Ich würde dergl Theorien nicht als "verschroben" klassifizieren, sondern eher als Denkmodelle.
Da bin ich vollkommen d'accord! Aber mit einem solchen Vorschlag beginnt denn erst das historisches Verständnis einer Theorie wie der des Fluidums: Aufgrund welcher gesellschaftlichen Verhätnisse und Weltanschauungen entstanden die Fluidaltheorien und welche Phänomene oder Erfahrungen soll sie erklären?
Auch Einstein spricht von einer "Raumzeit", heutige Astrophysiker von irgendwelchen elf-oder-noch-mehr-dimensionalen Hyperäumen und Stephen Wolfram ("A new kind of science") von einer Rasterstruktur als Grundlage des Universums.
Da wir uns mit unserem mesoskalig geprägten Gehirn ein solches Kontinuum sowieso nicht "richtig" vorstellen können, ist es doch eigentlich wurscht, was für ein Bild wir uns davon machen.
Mit dem letzten Satz bin ich dann aber nicht mehr einverstanden: meiner Ansicht nach ist es eben nicht egal, welche Theorien man für akzeptabel hält, denn gesellschaftlich akzeptierte Theorien haben auch praktische Konseqenzen, nicht zuletzt in Bezug, auf das, was man für verschroben hält oder nicht!
In dem von mir verlinkten Beitrag wird etwa, da du Einstein erwähnst, darauf hingewiesen, daß er zwar bekanntlich die Äthertheorie widerlegt haben soll, fünfzehn Jahre später aber eingestand, daß seine spezielle Relativitätstheorie einer Annahme des Äthers aber nicht unbedingt widerspräche. Freilich habe ich von Physik keine Ahnung, so daß ich hier schlechterdings argumentieren kann, inweiweit das praktische Konsequenzen hat.
Aber ein wirklich praktisches Beispiel in bezug auf das Theorie-Praxis-Verhältnis fällt mir natürlich schon ein: In der Psychoanalyse war lange Zeit das Thema sexuelle Mißbrauch als mögliches Moment psychischer Erkrankung tabu, weil man sich strikt an das Freudsche Triebmodell hielt. Die im April diesen Jahres verstorbene Alice Miller wandte sich aus diesem Grunde in den 1980er Jahre von der Psychoanalyse ab, weil sie einem in ihrer Berufsgemeinschaft akzeptierten theoretischen Modell widersprach und ein Traumamodell vertrat, das ihrer Auffassung gemäß gewisse klinische Erfahrungen besser erklären würde. Zugegebener Maßen vertrat sie ihren Standpunkt sehr radikal, aber ihre Infragestellung eines wissenschaftlichen Paradigmas forcierte eben die Traumaforschung auch in der Psychoanalyse.
Wo ich gerade dieses Beispiel anführen, muß ich mich aber zwangsläufig auch fragen, ob ich den Einfluß einer Theorie auf das eigene Handeln vielleicht doch überbewerte. Ich werde mich dieser Frage noch einmal widmen, wenn ich mich Freuds "Fluidaltheorie" gründlicher gewidmet habe und meine beschäftigung mit Descartes vorantreiben kann ...