rena8
Aktives Mitglied
"Religion = Reduktion von Komplexität" wäre ein Satz, dem bestimmt viele zustimmen könnten.:winke:
Die Formulierung lässt freilich die Frage offen, (1) was "falsch" bedeutet bzw. wer das feststellt und wie und (2) warum das "Hilfsmittel" im Übernatürlichen gesucht und gefunden wird.
Aber ich will nicht meckern, sondern kurz ein "Stufenmodell" vorstellen, dass ich bei Steuerwald, Kritische Geschichte der Religionen und freien Weltanschauungen, S. 32 ff. gefunden habe:
- Präreligiöse Zeit
- Animatismus
- Animismus
- Gottesidee/Polytheismus
- Götterhierarchie
- ein oberster Gott
Die beiden Leerzeilen - nicht im Original - markieren "Schwellen" in dieser Entwicklung, die im Übrigen keinesfalls linear verläuft, manchmal auch schleifenförmig, aber jedenfalls mit dem Endpunkt des einzigen (allmächtigen, allwissenden, ewigen und unvergänglichen) Gottes. Wer über diesen Endpunkt hinausgeht, landet, so der Autor, möglicherweise bei einer areligiösen Welt-Anschauung bzw. im NICHTS.
- ein einziger Gott
Als zu vervollständigende Aufzählung finde ich die Punkte aus Steuerwald hilfreich, zeigen sie doch annähernd die Bandbreite der Religionen.
Daraus Stufen oder Hierarchien abzuleiten, wie sich Religionen evolutionär entwickelt haben sollen, ist aber diskussionswürdig.
Für mich ist der zur Religion verselbständigte Code zur vereinfachten Weitergabe von bewährten Verhaltensmustern und Traditionen über die Generationen ein weiterer wichtiger Grund für die Entstehung von Religionen.
Nach dieser Logik müssten Menschen aber am Anfang ihrer Geschichte sachlicher und weniger religiös mit ihren Problemen umgegangen sein.
Wenn sich die Entwicklung der Lebensumstände allerdings zu weit von den Zuständen der Entstehung des Codes = Religion entfernt hat, muß nachjustiert werden, d.h. es bilden sich neue Ansätze, Propheten tauchen auf und die traditionelle Religion erfährt ein "Update".
Ich möchte darauf hinweisen, dass jede Religion zwei völlig verschiedene Themen miteinander verbindet, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben :
- Gott, der Schöpfer.
Gott wird als Erklärungsmodell zur Entstehung der Welt & des Menschen herangezogen.
- Gott, die Moral
Gott wird als moralische Instanz zur Regelung sozialer Beziehungen installiert.
Der Grund, warum diese beiden Komponenten zusammengezwungen werden müssen, ist, dass eine moralische Instanz Autorität braucht, um sich durchsetzen zu können - und die bezieht sie daraus, dass sie die Welt erschaffen hat (mehr geht nicht).
Zur Analyse der Geschichte der Religionen ist es allerdings nützlich, dieses Junktim aufzuheben, da es sonst für Verwirrung sorgt, und die beiden Seiten getrennt zu betrachten.
Dem stimme ich zu und frage mich, wie die Instanz des eigenen Gewissens hier einzuordnen ist.
Entsteht Gewissen, also die eigene Erkenntnis über gut und böse aus Angst/Respekt vor dem allmächtigen Göttlichen, das alles sieht?
Oder ist das "Gewissen" nur kuturell durch die Erziehung erworben?
Oder kann man das gar nicht trennen, da Religion, Werte und Normen auch über den Kulturprozeß in der Erziehung erworben werden?
Unglaublich spannendes Thema, in das ich gerne tiefer mit einsteigen würde. Momentan fehlt mir jedoch die Zeit dafür, vielleicht spät am Abend...
In den Raum möchte ich aber noch kurz als Ansatz das "Schwarzfahreproblem" schmeißen:
Kritias VS88
Der Text ist recht kurz und die Übersetzung gelungen. Ihr könnt die Gedanken von Kritias also selbst mal anschauen.
Das Schwarzfahrerproblem ist ja ein eher harmloses Beispiel für Flexibilität des Umgangs mit der Kontrollinstanz "Gewissen", Steuerhinterziehung und Finanzfehlberatung zur eigenen Gewinnmaximierung sind weitere, leider tagespolitische Bereiche, wobei ich aber behaupten möchte, dass in den meisten Fällen, das Gewissen noch nicht ausgeschaltet wurde, also durchaus noch funktioniert aber dialektisch überzeugt wird.
Geschichtlich interessant sind Kulturen und Bräuche, wie die Wikinger, die durch die Christanisierung von vorher hoch geachteteten Raubzügen gegen Fremde abgehalten wurden.