Stämme der Zeitenwende: Ein Anachronismus bei Sulpicius/Gregor?

Es gibt die These, dass Sulpicius Alexander den Krieg der Franken gegen die Römer nach Vorbild der Varus-Schlacht schildert, die der spätantike Autor aus der Literatur kannte. Die Franken nehmen hier die Rolle Cherusker an, Marcomer wäre dann der neue Arminius. Chatten und Ampsivarer waren im Original aus augusteischer Zeit auch irgendwie verwickelt.
Laut Sulpicius Alexander waren, als die Franken die Römer angriffen, auf "fernen Hügeln" Chatten und Ampisivarier zu sehen. Das scheint mir eher eine Anspielung zu sein als ein Tatsachenbericht. So werden die Chatten und Ampsivarier vielleicht nur erwähnt, damit der Leser besser versteht, dass Marcomer mit Arminius verglichen wird.
Die These scheint mir doch ziemlich steil zu sein. Die Am(p)sivarier kommen - in den überlieferten Textzeugen - eh nur in der Germania vor. Ich bin zwar der festen Überzeugung, dass in Tac. ann. II, 8 anstelle von Angrivariorum defectio a tergo korrekterweise Ampsivariorum defectio a tergo stehen müsste*, weil die Angrivarier an dieser Stelle a tergo keinen Sinn ergeben, aber in Bezug auf die Varusschlacht werden weder Angri- noch Ampsivarier erwähnt, aber auch dann werden sie nicht als Augenzeugen oder gar Teilnehmer der Varusschlacht angeführt.


*In den Annalen des Tacitus kommen die Ampsivarier, die wir aber aus seiner Germania kennen, nicht vor, nur die Angrivarier. Meine Hypothese ist, dass bei einem verderbten Text, der ein verderbtes Ampsivarier (Axxxxivarier) zeigte, die später im Text vorkommenden Angrivarier an der entsprechenden Stelle „emendiert“ wurden.
 
Es gibt die These, dass Sulpicius Alexander den Krieg der Franken gegen die Römer nach Vorbild der Varus-Schlacht schildert, die der spätantike Autor aus der Literatur kannte. Die Franken nehmen hier die Rolle Cherusker an, Marcomer wäre dann der neue Arminius. Chatten und Ampsivarer waren im Original aus augusteischer Zeit auch irgendwie verwickelt.
Laut Sulpicius Alexander waren, als die Franken die Römer angriffen, auf "fernen Hügeln" Chatten und Ampisivarier zu sehen. Das scheint mir eher eine Anspielung zu sein als ein Tatsachenbericht. So werden die Chatten und Ampsivarier vielleicht nur erwähnt, damit der Leser besser versteht, dass Marcomer mit Arminius verglichen wird.
Diese These halte ich für recht gewagt. Die Varusschlacht hatte für die Römer, schon gar nicht die spätantiken, keineswegs die alles überragende Bedeutung wie für manche Deutsche der Neuzeit. Eutropius etwa erwähnte sie in seiner „Kurzgeschichte“ gar nicht, auch in der „Epitome de Caesaribus“ oder der Kaisergeschichte des Aurelius Victor kommt sie nicht vor. Das sind zwar alles eher knappe Geschichtswerke, in denen eine Erwähnung der Varusschlacht nicht unbedingt zu erwarten ist, die Nicht-Erwähnung zeigt aber dennoch, dass sie für die Römer keineswegs einen solchen Stellenwert hatte wie etwa die Schlacht bei Cannae oder auch die Niederlagen an der Cremera und bei Carrhae, die auch in kürzeren Geschichtswerken in der Regel auftauchen.

Im Übrigen beschränken sich die Parallelen zwischen beiden Schlachten darauf, dass römische Armeen in unwegsamem Gebiet von Germanen besiegt wurden. Eine Beteiligung Marcomers an der Schlacht wird überhaupt nicht explizit erwähnt. Namentlich taucht er nur zuvor beim Einfall der Franken ins Reich und danach bei der Strafexpedition des Arbogast auf. Natürlich kann man vermuten, dass er auch an der Schlacht beteiligt war, aber wenn er vom Autor zum zweiten Arminius gemacht werden sollte, wäre wohl doch eine ausdrückliche Erwähnung zu erwarten.
Die Ampsivarier und Chatten tauchen übrigens nicht in Zusammenhang mit der Niederlage der Römer auf, sondern erst bei der späteren Strafexpedition des Arbogast. In Zusammenhang mit der Varusschlacht werden sie gar nicht ausdrücklich erwähnt.
 
