Ruinendichte in der vorindustriellen Zeit in Deutschland

rrttdd

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Hallo,

ich frage mich gerade wie viele Ruinen (Schlösser, Burgen, Kirchen, Klöster) vor der Zeit der Industrialisierung in Deutschland herumstanden. Oft liest man ja "Burg X/Anlage Y" wurde in Krieg sowieso zerstört und über die nächsten Jahrhunderte von der ortsansässigen Bevölkerung abgetragen, welche günstiges Baumaterial für ihre Häuser suchte. Gefühlt kam das doch ständig vor. Und gefühlt gab es ständig irgendwelche Auseinandersetzungen, bei denen eine Burg geschleift wurde.

D.h. es muss in fast jeder Gegend, oft an exponierter Stelle, irgendwelche kaputtgeschossenen Reste von Burgen gegeben haben. Ein gezielter Abbruch/Rückbau fand nicht statt. Jeder, der in einem Dorf irgendwas bauen wollte, ist dann mit einem Ochsenfuhrwerk "hoch zur alten Burg" und hat sich dort Steine geholt.

Irgendwann im 19. Jahrhundert wurde das dann gestoppt und es entwickelten sich frühe Ansätze zu Denkmalschutz. Das muss aber doch einen riesigen Aufschrei in der Bevölkerung gegeben haben, wenn man ihnen plötzlich aus Gründen von Denkmalschutz und Ruinenromantik verboten hat, die Ruine weiter abzutragen?

Vgl. Wikipedia, Heidelberger Schloss:
Im Jahr 1777 verlegte Kurfürst Karl Theodor seine Residenz von Mannheim nach München. Damit verlor er das Heidelberger Schloss noch mehr aus den Augen. Die überdachten Räume wurden nun von Handwerksbetrieben genutzt. Schon 1767 hatte man begonnen, die Quader des Südwalles als Baumaterial für das Schwetzinger Schloss zu verwenden. Im Jahr 1784 wurden gar die Gewölbe im Erdgeschoss des Ottheinrichsbaus eingelegt und das Schloss als Steinbruch verwendet.

Durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 gingen Heidelberg und Mannheim an Baden über. Der große Gebietszuwachs war Großherzog Karl Friedrich willkommen, das Heidelberger Schloss betrachtete er jedoch als unerwünschte Zugabe. Die Bauten verfielen, Heidelberger Bürger holten aus dem Schloss Steine, Holz und Eisen zum Bau ihrer Häuser. Auch Figuren und Verzierungen wurden abgeschlagen. August von Kotzebue äußerte sich 1803 voller Empörung über die Absicht der badischen Regierung, die Ruinen abtragen zu lassen. Das zerstörte Schloss wurde am Beginn des 19. Jahrhunderts zum Sinnbild für die patriotische Gesinnung, die sich gegen die napoleonische Unterdrückung richtete.
 
Geschätzte 25.000 Burgen sind nachweisbar. Steinraub ist mit Sicherheit der wichtigste Grund für den Verlust historischer Bausubstanz gewesen - weit vor Krieg, Erdbeben, Seebeben und natürlichem Zerfall. Noch im 19. Jahrhundert wurde ganze antike oder mittelalterliche Bauwerke abgetragen, um Material für Neubauten zu gewinnen - auch vom Staate.
 
Allerdings müssten ein paar günstige Bedingungen vorhanden sein, um verlassene, aufgelassene oder durch Kriege zerstörte Burgen und Klöster als Steinbrüche ausschlachten zu können:
- keine zu ungünstige, zu beschwerliche Lage
- brauchbare Transportwege
- kein Eigentümer, der an seiner ramponierten Immobilie festhält (also mussten vorab die Besitzverhältnisse geklärt sein)

Gar nicht so selten war im Spätmittelalter, dass kleinere Adelshäuser aus ihrer unbequemen abseits gelegenen Burg in ein Stadtpalais zogen und ihre Burg sich selbst überließen, da sich keine Käufer fanden. Ebenfalls oft symptomatisch war der quasi amtliche, behördliche Abriss einer ramponierten ungenutzten Adelsimmobilie: niemand geringerem als den Hohenzollern gehörte ab 1381 die Weilerburg (Rottenburg) – Wikipedia und im Link kann man lesen, wofür sie später genutzt wurde.
 
D.h. es muss in fast jeder Gegend, oft an exponierter Stelle, irgendwelche kaputtgeschossenen Reste von Burgen gegeben haben. Ein gezielter Abbruch/Rückbau fand nicht statt
Mitunter doch.

