Militärischer Zweck des Talus

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PontifexMinimus

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Der englische Wikipedia-Artikel nennt zwei Gründe für den Talus, der abgeschrägten Mauerbasis: Erstens hält er feindliche Belagerungstürme auf Abstand und erschwert so deren Einsatz von Fallbrücken. Zweitens zwingt er angelegte Sturmleitern in einen schrägen Winkel, was die Gefahr des Einbrechens der Leitern vergrößert. Der deutsche Wikipedia-Artikel zum Krak des Chevaliers, das einen ausgeprägten Talus besitzt, nennt stattdessen den "Erdbebenschutz" als Grund.

Es gibt meiner Ansicht aber einen weiteren wichtigen fortifikatorischen Zweck: eine höhere Widerstandskraft gegen Unterminierung. Der Talus verhindert, daß die Mineure ihre Zerstörungsarbeit direkt an der eigentlichen Mauer ansetzen können. Denn der Talus hat ja keine lasttragende Funktion, sondern ist der Mauer mit Zinnen und Laufgang, auf der die Verteidiger stehen, bloß vorgesetzt. Um diese zu unterminieren, hätte man sich an der Innenburg des Krak erst durch metertiefes Mauerwerk vorarbeiten müssen. Das wiederum gibt der Festungsbesatzung wertvolle Zeit zur Reaktion.

Wie seht ihr das?
 
Weiß man denn, ob die Ringmauer vor den Erdbeben in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts bereits einen Sockel verfügte? Eigentlich sollte der Talus als Befestigungswerk den Europäern bereits bekannt gewesen sein.
 
So ein Talus konnte auch einfach den toten Winkel verringern.
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Der Nutzen scheint ein mehrfacher zu sein:
- Verstärkung der Mauer gegen Breschierung (vor den Feuerwaffen gegen Torsionsgeschütze, Mauerbrecher etc)
- Verzögerung von Minenangriffen (?)
- verbesserte Sicht (tote Winkel)

Die Gefahr durch Minen (zum Einsturz) in der Zeit vor den Kanonen ist sehr abhängig vom Gelände (Minen lassen sich nicht überall einfach so graben) und darum vermutlich als eher gering zu veranschlagen (felsiger Untergrund sowie Flachland mit hohem Grundwasserspiegel verhindern diese zeitraubende "unterirdische" Kriegsführung). Sonderlich oft trifft man auch nicht auf spätmittelalterliche Befestigungen mit Talus.
Mir scheint, dass die Anlage von Gräben einfacher in der Herstellung war und dass man vornehmlich die Grabenverteidigung im Auge behielt (14.-15. Jh.).
Später (ab dem 16.Jh.) mit zunehmender Belagerungsartillerie findet man solche Maßnahmen auch nicht mehr oft. Man setzte auf ausgeklügelte Grabensysteme ohne tote Winkel und ersetzte die "Mauer" durch einen mächtigen Wall (Erd- & Sandvorlage zur Aufnahme/Absorption von kinetischer Energie)
 
Beeindruckend fand ich als Jugendlicher die Befestigung des Schlosses von Caen. Dort ist die Umwallung mit Talus / Tali sehr ausgedehnt und durchgehend. Bei Bau und Entwurf dürften die schlechten Erfahrungen früherer erfolgreicher Belagerungen und auch der Wohlstand der Stadt eine Rolle gespielt haben.

 
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Das hatte man ganz klassisch seit der Antike mit Gräben stark behindert. Konsequent war auch mit Tolus verstärkten Mauern meist ein Graben vorgelagert.
Je nach Tiefe und Breite eines Grabens kann man den auch zuschütten oder ggf. auch einfach starke Balken darüber schieben, auf die man das Belagerungsgerät fahren kann. Insofern wäre ein Talus durchaus auch wieder ein Abstandshalter.

Bei Masada haben die Römer natürlich bewiesen, dass man selbst eine Rampe errichten kann, wenn man hinreichend Zeit und Manpower hat (und die Verteidiger womöglich ihre Munition verschossen).
 
Je nach Tiefe und Breite eines Grabens kann man den auch zuschütten oder ggf. auch einfach starke Balken darüber schieben
Richtig - und das geschah, wo die Gräben (aus welchen Gründen auch immer) ungeschickt angelegt waren.
Starke Befestigungen im Spätmittelalter (Übergang vom Burgen- zum Festungsbau) setzten auf ordentliche Gräben (!) und zusätzlich mit vorgeschobenen Bollwerken auf zusätzliche Grabenverteidigung.

