im Dez. 1808 den Schulterschluss mit Fouché. Es folgt im Jan. 1809 die berüchtigte Szene. In der Folge arbeitet Talleyrand direkt mit Österreich und Rußland zusammen. Beide Staaten haben eigene Diplomaten bei ihm "akreditiert". Er gilt mit Fouché als das Haupt der Friedenspartei, ohne allerdings politisch wirksam zu werden. (Der Nachteil der Opposition!)
Er bleibt N. loyal gegenüber (briefliche Warnung vor den Bayern) und am 28. März 1814. Er lehnt aber jede politische Stellung: Gouverneur von Polen in Warschau vor dem Rußlandfeldzug und das Angebot N. wieder Außenminister zu werden ab. Den Rußlandfeldzug selbst hält er für "den Anfang vom Ende" Napoleons.
Er wartet geduldig ab, kompromitiert sich nicht in der Affäre Malet, hält Fäden zu den Bourbonen (seinen Onkel) und wohl auch über seinen langjährigen Freund Montrond zum Herzog von Orléans.
Die Affäre Malet 1812 zeigte die innenpolitische Instabilität des Empire.
Talleyrand zog seine Schlussfolgerungen:
„Am 26. Oktober (1812) äußerte er (in einem Brief an Caulaincourt) seine Verwunderung, „mit welcher Leichtigkeit es einem gelingt, Soldaten zu beeindrucken, wenn man einen Senatsbeschluss in der Hand hält.“ Und am 31. Oktober 1812 konstatierte er: „Das, was Menschen, die nachdenken, aller Aufmerksamkeit wert sein sollte, ist der Umstand, dass die breite Masse keine klaren Vorstellungen vom Senat hat.““
Den eigentlichen Gedanken entdeckte er aber nur (seiner langjährigen Freundin) Aimée de Coigny im November 1812:
„Dieser Mann da (Napoleon) taugt nicht mehr für das Gute, das er bewirken könnte, seine Zeit, da er mit Gewalt die Revolution zähmte, ist vorbei; die Ideen, die er allein noch bannen könnte, sind ohnedies nur noch schwach und stellen keine Gefahr mehr dar, aber es wäre fatal, würden sie gänzlich erlöschen. Er hat die Gleichheit zerstört, das ist gut; aber die Freiheit muss uns erhalten bleiben; ebenso die Gesetze; dafür bietet er keine Gewähr. Das ist der Moment, ihn zu stürzen. Sie kennen die alten Befürworter dieser Freiheit, wie Garat und einige andere. Ich könnte auch noch auf Sieyès warten, die Geduld bringe ich auf. Man muss in ihrem Geist die Gedanken ihrer Jugend wieder entflammen: das ist eine Macht.“ [1]
Der eigentliche Todesstoß des Empire erfolgte am 28. März 1814. Im Regentschaftsrat wurde über den Verbleib der Kaiserin in Paris beraten. Talleyrand sowie fast alle anderen Anwesenden plädierten für den Verbleib. Ein Brief Napoleons, in dem er kundtat, dass er seine Frau und seinen Sohn nicht in die Hände des Feindes fallen lassen wollte - was zwar gut korsisch gedacht, aber politisch tötlich war - gab den Ausschlag. Die Kaiserin mit dem Hof und den Würdenträgern verließ am folgenden Tag Paris.
Talleyrand inszinierte eine Komödie, und blieb - seltsamerweise von Rivigo und Pasquier unbehelligt - in Paris.
Seine Stunde schlug am 31. März 1814 als er den Zaren bei sich aufnahm und die Proklamation iniziierte, dass weder mit N. noch seiner Familie weiter verhandelt würde.
Jetzt zeigte sich, dass die bisher inhaltslose Würde eines Vice-Grand-Electeur doch Bedeutung haben kann, denn Talleyrand hatte das Recht, den Senat einzuberufen.
Am 1. April 1814 beschloss der Senat eine provisorische Regierung mit Talleyrand an der Spitze mit dem Auftrag, eine neue Verfassung zu entwerfen, am 2. April die Absetzung Napoleons, Armee und Volk wurden vom Treueeid entbunden.
Die folgenden Tage galten der neuen Verfassung, die liberaler als die des Kaiserreiches gestaltet wurde. Es sollten die Errungenschaften der Revolution und die Gesetze des Kaiserreiches erhalten bleiben. Im Grunde sollte nur eine Dynastie die andere ablösen, jetzt allerdings auf konstitutioneller Basis regieren.
