Wie schon 1918/19, wo das Deutsche Reich letztlich noch nicht einmal militärisch besiegt war. Die Front war im Oktober 1918 noch immer nicht zerbrochen. Mein Großvater geriet Anfang 10/1918 vor der Hermannstellung südöstlich Cambrai in Gefangenschaft. Er schildert in seinen Kriegsbriefen von Defaitismus und Aufgabewillen rein garnichts, obwohl sonst kritisch in seinen Beurteilungen der Lage.
Das ist sicherlich eine sehr einseitige Sichtweise, die kaum der aktuellen Forschung entspricht. Richtig ist, wie Strachan [3] betont, dass die Kampftruppen in 1918 noch eine gewisse Qualität besaßen und noch begrenzt intakt waren.
Das Argument geht aber an der politischen und wirtschaftlichen Realität im Reich und an der geostrategischen Verschiebung im Jahr zu Gunsten der Entente vorbei. Das zentrale Argument für Ludendorff zur Beendigung der Kämpfe war, dass sich die militärische Niederlage von Ö-U deutlich abzeichnete und dass Bulgarien kapitulierte.
Solche "Kleinigkeiten" übersieht "Adolina" in der Beurteilung der militärischen Situation 1918.
Aus dem militärischen Zusammenbruch der Front auf dem Balkan resultierte die Gefahr für 1919, dass sich eine deutsche "Südfront" abzeichnete, die zu einer endgültigen Überanstrengung der militärischen Mittel geführt hätte.
Das Deutsche Reich war Ende 1918 militärisch besiegt, allerdings wäre es ähnlich wie im WW2 noch in der Lage gewesen, hinhaltend einen weiteren Krieg defensiv zu führen.
Dass sich in Deutschland zudem die Frage massiv in den Vordergrund drängte, für welche Interessen dieser Krieg geführt wurde und sich daraus ein zunehmender gesellschaftlicher Widerstand entwickelte, sei am Rande erwähnt. Wer will schon sinnlos für sinnfreie Kriegsziele sterben?
Ansonsten zur Frage der psychologischen Befindlichkeit:
Die wohl wichtigste Quelle stellen die Briefe dar, die von der Front nach Hause und von zu Hause an die Soldaten geschickt worden sind. Sowohl auf deutscher [1] wie auch auf französischer Seite [2] wurde diese Briefe gelesen, zensiert und und eventuell nicht zugestellt. Teilweise wohl auch als Grundlage für weitere militärrechtliche Verfolgungen herangezogen, sofern relevante Ereignisse geschildert worden sind.
Insgesamt ist für die deutsche und die französische Seite interessant zu sehen, dass das Feindbild in Bezug auf den Gegner im Schützengraber nicht so ausgeprägt war. Relevanter war für die deutschen und die französichen Soldaten die distanzierte Wahrnehmung der Ereignisse in der Heimat.
Von Hobohm (Schüler von Delbrück) wurde für die Armee in 1929 im Rahmen des parlamentarischen Untersuchungsausschuss über "Die Ursachen des deutschen Zusammenbruchs" die zentralen Erkenntnisse formuliert.
Insgesamt zeichnete sich eine generelle Erschöpfung ab, die über die Jahre zugenommen hatte. Gleichzeitig betont Ziemann einen zweiten Aspekt, dass die Moral der deutschen Soldaten, neben diesem generellen Trend, situativen Einflüssen unterworfen war [1, S. 167/168]
Vor diesem Hintergrund hatte die Kriegsmüdigkeit der Soldaten im Verlauf des Jahres 1917 eine bisher nicht gekannte Intensität erhalten. Ein Aspekt, der auch auf der französischen Seite zu intensiven Befürchtungen führte, dass die Fronteinheiten in 1917 zur "Fraternisierung" neigen würde [2, S. 205]. Ein Verhalten, das wohl an der Tagesordnung war, allerdings unter strenge Bestrafung gestellt wurde.
Mit dem Ausscheiden von Russland Ende 1917 veränderte sich diese Bewertung und man ging davon aus, dass es in 1918 einen finalen Kraftakt geben würde, der den "Sieg-Frieden" bringen würde [1, S. 169].
Vor diesem Hintergrund lehnten die deutschen Soldaten an der Front die "Januarstreiks" im Jahr 1918 überwiegend ab, da sie in diesen Aktionen lediglich eine Verlängerung ihres Krieges sahen.
In dieser Ablehnung der Aktionen an der Heimatfront kommt zum einen die nach wie vor hohe Disziplin der Soldaten zum Ausdruck, die auch von den SPD-Mitgliedern aktiv formuliert wurde, und zum anderen erkennt man rudimentär die Ansätze für die Formulierung der "Dolchstoßlegende" [1, 170]
In Erwartung der Frühjahrsoffensive, "Michael", ging eine starke Mobilisierung der psychischen Reserven einher. Am 4. April 1918 wurde jedoch die Offensive abgebrochen, nachdem sie sehr deutliche Landgewinne erbracht hatte, allerdings auch die letzten kampfkräftigen Einheiten für offensive Operationen "ausgeblutet" hatte.
Der militärische Mißerfolg von Ludendorff strategischer Planung führte dann in der Folge zu einer noch schnelleren Motivationskrise innerhalb der Armee.
Insgesamt, so der Tenor von Ziemann, gab es abgesehen von kleinen Gruppen von USPD-Anhängern in der Armee keine aktive Agitation, die auf die aktive Zersetzung hinauslief.
"Insgesamt führten also nicht ein gebündelter Protest oder eine revolutionäre Politisierung, sondern in erster Linie eine enttäuschte Erwartung und die kollektive Erschöpfung im Herbst 1918 zum Zusammenbruch des Herrschaftssystems in der deutschen Armee an der Westfront". [1, 181]
1. B. Ziemann: Enttäuschte Erwartungen und kollektive Erschöpfung. in: Duppler & Groß (Hrsg) Kriegsende 1918, S. 165 ff
2. A. Bach: Die Stimmungslage der an der französischen Front 1917 bis 1918 eingesetzten Soldaten nach den Unterlagen der Briefzensur. in: Duppler & Groß (Hrsg) Kriegsende 1918, S. 201 ff
3. H. Strachan: Einführende Bemerkungen, in: Duppler & Groß (Hrsg) Kriegsende 1918, S. 109 ff