Ein Bürgerkrieg (aus religiösen oder "rassischen" Gründen) würde die Definition für das Scheitern in höchstem Maße erfüllen.
In Bürgerkriegen geht es meistens um Macht, um wirtschaftliche, ideologische (religiöse) oder politische Interessen und letztlich um Aspekte der Erringung oder der Sicherung von Herrschaft (vgl. beispielsweise M. Weber zu Formen der Herrschaft)
Ein brauchbares Analyseraster dieser Prozesse bietet beispielsweise M. Mann (Weberianer) im Rahmen der "Geschichte der Macht" - IEMP-Modell - an.
http://assets.cambridge.org/97805216/15181/excerpt/9780521615181_excerpt.pdf
Nicht zu vergessen das Selbstbild des "Ritter-Adels", die im Kampf die eigentlich Berechtigung für ihre Position sahen und somit die individuelle Motivation der Akteure - als Selbstinszenierung der eigenen "Größe" - mit berücksichtigt (vgl. Keegan: Die Maske ds Feldherren)
Die Konflikte werden dabei entlang von unterschiedlichen Konfliktlinien geführt, die eine mehr oder minder eindeutige Identifikation der Gruppen ermöglichen, im Sinne von "Wir" und "Die". Insofern benötigen diese Konflikte eine Ideologie, um überhaupt eine "Masse" mobilisieren zu können, in einem Bürgerkrieg zu kämpfen (vgl. zu sozialpsychologischen Fundierung von Massenbewegungen beispielsweise K-D. Opp: Theories of Political Protest ans Social Movement)
Wie stark diese einzelnen Aspekte miteinander verwoben sind kann man anhand der "Hugenottenkriege" sehr gut erkennen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Gaspard_II._de_Coligny
Insgesamt krankt die komplette Diskussion daran, dass sie keine "Theorie" zum Scheitern von "Vielvölkerstaaten" leisten kann (deduktive Erklärung).
Und sie macht sich auch nicht die Mühe, über Einzelfälle Muster zu zeigen, die generalsierungsfähig sind und somit Ansatzpunkte für eine Theorie des Scheiterns von Vielvölkerstaaten liefern könnte (induktive Erklärung).
So werden auf einer simplen "empiristischen" Ebene - unhistorisch - Beispiele aus allen Epochen wahllos nebeneinander in eine Liste gestellt, wie ja in einzelnen Kritiken schon angeklungen (vgl. Caro91 etc.)
Andererseits:
Wie Leistungsfähig "Vielvölkerstaaten" in Bezug auch soziale Problem, Migration und Integration sein können, kann man anhand von Österreich-Ungarn sehr gut verdeutlichen.
Dieser Aspekt ist durchaus relevant, um eine neutrale Beurteilung von Ö-U zu erhalten, zumal sich, folgt man Judson und neueren Studien über Ö-U, die Beurteilung der „imperialen Politik“ von Ö-U neu ausgerichtet hat und die Leistungen der Integration – auch durch Rechtssicherheit – positiver beurteilt werden.
Bei der Beurteilung von Ö-U sind nicht zuletzt aufgrund der historisch gewachsenen Heterogenität eine besondere Konstellation entstanden, die einzigartig in Europa war und aus diesem Grund als –anormale - „Abweichung“ von Historikern beurteilt wurde, zu Unrecht wie Ingrao ausführt [3]. Ähnlich beurteilt Deak die Leistungen der Habsburger Monarchie positiv in Bezug auf die Modernität bei der Schaffung moderner staatlicher Strukturen [2] Die deutliche Steigerung der staatlichen Leistungsfähigkeit der Habsburger Monarchie wird bei den Daten deutlich, die Mann für den europäischen Vergleich präsentiert [5, S, 362ff]
Stärker als in anderen Ländern sind es zum einen die regionalen Eigenheiten, auch vermittelt durch die jeweilige kulturelle Identität (Sprache etc.), die sich im 19. Jahrhundert wandelnde nationale Identität von einer elitengetragen zu einer bürgerlichen.