Dass Talleyrand sich in der Wahl der Nachfolge für die Bourbonen entschied, ist nicht verwunderlich:
"Frankreich wollte, trotz der Schrecknisse der Invasion, frei und geachtet dastehen, und dieses Ziel war nur durch das rechtmäßige Königshaus der Bourbonen zu erreichen.
Europa, noch in steter Furcht, obwohl seine Heere mitten in Frankreich standen, verlangte Frankreichs Entwaffnung und seine alten Grenzen, und forderte zugleich Garantien eines dauernden Friedens, und auch dazu konnten nur die Bourbonen verhelfen… Nur das Haus Bourbon konnte in kürzester Zeit, und ohne Gefahr für Europa, die fremden Heere zum Rückzug bewegen, die Frankreichs Boden bedeckten. Mit dem Haus Bourbon verlor Frankreich seine Riesengestalt, um dafür seine frühere Größe einzutauschen.“ [2]
Und so sah der Beschluss des Senats vom 6. April vor, dass Xavier ... aus freien Stücken vom französischen Volk auf den Thron berufen wird. Allerdings nur, wenn der neue König die Verfassung vorher anerkennt.
Es lief etwas anders als geplant, der kommende König konnte seinen salisischen Anspruch durchsetzen, Louis XVIII begriff aber, dass ohne eine Verfassung, die die Errungenschaften der Revolution und des Kaiserreiches nicht widerspiegelte seine Herrschaft nicht möglich war.
Mit den Alliierten wurde ein Waffenstillstand geschlossen werden, später (30. Mai 1814) der 1. Pariser Frieden. Die bereits vor der Einnahme von Paris von den Alliierten festgelegten Grenzen konnten geringfügig (630000 Einwohner) vergrößert werden. Auch wurden keine Reparationen festgelegt - und dies angesichts der jahrzehntelangen Räuberein der Franzosen in Europa! - und selbst die geraubten Kunstwerke wurden nicht zurückgefordert!
Talleyrand begleitete diesen Frieden als Außenminister des Königs. Er hat versucht, diesen Frieden so schnell als möglich zu erreichen, um auch zu erreichen, dass die Besetzung Frankreichs so kurz als möglich war. Diese Schnelligkeit ist ihm (zeitgenössisch) oft zum Vorwurf gereicht, aber ganz ehrlich, die "natürlichen" Grenzen waren unerreichbar.
Betrachtet man den politischen Druck, der auf Louis Philippe lastete (siehe vorh. Beitrag) und das 2. Kaiserreich, dann wird man wohl anerkennen müssen, dass zum Zeitpunkt 1814 tatsächlich nur die Bourbonen möglich waren. Wohl jede andere Dynastie (Bernadotte nicht möglich, aber Marie Luise, Prinz Eugen) hätten wohl schon den Keim eines neuen Krieges in sich getragen.
Dass Talleyrand kein Royalist war zeigt sich in der Beurteilung des Baron Vitrolles:
„Er hat die Restauration nicht gewählt, die für ihn viel stachliger war als jede andere Kombination, wie die Regentschaft der Marie-Louise, der Sohn des Orléans oder irgend sonst eine. Er hätte bei jeder anderen Kombination eine weit bessere Garantie seiner Interessen gefunden. Trotzdem versuchte er nichts, diese seine Interessen in den Vordergrund zu schieben; er erlitt die Restauration als die Notwendigkeit und begegnete ihr mit allem seinen Geiste.“ [3]
Sicherlich hatte Talleyrand eine starke 2. Seite der Medaille, keine Frage, aber seine politische Entscheidungen waren immer französisch, auch wenn dies Zeitgenossen oft nicht verstanden.
Grüße
excideuil
[1] Willms, Johannes: Talleyrand Virtuose der Macht 1754-1838, C.H. Beck, München, 2011, Seite 192
[2] Talleyrand: „Memoiren des Fürsten Talleyrand“, herausgegeben mit einer Vorrede und Anmerkungen von Herzog de Broglie, Original Ausgabe von Adolf Ebeling, Köln und Leipzig, Bd. 2 1891, Seite 108
[3] Blei, Franz: „Talleyrand“, Rowohlt, Berlin, 1932, Seite 231