Die kleine belgische Armee leistete weitaus zäheren und effektiveren Widerstand, als die deutschen Militärs erwarteten, womit auch das Zeitfenster für den Schlieffenplan durcheinander geriet. Die Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung in Belgien sind auch unter dem Eindruck des Scheiterns des Feldzugsplanes im Westen zu sehen. Viele Militärs fürchteten, die Belgier könnten die Trinkwasservorräte vergiften, dafür wurden zahlreiche Weinkeller erbeutet. All diese Faktoren trugen zu Übergriffen gegen belgische Zivilbevölkerung bei. Spät erst versuchten deutsche Militärs ihren Ruf als Barbaren und Hunnen zu korrigieren-allerdings mit bescheidenem Erfolg.
Die Eskalation ist gut beschrieben und zeigt die Muster, wie Gewalt in Kriegen in einer Spirale aus Gewalt enden können. Ähnliche Formen der eskalierenden Gewalt finden sich im amerikanischen Bürgerkrieg und während des Burenkriegs. Soweit zu den verallgemeinerungsfähigen Gemeinsamkeiten.
Bei Hull findet sich im Gegensatz dazu die Argumentation, dass sich die Gewaltanwendung durch die Armee des DR - auch 1914 - systematisch erklären läßt und von der Kriegsführung der demokratischen Staaten abweicht. Sie nimmt dabei auch Bezug auf die Kriegsführung des DR in SWA.
Die Ursache für die militärimmanente Eskalation der Gewalt im DR sieht sie - verkürzt dargestellt - durch zwei Faktoren erklärt.
1. Die kaiserliche Kommandogewalt und die damit zusammenhängende relativ autonome Handlungsweisen ermöglicht dem Militär unkontrolliert durch zivile Behörden und durch die öffentliche Meinung zu agieren.
2. Eine zentrale Kategorie im militärischen Werte- und Normensystem ist die
"militärische Notwendigkeit". Sie wird, so Hull, im Sinne von: Der Zweck heiligt die Mittel" herangezogen, um die Handlungen des Militärs zu legitimieren. Auch in der Konsequenz, dass damit eine bewußte Verletzung von Rechtnormen des internationalen Rechts in Kauf genommen wird.
Dass die belgische Armee dem deutschen Druck nach einer wohlwollenden Neutralität nicht nachgekommen ist, erzwang förmlich eine harte Form der Durchsetzung der militärischen Ziele gegen die Armee und gegen die Zivilbevölkerung.
Zumal KW II im Vorfeld des WW1 den Monarchen von Belgien und von Dänemark deutlich signalisiert hatte, dass die Länder 24 Stunden Zeit hätten sie für oder gegen das DR zu entscheiden.
Hull, Isabel V. (2005): Absolute destruction. Military culture and the practices of war in imperial Germany. Ithaca, London: Cornell University Press.
Hull, Isabel V. (2014): A scrap of paper. Breaking and making international law during the Great War. Ithaca: Cornell University Press.
Hull, Isabell von (2008): "Military necessity” and the laws of war in Imperial Germany. In: Ian Shapiro, Stathis N. Kalyvas und Tarek E. Masoud (Hg.): Order, conflict, and violence. Cambridge, UK, New York: Cambridge University Press, S. 352–377.