In Anlehnung an Lieven findet sich eine Darstellung, die die Integrationsleistung der dualen Monarchie betont. [4, S. 158ff] Und es ergaben sich eine Reihe von Konfliktlinien, die zum einen die tschechisch und die deutschsprachige Bevölkerung in österreichischen Teil der dualen Monarchie betrafen und zum anderen die Magyaren und die rumänisch bzw. serbisch sprechende Bevölkerung im anderen Teil seit 1867. Die Konflikte berührten die kulturelle Identität der Parteien, aber gleichzeitig wurden diese Aspekte instrumentalisiert für die Erhaltung bzw. Gewinnung von regional definierten Machtpositionen in den politischen Vertretungen, teilweise quer zu ethnischen Konflikten [1, S. 4]
In diesem Sinn schreibt Lieven, dass die Zentralregierung in Wien bei Problemen zwischen Minoritäten: „..after 1867 tried to be neutral in these disputes…The context in which they operated was Article 19 of the December 1867 Constitution of Cisleithena [u. anderem umfaßte es Böhmen und Mähren also spätere CSSR] [4, S.184] Und dieser Artikel sicherte Minoritäten den Schutz ihrer Sprache und Kultur zu.
Zur Durchsetzung dieses Rechtsanspruchs wurde nicht selten das höchste Gericht in Wien angerufen und Lieven schreibt:“The Supreme Court and the Supreme Administrative Court were appealed frequently on the basis of article 19 and other equal right legislation: they defended the legal rights of minorities strongly and effectively. [4, S. 184]
Zumindest für den österreichischen Teil hält Lieven fest, dass es einen hohen Grad des Schutzes für Minoritäten gab und: „It was inconceivable for the Habsburg authorities to connive at pogroms or activities of racialist lynch mobs.“ [4, S. 184] Diese "moderne" Sicht auf die Integration von Gesellschaften war zum damaligen Zeitpunkt einzigartig und deutlich moderner wie beispielsweise entsprechende Gesetzgebung in den USA oder in GB.
Auf dieser Linie liegt dann auch der Artikel 302 des Strafgesetzbuches, der die Stimulierung („incite“ ) von Feindlichkeit gegenüber anderen Nationalitäten oder Religionen unter Strafe gestellt hatte. Und es war die Durchsetzung dieser universellen Rechtssicherheit durch die zentralistischen Institutionen der Monarchie, die ganz wesentlich zur "imperialen" Identität beigetragen haben, so Judson [1]
Diese juristische Sicht entsprach dann der politischen Sicht, die der Ministerpräsident in 1880 formulierte, dass die Politik, die ethnische Gruppen berührt hatte, diese durch Konsens zu entscheiden sein und nicht durch ein Mehrheitsvotum [4, S. 185]
https://de.wikipedia.org/wiki/Eduard_Taaffe
https://de.wikipedia.org/wiki/Cisleithanien
Nicht berücksichtigt in dieser bisherigen Darstellung ist die komplizierte Beziehung in der dualen Monarchie zur internen Machtbalance zwischen Österreich und Ungarn und der Gefahr des "Trialismus" - der Stärkung der Position der Tschechen und der Slawen - und seine Rückwirkungen auf die Außenpolitik gerade auf dem Balkan gegenüber den Serben.
Nur um das weitere Feld abzustecken, das nicht nur durch ethnische Konflikte oder Nationalismus definiert wurde, sondern durch viele andere Aspekte ebenso beeinflusst wurde, die aber gerne "übersehen" werden. Und viele der Konflikte und Kooperationen gerade auf regionaler Ebene quer zu dieser einseitigen Interpretation stehen.
1.Judson, Pieter M. (2016): The Habsburg empire. A new history. Cambridge, Massachusetts: The Belknap Press of Harvard University Press.
2. Deák, John David (2015): Forging a multinational state. State making in imperial Austria from the Enlightenment to the First World War. Stanford, California: Stanford University Press
3.Ingrao, Charles W. (2000): The Habsburg monarchy, 1618-1815. 2nd ed. Cambridge [England], New York, NY, USA: Cambridge University Press (New approaches to European history, 21).
4.Lieven, D. C. B. (2001): Empire. The Russian Empire and its rivals. New Haven, Conn.: Yale University Press.
5. Mann, Michael (2012): The sources of social power. The rise of classes and nation-states, 1760-1914. New Edition. Cambridge [u.a.]: Cambridge University Press (The sources of social power, Volume 2). Besonders S. 358 ff „The rise of the modern state: Quantitative Data"