In der Gegend, aus der ich komme, gibt es eine Burganlage, bzw. Reste davon, die auf das Hochmittelalter zurückgeht, die allerdings natürlich der Waffentechnik in der frühen Neuzeit nicht mehr gewachsen war und wohl während des 30-Jährigen Krieges auch massiv beschädigt wurde.

Tatsächlich ist es wohl so, dass nicht allzu lange danach der mit der Verwaltung dieser Anlage und anderer Anlagen in der Gegen betraute Drost (= in etwa "Verwalter"), selbst es war, der beim Landesherren die Aufgabe und den weitgehenden Abbruch der Anlage erwirkt hatte, weil sie eben offensichtlich nutzlos geworden war.
Die Reste der Burg blieben dann an die 200 Jahre oder etwas mehr, mehr oder weniger brach liegen, bis dann im 19. jahrhundert der Historismus und die Mittelalterbegeisterung aufkamen und Geld in die Hand genommen wurde um die Burganlage wieder herzurichten (allerdings nicht orriginalgetreu, sondern nach den Vorstellungen des 19. Jahrhunderts, was dann später teilweise wieder rückgängig gemacht wurde.

Heute ist die Burg ein beliebtes Ausflugsziel in der Gegend.

Ist jetzt kein empirischer Nachweis dafür, wie oft es vorkam, dass ein offiziell angeordneter Rückbau durch einen Verwalter etc. stattfand, aber in diesem Fall war es durchaus so, dass die Anlag wohl als nutzlos empfunden wurde und man für das Baumaterial wohl bessere Verwendugszwecke hatte.
Rückbau wird in vielen Fällen eher "wild" stattgefunden haben, aber es gibt auch Beispiele in denen die Obrigkeit das offiziell genehmigte und das wohl auch von Oben auf Betreiben der Verwalter ausführen ließ.
 
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Irgendwann im 19. Jahrhundert wurde das dann gestoppt und es entwickelten sich frühe Ansätze zu Denkmalschutz. Das muss aber doch einen riesigen Aufschrei in der Bevölkerung gegeben haben, wenn man ihnen plötzlich aus Gründen von Denkmalschutz und Ruinenromantik verboten hat, die Ruine weiter abzutragen?
Weil ich das vorhin übersehen hatte, zum Aufschrei:

Es ist keineswegs so, dass die Wiederverwendung alter Bausubstanz, sofern sie noch vorhanden war, im 19. Jahrhundert wegen des aufkommenden Denkmalschutzes etc. nicht mehr stattfand.
Es wurden zwar Burgruinen mehr und mehr unter Schutz genommen, dafür wurden im 19. Jahrhundert aber allerorten die Stadtmauern der Städte abgebrochen, weil sie der Expansion der Orrtschaften im Zuge der Industrialisierung im Weg waren.
In Wien werden z.B. ab den 1850er Jahren die alten Stadtbefestigungen geschleift, und bis Ende des 19. Jahrhunderts ensteht auf dem frei gewordenen Areal die "Ringstraße" auch an anderen Städten kann man die selbe Entwicklung nachvollziehen und die mittelaltelichen Grundrisse, wo die Stadtmauer stand noch heute aus Straßenverläufen und der Draufsicht erkennen (die Innenstaadt von Dortmund wäre ein Beispiel, an dem man es schön sehen kann).

Davon abgesehen, war das nutzen alter Burgen als Steinbrüche, ja durchaus kein Recht, was der Bevölkerung zugestanden hätte, sofern noch ein Eigentümer vorhanden war.
Nur weil eine Burg nicht mehr bewohnt und beschädgt war, war sie ja nicht auf einmal heerrenlose Allemende, an der sich jeder bedienen konnte.
Sicherlich passierte es auch schonmal, das die Geschlechter, denen das mal gehörte vollständig ausstarben und damit dannn kein Greifbarer Besitzer mehr vorhanden war, aber das wird zum einen eine Seltenheit gewesen sein, zum Anderen dürfte, wenn solche Fälle bekannt wurden sicherlich auch der Landesherr versucht haben, dass irgndwie als Eigentum an sich zu ziehen -könnte ja noch was wert sein -.

Was das ausgehende 18. und beginnende 19. jahrhundert angeht, werden potenteille Besitzer entsprechender Ruinen mit Argusaugen darauf geachtet haben, dass da ohne ihre Zustimmung nichts weg kam.

