Häufig wird heute die These vertreten, dass die späte Staatsbildung Deutschlands, Entwicklungen begünstigte oder sogar bedingte, die als "Fehler" der deutschen Geschichte gesehen werden!
Die ist allerdings in dieser Form himmelschreiender Unsinn.
Genau wie überhaupt die Vorstellung der Prozess der Herausbildung eines deutschen Nationalstaats hätte im Vergleich so spät stattgefunden.
Das hat er vielleicht im Vergleich mit West- und Nordeuropa.
Ansonsten war man allerdings damit früher drann, als dder Großteil Mittel- und Mittel-Ost-Europas und etwa zeitgleich mit Italien.
Wenn man sich mit Rückschau auf dass 20. Jahrhundert einmal ansieht, was da so etwa in den wesentlich älteren Staatsgebilden Spaniens und Portugals so schiefgelaufen ist, macht das eigentlich auch deutlich, dass es am Zeitpunkt der Gründung eines Nationalstaats nicht liegt.
Eine der wichtigsten Entwicklungen bzw. Entscheidungen in Bezug auf Deutschland, war ja der sogenannte "Westfälische Friede", welcher die Urkatastrophe des 17. Jhd. beendete.
Der Begriff "Urkatastrophe" erscheint mir hier relativ unangebracht, weil er suggeriert, dass er zu irgendwelchen direkten "Folgekatastrophen" geführt hätte.
Das ist ja aber eigentlich nicht der Fall. Eigentlich ist eine große Leistung des westfälischen Friedens ja gerade gewesen, dass man wirklich eine Ordnung zustande brachte, die in modifizierter Weise immerhin fast 150 jahre Bestand hatte.
Im Prinzip konnte für Europa erstmals eine Ordnung allgemein akzeptierte Ordnung definiert werden und für alles, außer den Krieg Frankreichs mit Spanien, der andauerte, fanden sich in irgendeiner Weise Lösungen.
Von dem her halte ich "Urkatastrophe" hier für unangebracht. Im Hinblick auf den 1. Weltkrieg, wo es nicht gelang zu einer stabilen Ordnung zu finden, ist er schon angebrachter, wobei allerdings die Frage wäre, worin dann die "Urkatastrophe" tatsächlich bestand.
Im Krieg an und für sich oder darin, dass es nicht möglich war eine gescheiterte Ordnung durch eine andere zu ersetzen, weil es zu viele revisionistische Mächte gab, die dagegen arbeiteten?
Manche Historiker, vertreten ja die Meinung, dass durch den Friedensvertrag, die Bildung eines funktionierenden Nationalstaates, wie in Frankreich oder England, nachhaltig behinderte wurde.
Da wäre die Frage erstmal wo.
Im Hinblick auf die Schweiz und die Niederlande und deren faktisches Ausscheiden aus dem Reich und die letztgültige Emanzipation von der kaiserlichen Oberhoheit war der Erstfälische Frieden hier sicherlich sogar förderlich, im Hinblick auf das heutigen Tschechien würde ich mich der Vorstellung, dass das Ergebnis des 30-jährigen Krieges hier eine entsprechende Entwicklung eines eigenen Nationsverständnisses eher behindert habe, allerdings anschließen wollen.
Im Hinblick auf das Heilige Römische Reich sehe ich persönlich nicht, wie dieses Konstrukt jemals die realistische Perspektive auf die Ausbildung eines Gesamtnationalstaates hätte haben sollen.
Dafür war es dann ganz einfach etwas zu heterogen und damit meine ich nicht nur ethnien und protonationale Identitäten, sondern auch die Lebensverhältnisse, tradierten Rechtsvorstellungen etc.
Hinzu kommt ja auch die bereits vorher vorliegende involvierung auswärtiger Mächte, wie Spanien und Dänemark durch von diesen Kronen gehaltene Territorien innerhalb des Reiches.
Auch das Stand einer potentiellen Einigung entgehen.
Wahrscheinlich hat das Ausscheiden größerer Gebiete im Süden und Westen aus dem Reichsverband sorgar eher noch die Fähigkeit einigermaßen funktionierende Zentralinstanzen zu unterhalten gestärkt, damit entfielen jedenfalls einmal einige potentiell mächtige Player mit dezidierten Partikularinteressen.
Wenn man tatsächlich ein Ereignis ausmachen wollte, von dem man sagen möchte, dass es wahrscheinlich hemmend auf die Herausbildung eines deutschen Nationalstaats wirkte, würde ich da eher den Österreichischen Erbfolgekrieg und den Siebenjährigenn Krieg benennen, als den 30-Jährigen Krieg.
