Ist es Aufgabe eines Schriftstellers, ein moralisch wertvoller Mensch zu sein?
Oder anders gefragt: Kann man voraussetzen, Schriftsteller seien bessere Menschen als andere?
Ich habe, das will ich betonen, eine hohe Meinung von dem Künstler Hemingway. Und ich habe eine hohe Meinung von moralischen Menschen, sofern diese ihre Grundsätze auch an sich selbst anwenden und nicht nur am Verhalten anderer festmachen.
Leute, deren Meinung ich schätze, haben mir gesagt, Schriftsteller hätten vor allem eine Aufgabe: gut zu schreiben (mit dem Hintergrund, damit hätte man genug zu tun – also eher Bescheidenheit als Ignoranz).
John Irving hat in einem aktuellen Interview gesagt, öffentliche Äußerungen eines Schriftstellers seien politische Statements, das gehöre zu seiner Verantwortung. Er spricht also von ethischer Verantwortung eines Autors schon auf Grund des Gewichtes seiner öffentlichen Aussagen. Auch das schätze und respektiere ich – als Irvings Meinung.
Wenn es denn so war, wie eingangs geschrieben – mich überrascht das nicht. Ob nun die reine Wahrheit, übertrieben und ausgeschmückt, was auch an Motiven dahinter steckt, es fügt sich jedenfalls ins Bild, das man von Hemingway hat. Ein Abenteurer, Großwildjäger, Frauenheld, einer, der drauflos lebte, sich für allerlei begeistern konnte, in den Krieg ziehen wollte, sich an Stierkämpfen ergötzte – nicht so ein blasser, lebensuntüchtiger, dekadenter Intellektueller – gerade dafür wurde doch Hemingway bewundert, und er hat das, glaube ich, auch ganz gern gehabt.
Zuletzt habe ich von ihm so ein Afrikabuch gelesen – ist schon ein Weilchen her – und da ging es doch immer wieder ums Töten (bei der Jagd), und zwar nicht um einen guten Schuss auf eine gute Beute, sondern um sehr viel Beute und sehr viele Schüsse. Ich will nun wirklich nicht das Töten bei der Jagd und das Töten von Menschen im Krieg gleichsetzen, aber gewisse Parallelen ergeben sich da schon. Ich persönlich kann überhaupt nicht nachvollziehen, wie man so herrliche Tiere abknallen und dabei noch Vergnügen empfinden kann, aber ich räume der Jagd auch so etwas wie einen ganz ursprünglichen, archetypischen Reiz ein, der sicher bis heute nachwirkt. Mit dem Stierkampf ist es ähnlich – Tierschützer protestieren dagegen, was ich verstehen kann, aber ich habe auch mal gehört, wie sich ein Spanier in einem Interview dazu geäußert hat, er sagte, es sei eine besondere Ehre für den Stier, auf diese Weise umzukommen – eine Meinung, die ich nicht teile und auch nicht teilen muss, der ich aber ihr eigenes Gewicht zugestehe. Das sind eher archetypisch und historisch geprägte Vorstellung von Ehre, aber ist es mit Patriotismus oder anderen Motiven, aus denen heraus getötet wird, sehr viel anders?
Dass Hemingway schreiben konnte, wird wohl kaum jemand bezweifeln, dass sein Schreiben viel mit dem Menschen Hemingway zu tun hatte, wohl auch nicht. Er hat jedenfalls zu seiner ganz eigenen Kunst gefunden, hat mit dem „Alten Mann und das Meer“ alles gegeben, was er geben konnte, ist bis an die Grenzen seiner Schaffenskraft gegangen, und dafür verdient er höchste Bewunderung. Und dieses Buch, für mich eines der besten überhaupt, spricht auch dafür, dass Hemingway nicht nur deswegen so erfolgreich war, weil er seine Kunst beherrschte, sondern weil er auch genau kannte, was er schrieb. Dieses Jagen nach Beute hat er zum Symbol gemacht, zum Symbol für menschlichen Willen und den Sinn des Lebens. Wo da die Grenze war von Authentizität zu heroischer Verklärung, zwischen Wahrheit und Dichtung, wer kann das heute noch sagen. Hemingway war ein großer Schriftsteller, aber er war auch einfach ein Mensch. Und dass persönliche Entgleisungen, Taten, die aus Hass, Eitelkeit, Verblendung, Patriotismus etc. begangen werden, in den Bereich des Menschlichen fallen, dürfte angesichts dessen, was in der Geschichte passiert ist, so neu nicht sein.