Diese These halte ich für recht gewagt. Die Varusschlacht hatte für die Römer, schon gar nicht die spätantiken, keineswegs die alles überragende Bedeutung wie für manche Deutsche der Neuzeit. Eutropius etwa erwähnte sie in seiner „Kurzgeschichte“ gar nicht, auch in der „Epitome de Caesaribus“ oder der Kaisergeschichte des Aurelius Victor kommt sie nicht vor. Das sind zwar alles eher knappe Geschichtswerke, in denen eine Erwähnung der Varusschlacht nicht unbedingt zu erwarten ist, die Nicht-Erwähnung zeigt aber dennoch, dass sie für die Römer keineswegs einen solchen Stellenwert hatte wie etwa die Schlacht bei Cannae oder auch die Niederlagen an der Cremera und bei Carrhae, die auch in kürzeren Geschichtswerken in der Regel auftauchen.
Im Grunde bin ich ja ganz bei dir, allerdings taucht die Varusschlacht in der suetonischen Variante bei Orosius (adversum paganos VI, um 480) auf:

Sub eodem uero tempore Quintilius Varus cum tribus legionibus a Germanis rebellantibus, mira superbia atque auaritia in subiectos agens, funditus deletus est. quam reipublicae cladem Caesar Augustus adeo grauiter tulit, ut saepe per uim doloris caput parieti conlidens clamaret Quintili Vare, redde legiones.
Sueton, um 120:

Graves ignominias cladesque duas omnino nec alibi quam in Germania accepit, Lollianam et Varianam, sed Lollianam maioris infamiae quam detrimenti, Varianam paena exitiabilem, tribus legionibus cum duce legatisque et auxiliis omnibus caesis. Hac nuntiata excubias per urbem indixit, ne quis tumultus existeret, et praesidibus provinciarum propagavit imperium, ut a peritis et assuetis socii continerentur. Vovit et magnos ludos Iovi Optimo Maximo, si res p. in meliorem statum vertisset: quod factum Cimbrico Marsicoque bello erat. Adeo denique consternatum ferunt, ut per continuos menses barba capilloque summisso caput interdum foribus illideret, vociferans: Quintili Vare, legiones redde! diemque cladis quot annis maestum habuerit ac lugubrem.

 
Hier mal das umstrittenete Zitat von Sulpicius Alexander in deutscher Übersetzung:
"Er [Arbogast] sammelte sein Heer, zog über den Rhein und verheerte das Land der Bricterer, das zunächst am Ufer des Flusses lag, dann verwüstete er auch den Gau, welchen die Chamaven bewohnten, und nirgends zeigte sich ihnen ein Feind, außer daß einige von den Amsivariern und Chatten auf den entfernteren Bergrücken unter der Anführung des Marcomer sichtbar wurden."​
Leider liegt mir nur dieser Auszug vor. In diesem einen Satz kommen immerhin gleich vier alte Stammesnamen vor. Lediglich bei den Brukterer ist die Schreibweise etwas verderbt.

Was diese Stämme hier überhaupt für eine Bedeutung hatten, bleibt hier gänzlich unklar.

Die plünderden Franken überquerten unter Führung der drei Warlords Marcomer, Gennobaudus und Sunno den Rhein, plünderten Köln und drangen anschließend bis in den belgischen "Kohlenwald" (silcva carbonaria) vor.
Der römische Feldherr Arbogast, der die darauf folgende römische Strafexpedition gegen die ostrheinischen Franken anführte, war selbst fränkischer Herkunft.
Die Franken treten hier jedenfalls völlig uneinheitlich auf. Die kleineren Stämme scheinen trotz fränkischer Führung noch weiterzubestehen. Die drei fränkischen Warlords werden aber keinem der vier Einzelstämme zugeordnet.

Die Erwähnung der Chatten halte ich hier nicht für einen Tatsachenbericht, weil das Szenario so völlig absurd klingt.
Dass man ganze Heere auf entfernten Bergen noch aus weiter Entfernung erkennen kann, ist durchaus noch glaubhaft. Dass man aber aus der Ferne sogar noch die Stammeszugehörigkeit und den unverwechslbaren Warlord indentifizieren könnte, klingt überhaupt nicht plausibel, zumal an fränkischen Warlords und germanischen Stammesbezeichnungen sicherlich kein Mangel bestand.
Warum konnte niemand die Friesen und Sugambrer unter der Führung von Sunno auf den Hügeln erkennen?
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Karte Tabula Peutingeriana entstand im Original am Ende des 4. Jahrhundert. "Francia" und "Burcturi" sind dort nicht identisch.
 
