Die Ähnlichkeit zwischen den beiden Religionen war so groß, dass sie im Altertum selbst allgemein auffiel. Seit dem 2. Jh. zogen die griechischen Philosophen zwischen den persischen Mysterien und dem Christentum eine Parallele, die natürlich zum Vorteil der ersteren ausfiel. Die Apologeten betonen ihrerseits ebenfalls die Analogien zwischen den beiden rivalisierenden Religionen und erklären sie durch satanische Nachäffung der heiligsten Riten ihres Glaubens ...
Wir dürfen heute nicht mehr daran denken, eine Frage zu entscheiden, deren Beantwortung schon die Zeitgenossen in zwei feindliche Lager trennte, und die zweifellos niemals gelöst werden wird. Wir kennen die Dogmen und die Liturgie des römischen Mazdaismus und ebenso die Geschichte des Urchristentums zu ungenügend, um beurteilen zu können, unter welchen wechselseitigen Einflüssen ihre gleichzeitige Entwicklung sich vollzogen hat. Überdies setzt Ähnlichkeit nicht unbedingt Nachahmung voraus.
Viele Übereinstimmungen zwischen der mithrischen Lehre und dem katholischen Glauben erklären sich aus ihrem gemeinsamen orientalischen Ursprung. Gewisse Ideen, gewisse Zeremonien müssen trotzdem aus dem einen in den anderen verpflanzt sein, aber meist mutmaßen wir diese Anleihen mehr, als dass wir sie deutlich bemerken.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass man aus der Legende des iranischen Heros ein Seitenstück zum Leben Jesu zu machen strebte, und dass die Schüler der Magier eine Anbetung der Hirten, ein Abendmahl und eine Himmelfahrt mithrischen Charakters den entsprechenden Erzählungen der Evangelien gegenüberzustellen suchten ...
Dagegen konnten die orthodoxen Liturgien, welche sich im Laufe der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung allmählich fixiert haben, durch diese Mysrerien mehr als eine Anregung empfangen, da sie unter allen heidnischen die meiste Verwandtschaft mit den Institutionen des Christentums zeigten. Wir wissen nicht, ob das Ritual der Sakramente und die Hoffnungen, welche man an sie knüpfte, irgendwelchen Einfluss der mazdäischen Bräuche und Dogmen erfahren haben können ... und jedenfalls scheint die Feier der Geburt des Weltheilands auf den 25. Dezember gelegt zu sein, weil man zur Feier des Wintersolstitiums den Natalis Invictis, die Wiedergeburt des unbesiegten Gottes feierte.
(Franz Cumont, Die Mysterien des Mithra, Darmstadt 1975, S. 183 f., Wissenschaftliche Buchgesellschaft)