In der Kommentierung zu dem Vorgang schreibt Römer u.a.: "
Die grundlegende Bestimmung besagte, daß "Straftaten feindlicher Zivilpersonen" der "Zuständigkeit der Kriegsgerichte und der Standgerichte bis auf weiteres entzogen" seien. Gefangengenommene "tatverdächtige Elemente" sollten dem nächsten Offizier vorgeführt werden, der umgehend darüber zu entscheiden hatte, "ob sie zu erschießen" seien. Die Festnahme und Verwahrung "verdächtige[r] Täter [!]" wurde "ausdrücklich verboten". Für den Fall, daß nach Angriffen auf die Truppe keine Täter greifbar waren, gestand der Gerichtsbarkeitserlaß außerdem allen Truppenführern vom Bataillonskommandeur aufwärts das Recht zu, "kollektive Gewaltmaßnahmen" zu veranlassen"
Einführung Erlaß über die Ausübung der Kriegsgerichtsbarkeit im Gebiet Barbarossa und über besondere Maßnahmen der Truppe [Kriegsgerichtsbarkeitserlaß], 13. Mai 1941 / Bayerische Staatsbibliothek (BSB, München)
Der "scharfe Führererlass" fand seinen 1. Ausdruck im Erlaß zur Kriegsgerichtsbarkeit vom 13. Mai 1941 und wurde von Keitel am 16. September 1941 spezfiziert(vgl. Dokument 19 in Meyer S.80 ff). Keitel verweist darin auf die bisher nicht ausreichend harte Umsetzung und das Entstehen einer zentral gelenkten "kommunistischen Massenbewegung", die durch Aufruhr der Besatzungsmacht Schwierigkeiten bereiten will.
Vor diesem Hintergrund hat der Führer angeordnet, so Keitel, dass überall mit schärfsten Mitteln vorgegangen werden soll. "Bei jedem Vorfall der Auflehnung gegen die deutsche Besatzungsmacht, gleichgültig wie die Umstände im einzelnen liegen muss auf kommunistische Ursprünge geschlossen werden. .....Dabei ist zu bedenken, dass ein Menschenleben in den betroffenen Ländern vielfach nichts gilt und eine abschreckende Wirkung nur durch ungewöhnliche Härte erreicht werden kann."
Dabei galt das Verhältnis, dass für einen getöteten deutschen Soldaten "50 - 100 Kommunisten" getötet werden sollen.
"Soweit ausnahmsweise kriegsgerichtliche Verfahren in Verbindung mit kommunistischen Aufruhr ....anhängig gemacht werden sollten, sind die schärfsten Strafen geboten." Und das bedeutete in jedem Fall die Todesstrafe, meisten ohne Gerichtsverfahren oder in seltenen Fällen durch ein Kriegsgerichtsverfahren.
In der konkreten Situation, so Pohl (S. 158ff) bedeutete es, dass durch beispielsweise Ausbeutung der Landwirtschaft auf Kosten der Bevölkerung, es zu Hungerunruhen in den besetzten Gebieten kam und Keitel vorschlug, in den Dörfern, wo sich der Unmut deutlich zeigte, Massenerschießungen durchzuführen.
Für die generelle Praxis der Kriegsführung in der Sowjetunion bedeutete es, dass durch die bei Bartov (Hitlers Wehrmacht etc.) und anderen beschriebene Brutalisierung der Kriegsführung und die "Pervertierung der Disziplin (ebd. S. 93ff), inklusive dem teilweisen Zusammenbrechen der militärischen Disziplin an manchen Frontabschnitten, es zu einem rechtsfreien Raum kam. Dieses trat das erste Mal sehr deutlich im Winter 1941 vor Moskau auf.
Gleichzeitig: Ein großer Teil der Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung wurde nie vor einem Kriegsgericht verhandelt, weil der "Gerichtsherr" vor Ort auf eine Strafverfolgung gegen deutsche Soldaten, die diese Straftaten zu verantworten hatten, verzichtet haben. Teilweise auch, weil in bestimmten extremen und kritischen Situationen diese Disziplin auch nicht mehr durchsetzbar war.
Die Nichtverfolgung bedeutete aber auch, dass die Offiziere an der Front im Geist des Führerbefehls und der Ausführungsbestimmungen von Keitel agiert haben. Dabei ist jedoch eine breite Bandbreite an ablehnendem und an zustimmendem Verhalten bzw. Umsetzen dieser Befehle zu erkennen gewesen.
Und man muss erneut darauf hinweisen, dass dieses ein Bruch im Selbstverständnis der Kriegsgerichtsbarkeit für die Wehrmacht nach dem September 1939 war.
Und Römer resümiert:
"Folglich wurde der Kriegsgerichtsbarkeitserlaß in nahezu allen Verbänden des Ostheeres befehlsgemäß umgesetzt. Stichproben aus den Akten der deutschen Truppen zeigen, daß fast alle Einheiten früher oder später von ihrem Recht Gebrauch machten, verfahrenslose Exekutionen gegen Zivilisten, Verdächtige oder Partisanen zu vollstrecken."
Meyer, Gert; Bezymenskiĭ, Lew (1997): Wehrmachtsverbrechen. Dokumente aus sowjetischen Archiven. Köln: PapyRossa.
Pohl, Dieter (2009): Die Herrschaft der Wehrmacht. Deutsche Militärbesatzung und einheimische Bevölkerung in der Sowjetunion 1941-1944. 2. Aufl. München: Oldenbourg