Zudem:
- zu unterscheiden ist, ob eine bestehende Befestigung nachträglich Verstärkung durch Tolus-Vorbau erhielt (hier stellt sich dann die Frage, ob und wie der vorgelagerte Graben modifiziert wurde)
oder
- ob abgeschrägte Fundamentmauern in die Gräbensohle hinein zur Stabilität errichtet wurden (diese sind vermutlich nicht mehr als Tolus zu bezeichnen)

Für all das finden sich Beispiele. (Den Graben von Schloss Spangenberg (Hessen) könnte man sicher nicht zuschütten)
 
Weitere Vorteile eines Talus:
  • Ein Rammbock erreicht nicht die eigentliche, tragende Mauer.
  • Scheiterhaufen zum Feuersetzen an der tragenden Mauer sind nicht möglich.
  • Kein Ansatz zum Anbringen eines Pétards (Sprengsatzes) am Mauerfuss, da keine Dämmwirkung.
  • horizontal und nicht vertikal wirkende Schrapnellwirkung von Geschossen (der Verteidiger wie der Angreifer), die beim Aufprall auf den Talus bersten und die Angreifer verletzen.
  • Die angelegten Leitern müssen länger sein, können aufgrund des schrägen Verlaufs durch Beschuss viel leichter brechen,
  • die Angreifer auf ihnen sind viel exponierter als direkt an der Mauer.
Noch ein netter Artikel zur Festungsarchitektur:
 
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@muck die Gefahren im Zusammenhang mit Wasser waren Belagerern wie Belagerten bekannt, insbesondere feste Plätze legten - je nach Gelände - großen Wert auf wassergefüllte Hindernisse*) (Inundation) und wo möglich, leitete man Wasser in Angriffsminen (um Sprengladungen/Pulver unbrauchbar zu machen, um gegnerische Truppen aus den Stollen/Minen zu vertreiben)
Erste allgemeine Infos dazu, allerdings überwiegend für die Zeit nach Erfindung der Feuerwaffen, finden sich hier:

Das unterminieren von Wasserläufen (und wohl auch künstlichen solchen, also Wassergräben) dürfte sehr kompliziert und aufwändig gewesen sein:
- eindringendes Grundwasser ohne leistungsfähige elektrische Pumpen abzuführen, war wohl problematisch
- man musste sicher sehr tief abteufen, um zu verhindern, dass die Stollen von allein geflutet werden: das ist ist zeitlich enorm aufwändig
Mir ist aus dem späten Mittelalter und der frühen Neuzeit nicht bekannt, dass irgendwo ein nasser Graben unterminiert wurde - aber das heißt nicht, dass man das unter relativ günstigen Bedingungen nicht gewagt hat: ich weiß es nicht, halte es aber für eine Ausnahme.

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*) weil diese schwerer zu überwinden sind!
 
Lassen wir den nassen Graben mal beiseite. Die Frage war ja, ob ein Talus ein hilfreiches Mittel ist, eine Wehrmauer vor Minen zu schützen.
pro: Ein Talus mag der Mauer oder dem Turm mehr Stabilität gegeben haben, um sie vor einem Einsturz zu schützen.
contra: Um sich unter der Mauer herzugraben veränderte ein Talus den Arbeitsaufwand kaum, vielleicht den notwendigen Stützaufwand. Je nachdem natürlich, wie tief auch der Talus in den anstehenden Boden eingebracht war. Aber hier sehe ich sowieso ein Problem der Mineure, die sich ja immer vergewissern mussten, dass sie nicht zu früh zu nah an die Oberfläche kamen.
 
Ein weniger bis gar nicht direkt militärischer Aspekt: Wehrbauten hatten auch symbolische Funktion, demonstrierten Macht und Stärke, Beständigkeit und Unüberwindlichkeit. Noch im 19. Jh. wurde derartige Symbolik z.B. im neudeutschen Festungsbau (Koblenz: Ehrenbreitstein, Fassadengestaltung der Kurtine a la römischer Aquädukt; Festungsviereck Verona (Oberst von Scholl) mit ähnlicher Gestaltung) - - der Anblick eines mächtigen Tolus sollte möglicherweise zusätzlich in diese Richtung wirken.

Was das unterminieren betrifft:
- vor der Entwicklung bzw dem Einsatz von Kanonen sind Einsturzstollen (Minen im älteren Sinn) wohl eher nicht vor den Zwingergräben gebuddelt worden, sondern direkt von der Grabensohle aus. Je dicker/mächtiger eine Bollwerksmauer, umso weniger Schaden richten partielle Einsturzstellen aus (während eine "normalen" Belagerung war nicht die Zeit, allzu umfangreiche Hohlräume auszugraben) . In diesem Sinn kann der vorgelagerte Tolus die Wirksamkeit von Einsturzstollen gemindert haben.
- komplizierter wird es mit Sapphen, Minen, Rikoschett- & Breschierbatterien in der "Festungszeit" (Dürer - Vauban), da finden sich Minen schon vor dem Glacis, weitergezogen bis unter relevante Hauptverteidigungswerke (und dabei ggf auch unter den Gräben)
 
Es gab eine hochinnovative Befestigungsmethode gegen das unterirdische Unterminieren, die ich aber nur von der Stadtmauer von Köln kenne. Die Kölner haben zumindest in einzelnen Abschnitten ihrer Stadtmauer einfach Bögen eingebaut (bei Thomas Biller, Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen, findet sich eine Darstellung). Wurde nun der Mauerabschnitt untergraben, bewahrte der Bogen das Mauerwerk, das über ihm lag und auf ihm ruhte, vor dem Einsturz (vorausgesetzt die Mineure haben nicht direkt den Ansatzpunkt des Bogens zerstört).
 
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