Habe meinen Text grad schnell auf .txt gesichert, wo ich ja Löschung fürchten muß. Was "Living History" sei, ist mir unbewußt - ich komme von der "SOCIETAS CVRIOSA / Anno 1706" und da ist Teütsch Hauptsprache!! In der Praxis schreiben wir komplizierte Beiträge aber deutsch, weil der gewöhnliche Leser des 21.Jahrhunderts sonst überfordert würde. - Mein Auftakt hier soll nur verdeutlichen, wie sich die galante Generation, seelig, fühlen muß, wo sie von so vielen ungerechten Klischees überpflastert wird, nur weil die Nachgeborenen es schick finden. Der Text ist eine Klage über diesen Umstand, wenn man genau nachliest.
"Thesen" ist gut. Ich bitte darum, die Gemälde des 18.Jahrhunderts genau anzuschauen, ob da jemand weiß geschminkt gewesen sei (abgesehen von Harlekinen o.ä.). Ich persönlich kenne mich nur in der galanten Epoche (um 1700, also vor dem Rokoko) aus und da ist man recht sittenstreng und tadelt Übertreibungen (Mode, Schminke, kokettes Auftreten ect.). Jede Zeit hatte/hat ihre Paradisvögel, was aber nichts am breiten Strom der Normalität ändert (der um 1700 unbarmherzig streng ist). Ich habe in der SOCIETAS CVRIOSA kürzlich einen Artikel über Galanterie verfaßt. Entgegen dem verbreiteten Vorurteil ist dies keineswegs "Zuvorkommenheit gegenüber Frauen", sondern ein strenger Sittenkodex gewesen, der für alle Geschlechter galt. Wer da über die Stränge schlug war schnell ausgeschlossen.
Perücken: Es kommt auf die Zeit an. Um etwa 1670 trug der Cavalier das Naturhaar lang. Um 1700 ist die Peruque bereits standart - eigentlich aber nicht weiß, sondern in Naturhaarfarben. Zu Mozarts Zeiten hat man die Haare offenbar stark gepudert, da sieht man ja die weißen Frisuren. Aber das ist eine ganz andere Zeit, mit einem völlig anderen Lebensgefühl (wo Demoiselle entweder unter der Erde, oder steinalt sein wird
). Gepudert wird von einigen um 1700 sogar der Rock des Cavaliers (Justeaucorps), nach Taubert nennt man das dann "einen Staat machen", weil man sich so höfisch fühlt. Aber daß die Leute ganz weiß sind, sollte mich wunder nehmen. Baß ist man durchaus, weil Sonnenbräune den höheren Ständen nicht gemäß angesehen wird. Dementsprechend meiden auch Bürgerliche die Sonne. Extremes Schminken führt zu Gerede und begünstigt sozialen Ausschluß! Bei den Herren ist das eigentlich undenkbar, außer an Höfen, wo homosexuelle Kreise toleriert wurden. Das gemeine Volk war da sehr schnell mit Steinen.
Ich persönlich meide den Ausdruck "Barock" wie der Teufel das Weihwasser. Er besagt nichts, sondern transportiert schrecklich viele Klischees, die teilweise falsch sind. Wenn man das Rokoko mit zum Barock zählt, packt man völlig gegensätzliche Zeitströmungen in einen Karton, von 1600 bis 1770/80.
Ja, ich habe schrecklich viele Quellen, lese eigentlich nur Originalliteratur um 1700. Wir verwenden in der SOCIETAS auch originale Wörterbücher (vor allem Johann Leonhard Frisch). Meine wichtigste Literatur sind aber die Bücher der alten Tanzmeister des frühen 18.Jahrhunderts, vor allem Louis Bonin und Gottfried Taubert. - Ich könnte jetzt einen Link in die SOCIETAS setzten, habe aber hier gelesen, daß man das nicht dürfe. Verweise also auf mein Profil, denn man kommt über meine Homepage in die SOCIETAS CVRIOSA. Ich möchte mich hier nicht wiederholen, will aber gern neue Aspekte beleuchten.
Leider verhindert das Urhebergesetzt vielfach Information. Gern würde ich alte Bilder einscanen und ins Netz stellen (von CDs oder Büchern ect.), aber das darf man ja nicht.
Für die Zeit um 1700 kann ich mit Bestimmtheit sagen, daß sich der normale Mensch allmorgendlich wäscht ("so guth alß ich kan", sagt Liselotte von dere Pfalz) und auch die Zähne putzt. Ich habe auch Originalbriefe, aus denen das gleiche hervorgeht. In einem Fall wird die sogar die Tischwäsche täglich gewechselt - die Unterwäsche (Weißzeügs) dreimal pro Woche. - Von Liselotte weiß ich, daß es bei Hof einzelne gibt die stinken, weil sie unsauber sind. Das fällt aber sehr offensichtlich auf.
Wir dürfen nicht vergessen, daß das 19.Jahrhundert das ancienne Regime verachtete, verspottete und schrecklich viele Vorurteile schuf, die heute noch populär sind und schwer auszurotten. Wenn ich diese Dinge demonstativ perönlich nehme, um mich in der Rolle des reinkarnierten Barockmenschen darüber zu beklagen, bin ich nur bemüht, ein wenig Alltagsrealität beispielhaft zu inszenieren. Die Haltung, die ich da in Originalsprache zum Ausdruck gebracht habe ist authentisch. Das sind typische Denkkathegorien einer galanten Dame um 1700. Ob man um 1750 völlig konträr denken wird, das Abendland quazie in eine hemmungslose Orgie abdrifteten möchte, weiß ich nicht. Ich zweifle aber sehr daran, weil ich die falschen Klischees, die man der galanten Epoche unterstellt, ja auch gehört habe.
Ich kann mich in der galanten Epoche nur dann einleben, die Gedanken dieser Zeit mitfühlen lernen, wenn ich mich auf sie beschränke. In unserer SOCIETAS versuche ich immer, Leute zu motivieren, eine andere Zeit zu wählen, um dort Spezialwissen zu erlangen. Leider ist mir das noch nicht gelungen und so folgt man mir brav ins Anno 1706 (in 3 Monaten 1707).
Ew. allerdienstfertigste Magd
Demoiselle Amelise