Bleibt die Frage: Woher nehmen wir den Maßstab für die Beurteilung einzelner Vorgänge in dieser Grauzone und für deren sprachliche Formulierung? Müssen wir als Historiker im Zweifelsfall bewertungs-abstinent bleiben? Ist der Kontext entscheidend? ("Stolz auf die Wehrmacht" kommt womöglich bei einer Gruppe polnischer Kriegswaisen anders an als bei amerikanischen Flugzeugmechanikern.)
Danke für die Wiederaufnahme des Leitgedankens der Diskussion! Ich versuche das Pferd von hinten nach vorne aufzuzäumen...:fs:
Wie "stolz auf die Wehrmacht" bei einzelnen Gruppen, Nationalitäten oder Millieus ankommt, ist eher Zweitrangig. Wenn sich ein Historiker solch historisch geprägten Wortgewänder anzieht, sollte er zunächst überlegen ob er diese Aussagen vor der historischen Wahrheit verantworten kann.
Ver-antworten ist hier durchaus dem Wortsinn gemäß zu verstehen. Er sollte der Geschichte
Antwort darauf geben können, warum er so und nicht anders spricht / schreibt.
Diese Verantwortung trägt der Historiker aber auch seinen Mitmenschen gegenüber, da diese (in verschiedenem Maße) durch seine Aussagen mit der Geschichte in Verbindung kommen. Er muss auch hier darauf antworten können, warum er so und nicht anders die Historie tradiert.
Zu guter letzt hat der Historiker diese Verantwortung auch sich selbst gegenüber, insofern er seine Aufgabe darin sieht, Geschichte möglichst wahrheitsgemäß zu fassen und weiterzugeben. Er ist es sich selbst geschuldet, in Wort und Schrift die Geschichte so auszudrücken, dass sie möglichst wertfrei und trotzdem sinnvoll überliefert wird. Wenn ein Historiker vor polnischen Kriegswaisen andere Worte wählt, als vor amerikanischen Flugzeugmechanikern, so wird er mindestens in zweierlei dieser
dreifachen Verantwortung nicht gerecht.
Wer die Diskussion bis hierhin verfolgt hat, wird merken, dass ich den viel angegangenen Begriff der
Moral zunächst durch
Sensibilität zu ersetzen versuchte. Nun wähle ich einen weiteren Begriff, den der
Verantwortung, und hoffe, dass mein Anliegen dadurch erneut präzesiert wird.
So vorbereitet fällt es leichter auf die anderen Fragen zu antworten:
Der historische Kontext ist in jedem Fall entscheident, weil Teil der historischen Wahrheit. Der Kontext des Historikers, wie schon begründet, nicht.
Bewertungs-abstinent sollte ein Historiker dann bleiben, wenn er Gefahr läuft, die Tatsachen (samt Kontext) zu verfälschen.
Der Maßstab für die Formulierungen in der "Grauzone" sollte unsere Verantwortung sein, also unsere Vernunft. Es ist auch möglich eine "Grauzone" als solche deutlich zu benennen und gewisse Unklarheiten zu verdeutlichen. Damit wird man der Wahrheit in jedem Fall gerechter, als wenn man einseitige Perspektiven wählt.
Ich hoffe abschließend, dass mein Begriff der Verantwortung, nicht wieder so viele Kurzschlusspostings hervor ruft, wie jener der Moral. Mir jetzt etwa zu unterstellen, ich würde mich für in der Vergangenheit begangene Verbrechen verantwortlich fühlen, wäre wirklich
fftopic:.
Hochachtungsvoll, Robert Craven