Leichenpredigten

Sepiola

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In der Zeit von etwa 1550 bis 1800 war im protestantischen deutschsprachigen Raum die „Modeerscheinung“ verbreitet, Leichenpredigten auf Verstorbene zu halten und diese für eine weite Leserschaft zu drucken. Die Auflage lag durchschnittlich bei etwa100–300 Exemplaren. Leichenpredigten gehören zur Gattung der Erbauungsliteratur und wurden meist auf wohlhabende Bürgerinnen und Bürger sowie Adelige verfasst. Frauen sind hierbei gegenüber den Männern unterrepräsentiert, ebenso Kinder, besonders in Hinblick auf die hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit im betrachteten Zeitraum.
Charlotte Dellmann, Ärzte am Sterbebett? Palliativmedizinische Bezüge in Leichenpredigten der Frühen Neuzeit, Stuttgart 2022, Textauszug: https://media.dav-medien.de/sample/9783515133470_p.pdf

Da schätzungsweise 200.000 solcher Leichenpredigten erhalten sind, wird eine statistische Gesamtauswertung wohl noch auf sich warten lassen. Die vorhandenen Arbeiten, die dieses Quellenmaterial nutzen, beschränken sich auf Stichproben mit regionaler Beschränkung oder zumindest mit regionalem Schwerpunkt. Genannt werden in obiger Arbeit

- M. Thiel: Todesursachen in brandenburgischen Leichenpredigten des 17. und 18. Jahrhunderts (1963)
- E.-M. Moll: Todesursachen in Ulmer Leichenpredigten des 16. und des 18. Jahrhunderts (2008)
- A. Spickereit: Todesursachen in Leichenpredigten vom 16. bis 18. Jahrhundert in ausgewählten oberdeutschen Reichsstädten sowie in den Memminger Verzeichnissen der Verstorbenen von 1740–1809 (2013)
- L. M. Teichmann: Leichenpredigten als Quelle der Medizingeschichte im thüringischen Rudolstadt des 17. Jahrhunderts (2020)

Wie gesagt, waren Leichenpredigten ein typisch protestantischer (lutherischer) Brauch; gedruckte katholische Leichenpredigten sind seltene Ausnahmen. Unter den 90 von Spickereit/Winckelmann untersuchten Leichenpredigten sind immerhin fünf katholische, darunter vier Adlige und ein Abt.

Hinsichtlich der Gesamtbevölkerung ist das Material nicht repräsentativ; das gehobene städtische Bürgertum und der Adel sind überrepräsentiert, und da Kinder (und Jugendliche) nur in wenigen Fällen vertreten sind, lassen sich auch keine Schlussfolgerungen zur Lebenserwartung ab Geburt ziehen.
Bei den verschiedenen Stichproben ergeben sich als häufigste Todesursachen Infektionskrankheiten, gefolgt von Schlaganfall (insbesondere bei Personen mit eher vorgerücktem Alter). Bei Frauen spielt das Kindbett eine prominente Rolle, einer Stichprobe gibt 22,2% eine andere 27,2% an. Da hiervon relativ junge Frauen betroffen waren, ist das durchschnittliche Sterbealter der Frauen bei fast allen Datensätzen deutlich niedriger als das der Männer.
 
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