Dion

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Daniel Kehlmann („Vermessung der Welt“, „Tyll“) hat anlässlich des Erscheinens seines neuen Buches „Lichtspiel“ der Süddeutschen ein Interview gegeben, in dem er Anmerkungen zu dem Roman gab, in dem er das Leben von Georg Wilhelm Pabst (er war der Entdecker der Garbo und drehte u.a. den Film „Westfront 1918“ aus dem Jahr 1930, der ähnlichen Anfeindungen ausgesetzt war, wie der Film „Im Westen nichts Neues“) nachzeichnete, der 1938 aus der Emigration zurückkehrte, um Filme für Goebbels zu drehen, ohne jedoch der Propaganda das Wort zu reden.

Es geht in dem Buch vor allem darum, wie Menschen sich mit dem Nazi-Regime arrangierten und dennoch, nach ihrer Meinung, „sauberblieben“.

Hier nur einige Zitate aus dem Interview, die ich für beachtenswert finde:

Ich glaube, dass es möglich ist, viele kleine Schritte zu machen, von denen jeder für sich vertretbar scheint. Aber insgesamt führt der Weg dann doch in ein Gelände, in dem man sich nicht aufhalten sollte. Natürlich könnte man sagen, dass es niemals richtig ist, nach Nazi-Deutschland zurückzugehen, wenn man es schon nach Kalifornien geschafft hat, und sei es nur für eine Woche. Aber das Leben ist oft kompliziert.
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Nichts rechtfertigt, dass man es zulässt, dass die Hitlerjugend den eigenen Sohn in einen begeisterten Nazi verwandelt. Die Verpflichtungen dem eigenen Kind gegenüber sind letztlich größer als die gegenüber der Kunst.
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Die Diktatur korrumpiert fast jeden. Man kann sich ihrer Mittel nicht bedienen und dabei unschuldig bleiben. Diesem Mechanismus der fortschreitenden Korrumpierung widerstehen nur jene, die gar keine Kompromisse machen, was ungeheuer schwierig ist, weil es ja schon ein Kompromiss ist - auch davon erzähle ich ja in einer Szene -, sich in einem Lesezirkel bestimmte Meinungen zu einem Buch zu verkneifen.
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Ein totalitärer Staat lebt davon, alle Menschen täglich zu Mittätern zu machen. Moralisch mögen all diese Millionen täglicher Kompromisse natürlich falsch sein, aber erzählerisch ist noch nichts geleistet, wenn man sagt: Das ist falsch.
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Frage: Sie haben während der Trump-Präsidentschaft in New York gelebt. Kommt das Bedürfnis, über diesen verhängnisvollen Opportunismus zu schreiben, auch daher?
Ganz sicher, dort konnte ich mit ansehen, wie Leute sich in Kleinigkeiten arrangierten, oft sogar, bevor überhaupt irgendein Druck ausgeübt wurde.
Man merkt das an kleinen Formulierungen bei Bekannten, die plötzlich bestimmte Themen vermeiden, man merkt es daran, dass den Kindern in der Schule nahelegt wird, nicht über Politik zu sprechen, daran, dass Drehbücher abgelehnt werden, weil bestimmte Figuren darin auftauchen.
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In Amerika war ich nur Beobachter. Ich hatte eine sehr klare Position. Für mich war es völlig offenkundig, dass man keinen Zentimeter auf Trumps Republikaner zugehen und unter diesem Präsidenten schon gar kein politisches Amt ausüben darf. Im Nachhinein hat man dann aber erfahren, dass Mark Milley, der höchste Offizier der USA, sichergestellt hat, dass Nuklearwaffen auch dann nicht zum Einsatz gekommen wären, wenn Trump den Befehl erteilt hätte. Oder dass die Armee nicht gegen Demonstranten eingesetzt hätte werden können. Das konnte er natürlich nur, weil er das Amt innehatte.
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Die Frage, ob es in Ordnung ist, über die Nazis zu lachen, halte ich seit Chaplin und Lubitsch für gelöst. Das ist nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten. Diktaturen sind nun einmal komisch, und sie leben davon, dass sie den Menschen das Lachen verbieten. Deshalb ist es nötig, sie in ihrer ganzen Lächerlichkeit zu zeigen.
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Ich habe aber nicht gesagt, dass man nicht von den Opfern oder der Hexenverfolgung erzählen kann. Man sollte nur nicht der Folklore verfallen, eine Geschichte zu erzählen, in der es Hexen wirklich gibt, denn das würde das Narrativ der Täter übernehmen. Es gab keine Hexen, sondern nur Opfer eines mörderischen Hexenwahns. Aber nicht die Wahrheit der Opfer ist zur Folklore geworden, sondern das aberwitzige Narrativ der Täter. Noch heute erzählen wir unseren Kindern begeistert Hexengeschichten.
(…)
Rühmann ist ein interessanter Fall, weil er zwar Kompromisse eingegangen ist, aber keine indiskutablen. Man kann ihn beim besten Willen keinen Nazi nennen, aber er hat unter den Nazis Filme gedreht. Es hat sich von seiner jüdischen Frau scheiden lassen, es aber so eingerichtet, dass sie versorgt und in Sicherheit war. Es ist nicht einfach, ihm Vorwürfe zu machen. Aber ich möchte wiederum auf keinen Fall sagen: Wir Nachgeborenen dürfen uns kein Urteil erlauben. Wir müssen uns sogar unbedingt ein Urteil bilden. Nur ein zu leichtes und vorschnelles darf es nicht sein. Das Gespräch darüber darf nie abreißen, sonst lernt man ja nichts aus der Geschichte.
 
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