Brecht schrieb:
Das heißt, ich habe hinterfragt, warum gingen die Nazis von einer Art "Revolution" aus, obwohl es ein quasidemokratisches Vorgehen war? Das war die Frage die sich für mich stellte und die ich sehr spannend fand/finde.
Vielen Dank für diese hochinteressante Fragestellung, die sich mir bislang so noch nicht gestellt hat.Meine Vorredner haben bereits die wesentlichsten Gründe angeführt und in exzellenter Form erläutert; ich will versuchen ein paar Anmerkungen zu machen.
Die Klassifizierung der Machtergreifung als Vorgang der "Revolution" ist sicherlich auf das Selbstverständnis der NSDAP zurückzuführen. Warum sollte sich eine Partei, die in den Jahren vor 1933 massiv gegen das bestehende "System" agitiert hat, plötzlich eine Art "innere Versöhnung" - mit den Strukturen der Demokratie vornehmen, indem sie die Machtergreifung als eine -auf jener angefeindeten Systematik basierende- quasidemokratische Legitimation politischer Macht betrachtet.
Die NSDAP sah sich als eine Kraft der Erneuerung und des grundlegenden gesellschaftlichen Wandels - und zwar auf allen Ebenen ihres gesellschaftlichen Wirkens. Folglich benötigte die Partei Begriffe, die nicht nur der Bevölkerung eine grundlegende Vorstellung von der Gestaltungskraft der nationalsozialistischen Bewegung gaben, sondern der Partei zugleich eine innere Dynamik verliehen. Insofern ist die Wahl des Begriffes der "Revolution" zugleich ein bedeutendes Zeugnis des nationalsozialistischen Selbstbildes, das - trotz verschiedener Strömungen innerhalb der NSDAP - vor allem durch die grundlegende Tendenz der Partei zur Erneuerung und gesellschaftlichen Umwälzung geprägt war.
In der hier stattfindenden Diskussion um den Revolutionsbegriff innerhalb der NSDAP fällt mir auf, das in allen Fällen nur von der "Revolution" die Rede ist und das Adjektiv "national" in keiner der argumentativen Ausführungen auftaucht. Gerade der Begriff der "
Nationalen Revolution" lässt sich eindeutig von der Novemberrevolution 1918 absetzen, da diese hauptsächlich von - vielfach den Idealen des Revolution des
Internationalen Proletariats zugeneigten - linken Aktivisten unterstützt wurde, kaum Rückhalt in mittelständischen Schichten fand und von vielen reaktionär ausgerichteten Bevölkerungsschichten als Katastrophe angesehen wurde. Die Idee der Nationalsozialistischen Revolution basierte auf völlig differierenden Grundmustern und bot einer weitaus größeren Anzahl von Bevölkerungsschichten eine ideologische Heimat. Im Gegensatz zur Revolution von 1918, die vielen Bevölkerungsschichten spezifische Ängste vor einem gesellschaftlichen Bedeutungsverlust vermittelte, vermittelte die Ideologie der "Nationalen Revolution" ein Gefühl gesellschaftlicher Integration, das zu den Entwicklungen der Weimarer Republik in einem absolut konträren Verhältnis stand.
In Ergänzung zu Fischofs und Heinz Ausführungen möchte ich aus diesem Grund die Bezeichnung "Nationale Revolution" nicht nur als Zugeständniss an spezifische Kreise der NSDAP betrachten, sondern zugleich als Fixpunkt nationalsozialistischen Handelns. Dieser Begriff deckte einen weiten Bereich nationalsozialistischer Ideologie ab, indem sich in ihm die innen- wie die außenpolitischen Zielstellungen der Bewegung manifestierten. (Volksgemeinschaft und Wiedererlangung nationaler Souveränität)
Abschließend möchte ich anmerken, dass die Begrifflichkeit der "Nationalen Revolution" nicht zwingend auf den Vorgang der Machtergreifung hindeuten muss, sondern der 30. Januar 1933 den Auftakt zu einem revolutionären Ereignis darstellte. Auch die Französische Revolution lässt sich nicht nur auf den 14. Juli 1789 begrenzen, sondern ist als mehrjähriges und zugleich vielschichtiges Ereignis zu betrachten. Wer diese Perspektive wählt, erkennt in der "Nationalen Revolution" nicht nur als die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, sondern vielmehr den Startschuss zu einer wahrhaften Revolution, die durch den 30. Janur erst ermöglicht wurde.
Gruß,
Christoph