Er ist ein Klassiker mit allen Vor- und Nachteilen.
Allerdings hat er, soweit er noch lebte, in spätere Auflagen Bemerkungen zu den Einwänden seiner Gegner eingefügt, was einen effektiv in die fraglichen Diskussionen einführt.
Er ist so günstig zu bekommen, dass ich eine neuere Ausgabe nehmen würde. In den Einleitungen wird seine Aktualität zu verschiedenen Themen geklärt.
Der wichtige Punkt ist, dass er die Grundlage heutiger Militärgeschichte bildet. Ja, als historische Disziplin hat er sie erst begründet. Und wirklich ersetzt wurde das Werk auch nicht. Was die strategische Organisation angeht, muss man immer noch von ihm ausgehen. Er hat vieles herausgearbeitet, was heute immer noch als Stand der Wissenschaft gilt.
Im Einzelnen ist natürlich viel 'veraltet'. Davon ist aber ein Teil nur deshalb 'veraltet', weil die Vertreter der Meinung ausstarben. Einfach zu sagen, dass etwas veraltet ist, sagt in den Geisteswissenschaften allein schon durch diesen Effekt ja nichts über die Gültigkeit aus.
Viel wichtiger bei den Betrachtungen über einzelne Schlachten, wo er - auch mangels Ortskenntnis - häufig daneben lag, ist, dass er nicht, wie es heute oft üblich ist, andere Ansichten und gegnerische Argumente verschweigt, sondern darauf eingeht. Man gewinnt also auch dort, wo er falsch lag, wichtige Erkenntnisse zur Argumentation.
Wenn man dann ein neueres allgemeines Buch, z.B. zur Römischen Militärgeschichte liest, ist man nicht nur auf dem neueren Stand, sondern kennt den Hintergrund. Mich zumindest regt immer wieder auf, dass angebliche Sachbücher wie Politische Reden verfasst sind. Wenn man da seine Mündigkeit behalten, oder meist wohl eher erreichen will, muss man sich mühevoll einarbeiten. Die Lektüre von Delbrück erspart einem bei dem Thema einen Großteil dieser Arbeit.
Für viele ist ein Nachteil, dass er die Quellen im Original bringt. Aber da man heute Übersetzungen im Netz findet, ist das kein Argument.
Und seine Übersetzung einer inschriftlich gefundenen Manöverkritik Hadrians in Preußisch-Deutsche Militärsprache lohnt allein schon die Lektüre. Wer in der Bundeswehr gedient hat, erkennt den Ton wieder. Wer das gelesen hat, kann die oft abgestrittene Tradition der BW bis in Kaisers Zeiten nicht ernsthaft leugnen. Jedenfalls nicht auf sprachlicher Ebene.
Und es gibt weitere Stellen des Werks, die jenseits des Gesamten, ihren eigenen Wert haben. Die beiläufige Einführung der experimentellen Archäologie. Die Einführung der Sachkritik. Das Bedauern, nicht über den Tellerrand dessen schauen zu können, was die europäische Geschichtswissenschaft bis dahin erarbeitet hat.
Umgekehrt ist auch wichtig, wo er falsch lag: Sein Versuch über strategische Überlegungen zu Örtlichkeiten in Zusammenhang mit den Germanenkriegen zu kommen, die Verortung von Aliso bei Paderborn, der Varusschlacht in der Dörenschlucht, zeigen deutlich wie unsicher solch weitgefasste theoretische Argumentationen sind. Die damals verbreitete Theorie zur Organisation 'der Germanen' zeigt, dass man nicht ohne weiteres zeitlich und örtlich weit auseinanderliegende Quellen in einen Topf werfen kann.
Diese beiden genannten Fehler liegen in seiner Zeit begründet. Damit lernt man gleich mit solchen, auch bei Mommsen und anderen zu findenden Fehlern umzugehen. Denn dass die Darstellung an diesen Stellen falsch ist, dürfte aus dem Geschichtsunterricht bekannt sein. Doch selbst wenn nicht, ist jedem klar, dass sich in den Vergangenen 90 Jahren einiges getan hat. Und es wird nur der Delbrück lesen, der sich näher mit einzelnen Epochen beschäftigen will. Und mitunter ist es schon gut zu merken, dass immer noch Behauptungen durch die Wissenschaft geistern, die auf längst als falsch erkannten Argumenten basieren. Oder die aufgestellt und nie überprüft wurden.