Zudem dauerten die Kämpe mehrere Tage und die Legionen konnten nur in einem langen Tross marschieren. Von daher ist wohl nicht zu erwarten, dass die Legionen alle auf einmal beim Engpasss ankamen!
Darum wurden und werden Märsche organisiert. Varus wird nicht vorgeworfen, er habe das nicht getan. Ihm wurde vorgeworfen, die Marschkolonne für den Frieden organisiert zu haben. Für die Römer ist das recht gut untersucht.
Aber genau das ist ein weiterer Punkt. Am Oberesch kann der Zug eben nicht vernichtet worden sein. Der dortige Befund erzählt nicht die ganze Story. (Immer -wie in allen meinen letzten Posts - vorausgesetzt, es sind die Übereste der Varusschlacht. Als bewiesen kann das nicht gelten.)
Die Truppen zum Kampf zu ordnen hätte 2 bis 3 Stunden gedauert. Dazu gab es aber den Platz nicht.
3 Möglichkeiten:
1. Es ist offensichtlich, dass die Engstelle für einen Überfall vorgesehen ist. Dann hat Varus gewartet, bis genügend Truppen anwesend waren. Ein Teil hätte dann angegriffen. Wenn die Situation nicht total falsch eingeschätzt wurde, hätte er gleichzeitig Schanzen lassen. Routinevorgehen und Beschäftigung für die Männer. Aber das Lager müsste aus Sicht der anmarschierenden Römer vor dem Engpass liegen.
2. Varus bemerkt nichts und marschiert auf dem günstigeren Inneren Weg dicht am Wall durch den Engpass. Eigentlich nur am ersten Tag vorstellbar. Dann wird die Kolonne aus dem Schutz des Walls heraus überfallen. Richtig effektiv nur beim Inneren Marschweg vorstellbar. Hier ist dann die Frage an welcher Stelle die Kolonne überfallen wird. Der Anfang, in der Mitte oder am Ende. Die Reaktiion der Römer ist überliefert: Angriff auf den Wall. Eine Erste Kohorte und Schützen sollen laut Befund involviert gewesen sein. Laut der üblichen Römischen Marschordnungen findest man diese Truppen im ersten oder letzten Drittel des Zugs. Es ist meist günstiger nicht die Spitze anzugreifen. Solange es nicht zu dramatisch zuging, wäre es wieder Routine gewesen zu schanzen. Diesmal aber in oder hinter dem Engpass. Ein Angriff zwischen Zentrum und Ende des Zuges erklärte auch die unterschiedlichen Richtungen der Absetzbewegungen. Ein Teil des Tross wäre betroffen gewesen, der sofort als einzige Option die Flucht gewählt hätte und dabei noch die Truppen weiter vorne behindert hätte. Die Germanen hätten es also erst einmal nur mit 1/4 bis 1/3 der Truppen zu tun gehabt. 4000 bis 6000 Mann statt 16.000 bis 18.000. Und wenn der nördlichere Weg genommen worden wäre? (Die ganze Zeit vorausgesetzt, dass beide gangbar waren. Vielleicht gab es da ja z.B. witterungsbedingte Einschränkungen.) Der Angriff erschien uns dann weniger Effektiv. Aber die Funde zeigen ja auch, dass ein Gegenangriff bis über den Wall gelangte, bevor er abgewiesen wurde. Und schon Cäsar überliefert eine wichtige Tatsache. Es kam auch auf die Wucht des Angriffs an. Da ist dann ein Anlauf über 100 oder 150 m wieder günstig.
3 Varus bemerkt etwas, aber unterschätzt die Situation. Er lässt den Wall angreifen und gleichzeitig marschiert er über den nördlichen Weg mit wenigen Truppen und dem Tross in den Engpass. Als er merkt, was los ist, befiehlt er Halt und Schanzen, aber das Schlamassel ist angerichtet. Dabei war sein Vorgehen nicht selbstmörderisch, seine Einschätzung wäre durch die nadelstichartigen vorhergehenden Angriffe getäuscht worden.
Es gibt zweifellos noch mehr mögliche Szenarien. Aber eines ist vollkommen unrealistisch: Varus marschiert mit seinen Kriegern in den Engpass, lässt sie Aufstellung nehmen und eine rangierte Feldschlacht beginnt. Ebenso unrealistisch wäre es, dass die Germanen hier versucht haben, alle Römer gleichzeitig zu bekämpfen. Abgesehen von allem anderen sind 500 m dazu zu eng. Und von einer Feldschlacht ist ja auch nirgends die Rede.
Oder fällt jemandem ein Szenario ein, nachdem am Oberesch eine Feldschlacht stattfand?
Das ist doch die Besonderheit der 'Fundregion Kalkriese'. Abgesehen von Caecina und Varus sind in der fraglichen Zeit in Germanien nur rangierte Schlachten erwähnt. (Es war ja kein bloßes Weitergereicht, wie gesagt: eine 1. Kohorte und Schützen.) Gut, über die Gefechte des Tiberius in Germanien wissen wir nur, dass es sie gab. Daher sind wir sicher: Varus oder Tiberius oder Caecina. Caecina wird mit jedem Münzfund unwahrscheinlicher. Der Grund, warum wir so gut wie nichts über die Gefechte des Tiberius wissen, mag durchaus darin liegen, dass sie nicht ganz so rühmlich verlaufen sind. Aber eine wirklich große Niederlage ist auch nicht vorstellbar. Schließlich hat er irgendwie die Situation in den Griff bekommen. Und daher kann auch ein Lager Spuren bieten, die ihn ausschließen.
Edit:R eiter gefecht, nicht Weitergereicht. Autokorrekturprogrammierer sollten Wörterbücher auswendig lernen müssen. Das hielte sie vom Programmieren ab.