@ Riothamus: Es geht mE nicht um "politische Organisation", sondern um eine hierarchische Organisation, die sich mittels Gewalt oder Vorteilsgewährung von außen übernehmen, steuern, instrumentalisieren lässt. Irgendwie politisch* ist es auch, wenn sich die Jäger/Sammler-Sippe am Feuer trifft und über die nächste gemeinsame Jagd diskutiert. Aber eine solche Struktur lässt sich von Außenstehenden kaum ausnutzen, da sie, wie die Teilnehmenden, individuelle Überzeugungsarbeit** leisten müsste.
Nun waren die Germanen sicher keine Jäger & Sammler mehr, innerhalb der Familien/Sippen gab es auch feste, patriarchalische Strukturen, aber mE waren die politischen Institutionen (die Versammlung der Familienoberhäupter bzw freien Bauern) kleinteilig und nicht-hierarchisch genug, um eine Beeinflussung durch Andere, hier die Römer, extrem zu erschweren. Auch hier hätten die einzelnen Familienoberhäupter/freie Bauern mehr oder minder einzeln überzeugt werden müssen, und was hatten die Römer der breiten Masse dieser Personen schon zu bieten? Die Römer haben bei den "Stammeseliten" angesetzt, aber hatten diese denn die Macht, ihren Willen durchzusetzen? ME sprechen die wenigen Daten, die wir haben, eher dagegen.
Natürlich gibt es Gegenbeispiele dazu, schließlich sind das fließende Übergänge innerhalb komplexer Prozesse. Die linke Rheinseite brachten die Römer unter Kontrolle. Vielleicht waren die Verhältnisse hier denen in Gallien oder anderswo, wo die Römer erfolgreich waren, ähnlicher. Vielleicht betrieben sie hier einen größeren Aufwand, um den Rhein, ein geographisches Hindernis, als Grenze nutzen zu können. Vermutlich war die örtliche Nähe zu dem schon unter römischer Kontrolle stehenden Gallien ein Vorteil. Alle diese Punkte (und noch andere) mögen hier aussschlaggebend gewesen sein.
Das Markomannen-"Reich" unter Marbod ist auch ein interessanter Fall. Dessen Gebiete waren mWn vorher von Kelten besiedelt gewesen und kannten vielleicht schon (bzw noch) einen anderen, "höheren" Grad an hierarchischer Organisation. Auch waren die Markomannen ("Grenz-Männer") selber vielleicht schon stärker durch den Kontakt mit römischen bzw davor gallisch-keltischen Verhältnissen beeinflusst als die Germanen an der Elbe. Allerdings kommen hier mE auch die Unterschiede Römer - Marbod-Herrschaft zum tragen. Marbod war selber Germane und konnte die germanischen Verhältnisse besser überblicken und nutzen. Dennoch war seine Herrschaft (wie auch die Kontrolle des Arminius über die anti-römische Koalition) kurzfristig, was mE ein Zeichen dafür ist, dass hier kurzfristige Prozesse, vielleicht auch persönliches Charisma, eine Rolle spielten.
Das römische Verständnis von Herrschaft, Politik, Organisation war aber sehr verschieden vom germanischen. Diese Unterschiede machen eine Machtübernahme schwierig. Die Anerkennung der Oberherrschaft eines Marbod durch zahlreiche Stämme ist etwas anderes, als eine römische Provinzialverwaltung mit ihren bürokratischen Zwängen, Abgabepflichten etc zu akzeptieren.
Du hast sicher recht, dass jedes menschliche Gemeinwesen irgend eine Art der politischen Organisation kennt. Aber diese können mE trotz fließender Übergänge so unterschiedlich sein, dass sie sich als nicht kompatibel erweisen, was eine Übernahme/Ausnutzung der vorhandenen Strukturen zwecks Herrschaftsausbübung bis zur Unmöglichkeit erschwert. Die völlige Ersetzung vorhandener Strukturen durch eigene lag hier mE über den Möglichkeiten der Römer.
* ... ist ja alles, wie die 68er lehrten...
** Sei es durch Überredung, Vorteilsgewährung, Zwang oder anderes
Es gab auf der unteren Ebene die Verwaltung durch die Armee oder Selbstverwaltung. Letztere Einzurichten kostete den Staat nur die Urkunden für Landschenkungen. Die Infrastruktur musste nicht zusätzlich bezahlt werden.
Die Kosten für diese Armee waren aber sehr hoch. besonders, wenn sie ständig benötigt wird, um den Eingeborenen wiederholt zu "erklären", was eine Landschenkunsurkunde ist und was sie bedeutet...
EDIT
Je kleiner dieser Einheiten sind, so besser kann man diese gegeneinander ausspielen (divide et impera) und mit Zuckerbrot und Peitsche ein Herrschaftssystem installieren.
Nur bis zu einem gewissen Grad. Ist sie zu kleinteilig, braucht es einen großen Aufwand, um den Überblick über die beteiligten "Einheiten" zu bewahren, mit ihnen in Kontakt zu treten und sie zu beeinflussen.