Trotzki hat die Bürokratie niemals als herrschende Klasse beschrieben. Dies hat später lediglich Tony Cliff getan und der wurde sogar aus der 4. Internationale ausgeschlossen. Damals war Trotzki allerdings schon längst tot.
Im ganzen Buch "Verratene Revolution" geht es ja schließlich darum, dass er den Zusammenbruch der Sowjetunion prognostiziert, weil es diesen extremen Widerspruch zwischen bürgerlichem Überbau und proletarischer Gesellschaftsbasis gab. Etwas ähnliches gab es vorher lediglich während der Zeit des französischen Bonapartismus. Wäre es,in seinen Augen, eine herrschende Klasse gewesen, hätte er diese Prognose so gar nicht treffen können, weil dieser Widerspruch dann nicht bestanden hätte.
Für meinen Teil, sind die Analysen Trotzkis über die Sowjetunion völlig korrekt gewesen, besonders in "Verratene Revolution" und seine Prognosen haben sich auch im Nachhinein mit aller Deutlichkeit bestätigt.
Auch seine Auseinandersetzung mit der Verzerrung des Marxismus unter Stalin ist für meine Begriffe völlig korrekt und in sich schlüssig.
Die Gründung der 4. Internationale sehe ich im übrigen keinesfalls als widersprüchlich an. Die Sowjetunion und die ihr hörigen Parteien hatten zu dieser Zeit bereits eindrucksvoll bewiesen, dass sie ihrer eigentlichen Aufgabe gar nicht mehr nachkommen konnten oder wollten. Am deutlichsten stechen hier die Ereignisse in China 1927 heraus. Die Komintern hatte der KP Chinas die Weisung erteilt, sich in der bürgerlichen Kuomintang aufzulösen, während Chiang Kai-shek als "Verlässlicher Verbündeter" gefeiert wurde. Ergebnis:
Die Kommunisten, die im Süden Chinas bereits Räteregierungen und ein entsprechendes Verwaltungssystem aufgebaut hatten (also die ihrer Aufgabe als Kommunisten nachgekommen waren), wurden von ihren eigenen Genossen ermordet. Und das nur, weil man in Moskau fürchtete, ein sozialistisches China, das die Vormachtstellung der Sowjetunion nicht anerkennt, würde die Machtinteressen der stalinistischen Bürokratie untergraben.
Bevor die 4.Internationale 1938 gegründet wurde, war ein ähnlicher Prozess bereits im Spanischen Bürgerkrieg zu beobachten und ein erneutes Vorkommnis dieser Art, ereignete sich 1945 in Griechenland.
Bis 1938 hatte sich die Linke Opposition vergeblich darum bemüht, die traditionellen KPs von innen wieder auf ihren alten Kurs zu bringen. Aber nach all diesen Ereignissen, den vielzähligen Parteiausschlüssen und Verfolgungen, konnte gar kein anderer Schritt gegangen werden, als die Gründung einer neuen Internationale. Die meisten konnten ja in den traditionellen KPs gar nicht mehr arbeiten, weil sie dort nichteinmal mehr geduldet wurden. Welchen Weg hätten sie also gehen können? Nichts tun und still halten? Genau diese Haltung hatte der Arbeiterbewegung bereits mehrfach in der Geschichte sehr bittere Erfahrungen eingebracht.
@Hurvinek
Was du über Kommunisten sagst widerstrebt dem Wesen des Marxismus zutiefst. Ein Kommunist baut seine Theorie in keinster Weise auf "Visionen" auf. Das taten die utopischen Sozialisten und die Anarchisten tun es auch. Der Marxismus baut im Bezug auf den Kommunismus auf historische, ökonomische, politische und soziologische Analysen, dialektischer Natur, auf, aufgrund derer dann Entwicklungsprognosen getroffen werden. Trotzki, als ausgezeichneter Dialektiker, ist in dieser Hinsicht beispielhaft. Man nähert sich also stets vom historischen und aktuellen Standpunkt der Dinge einer Sache an und nicht, indem auf einen erwünschten, zukünftigen Zustand vorrausgreift. Wenn man mal Marx, Engels, Lenin oder Trotzki liest, kann man auch sehen, dass "Visionen" oder "Träume" da überhaupt keine Rolle spielen.
Ein Kommunist würde also nicht sagen, dass der Kommunismus zwangsläufig kommen muss, weil er gut oder gerecht ist. Er würde sagen, der Kommunismus muss zwangsläufig kommen, weil er ihn als notwendige historische Lösung der sozialen Frage betrachtet, die sich der Menschheit seit der neolithischen Revolution stellt, also die Frage nach der Lösung der Klassengegensätze. Ein Marxist kann auch nicht genau sagen, wie der Kommunismus in aller Genauigkeit aussehen wird. Er kann nur sagen, welche Lösungen bestimmter, konkreter innerer Widersprüche des Kapitalismus zu ihm führen müssen, also welche Widersprüche in ihm nicht mehr vorhanden sein werden. Und das sind nunmal, allen voran, die Klassenwidersprüche und alles was damit zusammenhängt.
Was nun Glasnost und Perestroika angeht:
Wer hätte sich dagegen wehren sollen? Die Linke Opposition wurde in allen Ländern des Warschauer Vertrages erfolgreich ausgeschaltet worden und die Schriften von Trotzki oder anderen Vertretern der Linken Opposition waren überall tabu. Die Menschen kannten den "Sozialismus" nur so, wie sie ihre eigenen Länder erlebten und den meisten war klar, dass Veränderungen eingeleitet werden mussten. Welche jedoch tatsächlich nötig gewesen wären, diese Frage konnte niemand beantworten. Am allerwenigsten Gorbatschow.