Oben in #9 ist völlig zutreffend ausgeführt, dass man die Militärdiktatur der OHL (Primat des Militärs) und das Ausmaß der Unterordnung (und Opfer) der eigenen Zivilbevölkerung unter die Kriegsführung nicht mit den USA oder GB vergleichen kann.
Das Problem, das hier in Erscheinung tritt, ist eines der Theoriebildung, der Philosophie des Krieges, und seiner Konstrukte.
Im Prinzip kann man die "zugespitzte" Kriegsführung in Anlehnung an Clausewitz in drei verwandten Konzepten formulieren.
Somit können wir:
a. den "absoluten Krieg" nach Clausewitz
b. den "totalen Krieg" im Sinne der meisten Theorien über Kriegsführung
c. den "totalen Krieg", vielleicht doch als "totalitärer Krieg" gegenüber zu b. zu bezeichnen, in seiner diktatorischen Ausformulierung durch Ludendorff
Es ist jedoch auch wichtig anzumerken, so Craig, dass diese Konzepte im Sinne M. Webers Idealtypen sind. Sie haben durchaus empirische Korrelate und sind in diesem Sinne real, aber dennoch sind es Konstrukte, die die einzelnen Kriege in ihren Merkmalen mehr oder minder erfüllen.
Bei Clausewitz finden wir den "absoluten Krieg" in seiner Ausformung radikalisiert. Er bleibt aber immer noch und weiterhin der Politik und ihrer Willensbildung unterworfen (vgl. Vom Krieg, Dritter Teil, 8. Buch, Sechstes Kapitel. B: Der Krieg ist ein Instrument der Politik).
Diese Einsicht, so Aron (Clausewitz. Den Krieg denken, S. 154/155), formulierte Clausewitz in der Periode von 1804 bis 1807. Und schreibt, "Mehr noch, an keiner Stelle der Kette von Mitteln und Zwecken tritt eine Umkehr ein, in der der niedere Zweck [also der Krieg] den höheren Zweck [die Politik] bestimmt..."(ebd.S. 157)
Wobei bereits Liddel Hart (Strategy, S. 343) das Clausewitzsches zugespitzte Verständnis der Rolle des Krieges kritisiert. Vor allem kritisiert er bestimmte radikale Vorstellungen, die dazu führen, "It is the negation of statesmanship and of intelligent strategy - which seeks to serve the end of policy." Ähnlcih bei Fuller "Had they studied Clausewitz, ..they could not have failed to understood that war belongs to policy...(J.F.C.Fuller: The Coduct of War 1789-1961, S. 151/152)
Diese Sicht führt uns zu der Entwicklung, die von der Zeit der Revolutionskrieg, dem Amerikanischen Bürgerkrieg, zum WW1 und zum WW2 führt und den Beginn des Totalen Krieges und seine Eskalationsstufen beschreibt.
Bei der "normalen" Verwendung des Begriffs des Totalen Krieges wird auf die Aufhebung der Trennung der Front und der Heimatfront als Kennzeichen der Totalisierung des Krieges abgestellt.
Verbunden ist die Radikalisierung der Kriegsführung an der Front mit seinen Millionenheeren und dem Verlust von Moral und Menschlichkeit. Nicht selten werden die technischen Innovationen der Kriegsführung zusätzlich betrachtet, um die Veränderungen zu illustrieren.
An der Heimatfront wird in der Regel die Mobilisierung des Volkes als Soldaten und als Arbeitskräfte, seiner moralischen Ressourcen und seiner wirtschaftlichen Kapazitäten abgestellt. Und die Dimension betrachtet, wie dieses Potential für einen sinnlosen Akt der Gewalt benutzt wird.
Eine Sichtweise, die beispielsweise in den Arbeiten von Chickering zum Totalen Krieg zu beobachten ist.
Und in diesen Konzepten wird die Unter- bzw. die Überordnung von Politik und Kriegsführung in der Regel nicht gesondert betrachtet. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus gerechtfertigt, das Konzept des "Totalen Krieges", auch unter den Prämissen von Clausewitz, auf die Kriegsführung der Westallierten im WW1 und WW2 anzuwenden.
Und damit soll durchaus nicht die Fiktion einer westlichen sauberen Kriegsführung, eines "weißen Ritters" aus dem Westen formuliert werden. Aber es soll auch auf den bestehenden Unterschied der westlichen Demokratien und der autokratischen Systeme (DR, 3. Reich, Imperiales Japan, Sowjetunion etc.) verdeutlich werden.
Great War, Total War: Combat and Mobilization on the Western Front, 1914-1918 - Google Books
A World at Total War: Global Conflict and the Politics of Destruction, 1937-1945 - Google Books
Und damit auch das autokratische, diktatorische Element der Vorstellungen eines Hindenburgs und eines Ludendorff zur Kriegsführung deutlich abgrenzen.
In diesem Sinne war es Friedrich Meinicke (in Wehler, DGG, Bd. 4, S. 128), der die politische Vertretung der 3. OHL als den Vorläufer des NS-Systems ansah: So formulierte er in 1946: "Kann man noch zweifeln, daß Alldeutsche und Vaterlandspartei ein genaues Vorspiel für den Aufsteig Hitlers waren?"
Friedrich Meinecke ? Wikipedia
Und in diesem Verständnis grenzt sich das Konzept des Totalen Kriegs eines Ludendorffs und in der Folge eines Hitlers mit ihren diktatorischen Elementen der Gleichschaltung von Politik, der Gesellschaft und der Wirtschaft (z.B. das Hindenburg-Programm) deutlich ab.
Im Ludendorffschen Sinne wird die Legitimation des Totalen Krieges dem "Volk" als Souverän unterworfen. Seine Interessen, wer immer diese definiert, bestimmen die Kriegsziele. Und die Politik hat die optimalen Voraussetzungen zu schaffen, damit der Krieg erfolgreich geführt werden kann.
Der Ludendorffsche Totale Krieg hat keine Legitimation, außer dass das "Niederwerfen" die totale Vernichtung des Gegners alle Mitte rechtfertigt.
Das Konzept des Totalen Krieges der westlichen Demokratien war beispielsweise hinsichtlichtlich der Mobilisierung (z.B. des Frauenanteils) deutlich radikaler wie im DR, aber es löste nicht das Vorrecht der Politik und ihrer Entscheidungsfindung ab.
Da die Diskussion über den Totalen Krieg von der Systemkrise des Jahres 1917 ausging, überschattete das Ludendorffsche Verständnis des Totalen Krieges die Diskussion.