Mit den Verwerfungen der Revolutions- und der Napoleonischen Kriege und der Mediatisierung (der Aufhebung der kleineren reichsunmittelbaren Herrschaften und de facto auch einer Teilenteignung der mediatisirten Fürsten), verloren viele kleine Dynastien vor allem im Rheinland und in Südwestdeutschland einen substanziellen Teil ihrer Rechte und auch ihrer Einkünfte (z.B. Steuereinnahmen, die sie als regierende Fürsten gehabt hatten, als mediatisierte Fürsten aber eben nicht mehr usw.).
Das dürfte nicht wenige Mediatisierte in finanzielle Nöte gebracht haben und wird sie dazu veranlasst haben, nach sämmtlichem Besitz, den sie möglicherweise irgendwo noch hatten sehr gründlich zu fahnden (egal ob alte Ruinen, irgendwelche Wälder oder sonst etwas) um da finannziell noch möglichst viel heraus zu holen oder auch sich ein ideells Kompensat für die eigene verlorene Herrschaft zu schaffen.

Hinzu kommt, dass nach den napoléeonischen Kriegen alle größeren europäischen Staaten bis über beide Ohren verschuldet waren, weil eben 25 Jahre Krieg und Zerstörung nicht spurlos an der Staatskasse vorbeigehen.
D.h. einerseits mussten von staatlicher Seite her die Steuerscharauben relativ hoch angesetzt werden, um das zu sanieren, außerdem musste der Staatsapparat (damals de facto vor allem die Armee, einige Verwaltungs- und Gerichtsposten) relativ schlank gehalten werden, so dass auch für viele kleinadlige es in der unmittlbar folgenden Zeit nicht unbedingt einfach war in den Staatsdienst einzutreten und von da ein Einkommen zu beziehen.
Um so mehr aus deren Sicht ein Grund dafür, auf eigene Ruinen, Wälder, Fischteiche etc. sehr streng die Hand zu halten um sich wenigstes Einkommen aus dem Verkauf von Baumaterialien, Brennholz, Lebensmitteln etc. zu erhalten, wenn schon die Steuereinnahmen und die Möglichkeit Titel zu verkaufen, die man als Kleinstherrscher mal hatte weg waren und lukrative Posten im Staatsdienst auch gerade nicht zu ergattern waren.
 
In Cádiz gab es bis 1898 einen Leuchtturm, der angeblich punisch gewesen sein soll (ich habe daran meine Zweifel). Dieser stand mitten in der Cádiz vorgelagerten Festung (Castillo de San Sebastián). Als der Spanisch-amerikanische Krieg 1898 ausbrach, wurde der Turm auf Festungsmauerhöhe abgebrochen, weil die Zieltechnik der damaligen Zeit es dann wohl erleichtert hätte, in die Festung zu schießen (so wurde es mir in Cádiz vor 25 Jahren erklärt).
In Sevilla und Córdoba sind an fast jeder Hausecke in der Altstadt (meist Bausubstanz aus dem 19. Jhdt.) antike Säulen verbaut, um die Ecken der meist aus Muschelkalk errichteten Häuser durch die härteren Säulen zu schützen (damit niemand „die Kurve kratzte“). Oft findet man auch in schmalen Straßen in die Mauern eingelassene Mühlsteine, die dem Schutz vor Fuhrwerken oder vor der Ladung auf Maultieren dienen sollten.
 
Burgruine...

Da fallen mir viele ein.

Aber eine der imposantesten und gewaltigsten ist zweifelsfrei die Burgruine „Regenstein“ etwas nördlich der Stadt Blankenburg/Harz.

Die Anlage ist ca.190 m lang und ca. 80 m breit. Nach den Fundamentplänen hatte die Burg 4 Tore und war durch die Höhenlage und die Burgbauten sturmfrei. In den Sandsteinfelsen wurden die Höhlen erweitert oder weitere Hohlräume geschlagen, die noch heute zu besichtigen sind.
Ein ausführliches Internetpräsens gibt einen guten Einblick in die Historie dieser Anlage:

 
Oft findet man auch in schmalen Straßen in die Mauern eingelassene Mühlsteine, die dem Schutz vor Fuhrwerken oder vor der Ladung auf Maultieren dienen sollten.
Könnte es sich um varianische Mühlsteine handeln, die von urlaubenden Germanen dereinst nach Spanien gebracht wurden um ihre Ferienhäuser damit zu verzieren?
Dann wäre nämlich endlich das große Rätsel des Verlusts und der Unauffindbarkeit von mehreren 1.000 Mühlsteinen irgendwo zwischen Rhein und Elbe geklärt.:p
 
Am Pont du Gard bei Nîmes habe ich 1972 im Wirtshausgarten meine Schorle auf einem Tisch getrunken, der den steinernen Abdeckplatten der römischen Wasserleitung so verdammt ähnlich war...

Am Vereinsheim eines Fußballvereins im Odenwald sind in der Schaufassade etliche Steine eingemauert, die ganz sicher nicht aus dem römischen Kleinkastell nebenan stammen...
 
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