Arabische Sibilanten
(das ist das witzige, die Araber gaben das iberolateinische /s/ als <š> wieder*, die Spanier dann unterschieden das arabische /š/, dass sie mit <x> wiedergaben und das /s/, welches sie mit <s> wiedergaben)
Wie konsistent ist diese Wiedergabe eigentlich insgesamt und kann man sie datieren?
Über die Aussprache des Arabischen des 8. Jhs. wissen wir dank der akribischen Arbeit der arabischen Grammatiker – insbesondere Sībawayhis – ungemein mehr, als über die Aussprache der antiken semitischen Sprachen.
Das vielleicht faszinierendste Werk überhaupt stellt Sībawayhis
kitāb dar; er selbst hat sich damit als einer der größten vormodernen Sprachwissenschaftler ausgewiesen. Wirklich überholt ist es selbst heute nicht. Man kann man im arabischen Original und verschiedenen Übersetzungen
hier finden, falls sich jemand dafür interessiert.
Um etwas zurück zum Thema zu finden und weil Du das arabische
š angesprochen hast: Sībawayhi gibt dafür denselben Artikulationsort wie für
ǧ und
y an, wobei er wohl eine palatale Aussprache im Sinn hat ("Die Mitte der Zunge zwischen ihr und der Mitte des oberen Gaumens ist der Artikulationsort von
ǧīm,
šīn und
yāʾ", "
ومن وَسَطِ اللسان بينه وبين وَسَط الحَنَك الأعلى مُخْرَجُ الجيم والشين والياء").
Für
y (= [j] in konsonantischer Artikulation) ist das aus Sicht des modernen Standardarabischen (MSA) vollkommen klar, nicht aber für
ǧ und
š. Das arabische
ǧ (= [dʒ] in MSA) ist natürlich durch Palatalisierung aus dem protosemitischen *
g entstanden und hat in den heutigen arabischen Dialekten eine Vielzahl von möglichen Allophonen, so u.a.: im Maghreb und in der Levante [ʒ], wahrscheinlich durch Deaffrikatisierung aus [dʒ] entstanden; im Ägyptischen und im Jemenitischen typisch [g] (das ist archaisch!); im Golfarabischen und MSA typischerweise als [dʒ]; in manchen jemenitischen und sudanesischen Dialekten als [ɟ]. Bis auf [ʒ], was vermutlich spät aus [dʒ] entstanden ist, sind das alles stimmhafte Plosive. Am Palatum artikuliert wird davon allein [ɟ], was wohl auch die Aussprache ist, die Sībawayhi im Sinn hatte.
Das arabische
š geht dagegen auf protosemitisches
ś (= [tɬ] bzw. [ɬ]) zurück. Im heutigen MSA wird es als [ʃ] ausgesprochen. /ɬ/ und /ʃ/ haben beide gemeinsam, dass es stimmmlose Frikative sind. Sofern man das als distinktive Merkmale annimmt, dann ist deren palatale Variante [ç] und durchaus eine plausible Zwischenform. Ich denke, das ist eine vernünftige Grundlage, um anzunehmen, dass die normative Aussprache von
š im 8. Jh. durchaus [ç] gewesen sein könnte. Zu derselben Schlussfolgerung kommt Watson (2002: 2f.), sich wiederum auf Sībawayhi und Lipiński (1997: § 14.4, §16.5) berufend. Allerdings stimme ich weder mit mit Watson (2002: 15) noch mit Lipiński (1997: § 14.4) überein, dass arabisches
s zu Sībawayhis Zeiten als [ʃ] artikuliert worden sein soll. Das nimmt neuere Erkenntnisse der Semitistik nicht zur Kenntnis und lässt sich meines Erachtens auch nicht bei Sībawayhi ableiten. Ich sehe keinen Grund eine andere Aussprache als
anzunehmen.
Interessanterweise legt Sībawayhis Beschreibung von ḍ (= protosemitisch ṣ́, die emphatische Variante von ś) noch eine laterale Aussprache als [dɮˤ] oder [ɮˤ] und eben nicht als emphatisches d nahe. Versteegh (1997: 89) und Knauf (2010: 214) versuchen eine solche Aussprache an u.a. spanischen Lehnwörtern wie alcalde (von arab. al-qaḍī) zu belegen. Während diese Deutung etwas unsicher ist, hat Al-Azraqi (2010) diese Aussprache noch heute im Südwesten Saudi-Arabiens nachgewiesen.
Ich will jedenfalls sagen, die Dialektsituation war im 8. Jh. schon komplex; und man sollte vorsichtig sein, die Aussprache des modernen Standardarabischen (sofern sie überhaupt einheitlich ist) bedenkenlos in das 8. Jh. zurückzuprojezieren. Allerdings kenne ich mich mit andalusischem Arabisch auch nicht aus. Auf jeden Fall verdient es sicherlich einen genaueren Blick.
N.B.: Ich werde noch einen Beitrag, der Dir und Water bezüglich des nordwestsemitischen š anwortet, nachliefern.
Zitierte Literatur:
Al-Azraqi, M. (2010). The ancient ḍād in Southwest Saudi Arabia. Arabica, 57(1), 57–67. doi:10.1163/057053910X12625688929147.
Knauf, E. A. (2010). Arabo-Aramaic and ʿArabiyya: From Ancient Arabic to Early Standard Arabic, 200 CE–600 CE. In: A. Neuwirth, N. Sinai & M. Marx (Hrsg.), The Qurʾān in context: Historical and literary investigations into the Qurʾānic milieu, S. 197–254. Leiden und Boston: Brill.
Lipiński, E. (1997). Semitic languages: Outline of a comparative grammar. Löwen: Peeters.
Versteegh, K. (1997). The Arabic language. Edingburgh: Edingburgh University Press.
Watson, J. C. E. (2002). The phonology and morphology of Arabic. Oxford u.a.: Oxford University Press.