Die Karte Tabula Peutingeriana entstand im Original am Ende des 4. Jahrhundert. "Francia" und "Burcturi" sind dort nicht identisch.
Den Einwurf verstehe ich nicht so ganz.

Was ich auch noch ins Feld führen möchte, ist die berühmte Taufszene des Chlodwig, in der Chlodwig als Sicamber angesprochen wird (im Übrigen derselbe Vokalwechsel wie bei Bructeri Bricteri: Sugambri Sicamber). Auch hier wird ein längst vergessener Stamm aus der Zeitenwende wieder evoziert.
 
1. zu Tacitus Annalen II, 8: Das können genausogut Angrivarier sein, da nicht gesagt wird, wie weit im Rücken und Germanicus direkt danach an der Weser steht (und Arminius mit seinem Bruder redet). Ich will Ampsivarier nicht ausschließen, aber eigentlich hat die geographische Nähe der Siedlungsgebiete bei beweglichen Heeren wenig zu sagen. Und wir haben hier eine der Lücken, die Tacitus lässt. Was passierte, wollte er entweder nicht berichten oder die Meldung führte ohne erwähnenswerte Ereignisse an die Weser. In jedem Fall kann für solch eine Textänderung keine größere Wahrscheinlichkeit oder gar Sicherheit in Anspruch genommen werden.

2. Frankenbund/-schwarm/-was-auch-immer: Es gibt Deutsche. Und auch Franken und Bayern und Westfalen. So ähnlich war es lange auch bei den Franken, wobei diskutiert sind, wann die Identität der Einzelstämme verloren ging. Am schnellsten wohl bei den Salfranken, wenn das nicht überhaupt schon eine geographische, juristische oder soziale Bezeichnung ist. Rheinfranken, Moselfranken sind später geographische Bezeichnungen. Aber das Bewusstsein verlagerte sich nach und nach von den Einzelstämmen auf die Franken. Spätere Erwähnungen einzelner Stämme, etwa der Brukterer unter Karl dem Großen, sind dann als geographische, nicht ethnische Angabe zu verstehen. Rechtsrheinisch haben wir natürlich wenig Nachrichten zur Entwicklung, aber angesichts ähnlicher Ergebnisse, würde ich von ähnlicher Entwicklung ausgehen. Jedenfalls ist in der betrachteten Zeit davon auszugehen, dass die Franken noch in Stämme organisiert waren, sich auch die späteren Kleinkönigreiche erst entwickeln mussten.

3. Wer da auf den Hügeln zu sehen war, ergab sich entweder aus den Beteiligten des Konflikts oder der Aufklärung. Ja, Rom hatte so etwas. Und auch eine Art militärischen Abwehrdienst. Ansonsten hätte es sicher später Nachrichten gegeben, wer auf dem Kriegspfad war. Und Kavallerie zur Erkundung loszuschicken tat ja auch Germanicus an der erwähnten Tacitusstelle.
 
Den Einwurf verstehe ich nicht so ganz.
Es geht mir natürlich, um die Frage, ob die Brukterer ein Teilstamm der Franken war oder nicht.
Die Straßenkarte unterscheidet beide Landschaften, also Burcturi ist was anderes als Francia.
In der Karolingerzeit Landschafts- bzw. Gauname taucht der Brukterername als Borahtra etc. angeblich wieder auf. Die etymologischen Zusammenhäge entziehen sich aber meiner Kenntnis.

In Lexika findet man häufig die Angaben, die Franken seien als Stammesbund entstanden. Diese Theorie beruht weitestgehend auf diesem kurzen Zitat von Sulpicius Alexander. Die ältere Forschung ging teilweise davon aus, Sulpicius Alexander habe Chattuarier und Chatten verwechselt habe. Die Chattuarier passten nämlich irgendwie besser zur Theorie einer fränkischen Stammesgründung.
 
In der Karolingerzeit Landschafts- bzw. Gauname taucht der Brukterername als Borahtra etc. angeblich wieder auf. Die etymologischen Zusammenhäge entziehen sich aber meiner Kenntnis.
Bructeri
Borahtra

/k/ → /x/
Anlautendes b unterschoben weil es erst spät umgelautet wurde und die Region nicht erreichte, außerdem t unterschoben wg. Nexus -tr-?
 
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