Hallo Andrea,
es sind ja schon gute Hinweise gefallen. Es ist schon gesagt worden, dass der Durchschnittsbauer in der fraglichen Zeit viele verschiedene Nutztiere hielt, von jeder Art allerdings nur ein paar Stück, ebenso auf seinen für heutige Maßstäbe beschaulichen Flächen eine Fülle von unterschiedlichen Feldfrüchten anbaute. Während wir heute überwiegend spezialisierte Betriebe kennen, die entweder nur Milchvieh oder nur Mastvieh oder nur Geflügel halten oder nur Ackerbau betreiben oder oder oder hat der kleine Bauer damals von allem etwas gehalten und angebaut. Vielleicht so, wie wir uns heute einen arbeitsreichen Selbstversorger-Hof vorstellen mit ein paar Kühen oder Ziegen, ein paar Schweinen und Schafen, Hühnern und Gänsen, einem großen Gemüsegarten, einem kleinen Kartoffelacker, Getreideäckern usw. usf.
Die alten Nutztierrassen waren ebenfalls nicht so spezialisiert wie heute. Ich kann leider nur für Nordhessen sprechen: Da kannte man keine spezielle Milchkuh-Rasse und keine spezielle Fleischrind-Rasse, sondern man hielt rote Rinder (genannt Rotes Höhenvieh oder Vogelsberger Rind) als Dreinutzungsrasse: Milch, Fleisch und Arbeitskraft (Pflügen, Karren-Ziehen usw.). Weder gaben die so viel Milch wie heutige Rassen, noch haben die soviel Fleisch gehabt, aber alles in allem hat diese robuste Rasse dem Bauern von allem etwas geliefert (und hat das Futter viel besser verwertet, auch schlechteres gefressen und ist weniger krank gewesen). Im süddeutschen Raum könnte meiner Einschätzung nach das Fleckvieh oder dessen Ahnen typisch gewesen sein (vielleicht auch das Simmentaler Rind oder so). Ebenso bei Geflügel: Hat der Geflügelbauer heute entweder Legehybriden (mit 300 Eiern im ersten Legejahr; nach zwei Jahren in die Tonne mit den ausgemergelten Viechern und neue geholt) oder aber Masthybriden (nach 3 Monaten fett und schlachtreif), hielt man damals Hühnerrassen, die sowohl durch viele Jahre hindurch ausreichend Eier legten (je nach Rasse schätzungsweise so 150-190 im Jahr) als auch einen guten Braten ablieferten (wenn sie dafür auch ein halbes Jahr und mehr Wachtumszeit benötigten). Bei uns in Nordhessen waren das um 1900 vorwiegend die rebhuhnfarbigen Italienerhühner.
All diese alten Rassen können, wenn man sich nur eine spezielle Leistung anschaut (also nur Milch, nur Eier, nur Fleisch usw.), nicht mit den heutigen Rassen und Hybridzüchtungen mithalten und wären deshalb in unserer heutigen arbeitsteiligen Gesellschaft sehr viel uneffizienter. Aber ich will mal behaupten, dass die Arbeitsteilung damals in der Landwirtschaft längst nicht so weit fortgeschritten war und die alten Mehrnutzungsrassen für den damaligen Bauer deshalb viel vorteilhafter waren. Heute ist es für z. B. einen Milchbauern beinah billiger (erst recht, wenn man die Arbeit mit einrechnet), wenn er sich die Eier für seinen Eigenbedarf aus dem Supermarkt holt, die aus einem Massen-Lege-Betrieb stammen und deshalb günstig produziert werden können. Früher hat es sich noch gerechnet, wenn man so viel Verschiedenes wie möglich selbst auf seiner Fläche gehalten hat.
> Also: Nutztier-Vielfalt und Mehrnutzungsrassen um 1900 in bäuerlichen Durchschnitts-Betrieben (zumindest als Tendenz).
Mit der industriellen Revolution hat aber andererseits auch bald eine "landwirtschaftl. Revolution" eingesetzt. Ich habe hier ein Buch mit dem Titel "Das Ganze der Landwirtschaft" von Wilhelm Hamm von 1872, in dem neben all der herkömmlichen Landwirtschaft auch eine Menge technischer Neuerungen (vorwiegend aus England) angepriesen werden, wie Dampf-Zugmaschinen als erste Schlepper oder Dampf-Pflugmaschinen usw. Spezialisierung, Rationalisierung und Vorformen der Massentierhaltung und Monokultur werden darin als die Zukunft erkannt und gelobt. Inwiefern und in welchem Maße sich dieser Fortschritt schon vor 1920 in Deutschland durchgesetzt hat, weiß ich nicht. Aus Erzählungen weiß ich jedoch, dass das alles hier in den Dörfern erst mehrere Jahrzehnte später langsam, allmählich und stückchenweise Einzug gehalten hat. Diese "Revolution" betraf dann wahrscheinlich in der von Dir gefragten Zeit eher ausschließlich elitäre Großbetriebe. Es wäre vielleicht aber auch nicht uninteressant zu schauen, ob und wie das Aufkommen von Groß-Molkereien und Groß-Schlachtbetrieben den Preis generell so gedrückt hat, dass sich auch der Kleinbauer zwangsläufig auf mehr Effizienz in der Produktion seines Haupt-Verkaufsproduktes konzentrieren musste. Mag in jener Zeit schon begonnen haben. Weiß ich aber nichts drüber.
Das erwähnte Buch von 1872 wäre vielleicht generell für Dich interessant. Darin sind die damals geläufigen Nutztierrassen, Gemüse- und Getreidearten, Obstsorten, Futterpflanzen usw., außerdem die landwirtschaftlichen Geräte, Bodenbearbeitungsschritte und -methoden, Tierhaltungsformen und vieles mehr beschrieben. Leider finde ich auf google-books keine vollständig einsehbare Version. Gemeint ist zumindest das Buch hier:
Das Ganze der Landwirthschaft in Bildern: ein Bilderbuch zur Belehrung und ... - Wilhelm Hamm - Google Books.
Ist aber als Nachdruck (1997) auch heute im Handel erhältlich.
Da die Landwirtschaft 1880-1920 insgesamt ein sehr weites Feld ist, würde ich Dir letztlich das gleiche raten wie Schwedenmann: Suche Dir einen alten, gesprächigen, aber gescheiten Landwirt vor Ort, der weiß, wie die Landwirtschaft zu seiner und zu Vaters Zeiten abgelaufen ist. Interviewe ihn: Wer lebte und arbeitete damals alles auf dem Hof? Wie groß war die bewirtschaftete Fläche, wie viel davon Acker, wie viel Wiese und Weide? Was hat der Vater für Tiere gehabt und für Feldfrüchte angebaut? Was davon war vorwiegend für den Eigenbedarf bestimmt? Was davon war vorwiegend für den Weiterverkauf bestimmt und wie sahen damals die gängigen Vertriebswege aus? Was wurde alles von Hand gemacht und wofür hatte man schon Maschinen? Wie sah ein typischer Arbeitsalltag aus? ... und was Dir sonst noch so an Fragen einfällt.
Wenn die Antworten auch nur einigermaßen repräsentativ für die damalige Landwirtschaft in Eurer Gegend sind, dann kannst Du im Referat am Beispiel dieses einen Hofes eine oberspannende und anschauliche Schilderung hinzaubern - angereichert mit ein paar allgemeinen und generellen Informationen zur Landwirtschaft zw. 1880 und 1920 wie sie z. b. letztergisone geboten hat. Viel Erfolg!