Ich war im Juni 2001 im Oblast Kaliningrad, sowohl in der Stadt als auch am Land. Und das, was ich gesehen habe, hat mich zutiefst erschüttert. Die Stadt ist in einem unbeschreiblichen Zustand des Verfalls, ganze Straßenzüge bestehen nur als Löchern und Schutt, Schiffe verotten im Hafen. Die Menschen, vor allem Alte und Kindern, betteln für ihr Auskommen, viele liegen schon am Vormittag sturzbetrunken am Straßenrand.
Nur vereinzelt gibt es Zeichen von Aufschwung, ein Stadtviertel unterscheidet sich sogar fundamental vom Rest Kaliningrads, hier gibt es renovierte Häuser, überwiegen Villen aus der Jahrhundertwende, selbstverständlich streng bewacht.
Zwei "Wahrzeichen" markieren den Zustand der ehemaligen Metropole Ostpreussens. An Stelle der in den 60er Jahren gesprengten Schlossruine erhebt sich der unvollendete Torso des "Hauses der Sowjets", ein gigantischer Betonkubus mit leeren Fensterhöhlen, unvorstellbar verkommen obwohl noch keine 30 Jahre alt. In dieser Ruine hausen nun die ärmsten der Armen, unser Kaliningrader Fahrer hat erklärt dass sich niemand in dieses Gebäude wagt.
Nicht weit entfernt davon die Ruine des Doms, ein Zeichen des Neubeginns. Die beiden Turmkapellen sind schon wieder fertiggestellt und werden religiös genutzt - die eine Kapelle russisch-orthodox, die andere lutherisch. Im Westwerk der Kirche befindet sich jetzt ein Museum der Geschichte Königsbergs (sic!) sowie ein Gedenkraum für Kant. Das Hauptschiff ist nachwievor voll Schutt, aber ein neues Dach gibt es zumindes schon.
Rund um die Kirche findet man heute noch die alten Straßenzüge und Gehsteige des einstigen Zentrums, nur kein einziges Haus steht mehr.
Die Situation am Land ist noch schlimmer. Man fährt überwiegend durch ehemaliges fruchtbares Ackerland das nicht mehr bebaut wird. Auf den ersten Blick zwar wunderschön - Wildblumen, Sträucher und noch junge Bäume bedecken die Landschaft, doch ist gerade diese Vegetation ein Zeichen dafür dass seit wenigen Jahren hier nichts mehr gesät und geernet wird.
Überall finden sich noch die Reste der alten preussischen Dörfer: neugotische Kirchen, Turmruinen, Schilder in deutscher Sprache. Relativ wenige Menschen waren zu sehen, und die wenigen in sehr schlechtem Zustand - ein junges Mädchen stand am Straßenrand, vielleicht 14, 15 Jahre alt. Ich hab noch nie derartig erloschene Augen gesehen!
Ein wahrer Schock war dann die Fahrt entlang der kurischen Nehrung nach Litauen. In der Mitte der Landzunge befindet sich die Grenze (mehrstündige Wartezeit trotz wenig Verkehrs) - der Unterschied zwischen diesen Ländern war gewaltig! Auf Kaliningrader Seite bis zum Grenzübergang das Bild des Verfalls, in Litauen das eines unglaublichen Aufschwungs! Wenige 100m trennen die Dörfer - verfallene Häuser mit von Gestrüpp überwucherten Vorgärten in Kalingrad, hübsch bemalte Holzhäuser, neue Straßen, Strandkonzerte und Galerien im litauischen Nida. Man fühlte sich wie in einer vollkommen anderen Welt!
Man soll die Hoffnung für Kaliningrad nicht aufgeben, es gibt zum Glück schon erste Zeichen eines beginnenden Neuanfangs, ich bin mir sicher dass es heute schon besser ist als noch vor drei Jahren. Eine Diskussion über eine Grenzrevision ist aber das letzte was dieses Gebiet braucht - eine Sonderstatus in der EU wäre da viel sinnvoller.