Einfach weil sich hier mit dem Aufstieg Preußens erstmals eine Macht herausbildete, die überhaupt eine ernsthafte machtpolitische Alternative gegen Habsburg innerhalb des Reiches darstellen konnte.
Der Westfälische Frieden hat zwar theoretisch das Verhältniss der Reichsfürsten zum Kaiser auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt und den Fürsten größere Rechte eingeräumt, damit ist aber de facto nur nachvollzogen worden, was die Fürsten zuvor bereits ohnehin und in Teilen auch schon sehr lange betrieben hatten. Ist ja nicht so, dass es da nie Allianzen mit auswärtigen Mächten gegeben hätte.
An der Vormacht Habsburgs innerhalb des Reiches änderte der Frieden auch nichts, die wurde im Gegenteil sogar noch gestärkt dadurch, dass der habsburgische Besitz der böhmischen Länder exklusive der beiden Lausitzen europaweit anerkannt und auch die habsburgische Praxis in Böhmen die Eliten auszutauschen und eine ziemlich radikale Rekatholisierung zu betreiben, nicht angetastet wurde.
Damit saß Habsburg in Böhmen letztendlich fester im Sattel, als es das vor dem 30-Jährigen Krieg jemals getan hatte.
Mit der neuen Bayrischen Kurstimme und dem enddgültigen Übergang der Böhmischen Kurstimme in die habsburgische Gewalt war auch die vor dem 30-jährigen Krieg starke Position der "protestantischen Partei" (wobei die so einheitlich nicht war) im Kurfürstenkollegium, ganz empfindlich geschwächt wurde.
Unmittelbar vor dem 30 Jährigen Krieg ist die böhmiche Kurstimme und damit die böhmische Königswahl entscheidend dafür ob das Haus Habsburg auf dem Kaiserthron bleibt, was einigen potentiellen Einfluss für das Protestantische Lager bedeutete.
Mit dem endgültigen Übergang der böhmischen Kurstimme an Habsburg und der neuen bayerischen Kurstimme waren die protestantischen Kurfürsten mehr oder minder abgemeldet, abgesehen von der Situation nach dem Tod Karl VI. der keinen männlichen Erben hinterließ.
Ansonsten war die Kaiserwahl nach 1648 aber allenfalls noch ein Kompromiss zwischen Habsburg und Wittelsbach, weil klar sein musste, dass die 3 Erzbischöfe niemals einen protestantischen Kandidaten wählen würden.
Ob die Protestanten realiter 1618 einen protestantischen Kaiser hätten durchsetzen können, sie einmal dahin gestellt, Sachsen und Brandenburg gaben sich für einen solchen Versuch letztendlich nicht her.
Wären die Verhältnisse in Böhmen allerdings so geblieben, wie sie inklusive der Konfessionsfreiheit und dem böhmischen Wahlkönigtum im Majestätsbrief Rudolf II. 1609 mal garantier waren, wäre die Situation in Böhmen in der Schwebe geblieben und die Protestanten hätten im Kurfürstenkolleg wenn sie zusammengarbeitet hätten eine veritable Gegenmacht bilden können, die stark genug gewesen wäre Zugeständnisse zu fordern.
Damit ist es 1648 vorbei.
Auch die Anerkennung der christlichen Konfessionen abseits von Katholizismus und Luthertum hat sicherlich seinen Teil dazu beigetragen zu einer funktionierenden Rechtsordnung zurück zu finden.
Und die hat nach dem 30-Jährigen Krieg wahrscheinlich besser funktioniert als in der Zeit kurz davor, weil die Ächtung der Calvinisten und deren notorisches Aufbegehren dagegen in der Zeit davor, so wie die indifferente Position der Lutheraner und diverse Streitigkeiten über die Restitution säkularisierten kirchlichen Besitzes, die mit dem Augsburger Religionsfrieden zwar eingefrohren waren aber nicht gelöst wurden, im Prinzip alle vorhandenen Zentralinstitutionen des Reiches blockiert hatten.
Streng genommen, war mit Beteiligung der calvinistischen Kurfürsten in Brandenburg und der Pfalz nicht einmal mehr eine Kaiserwahl möglich, die den Rechtsgrundlagen der Reichsverfassung vor dem Hintergrund des Augsburger Religionsfriedens entsprochen hätte.
Ich würde eigentlich meinen, dass das Ergebnis des 30-Jährigen Krieges die Zentralinstanzen des Reiches und die Machtstellung Habsburgs innerhalb dieses Konglomerats eher verstärkt als geschwächt hat und damit der Herausbildung eines Nationalstaats eigentlich zuträglicher gewesen wäre, als der Zustand davor.
Ereignisse die dem entgegen wirkten sind für mich vor allem der spanische Erbfolgekrieg und der Österreichische Erbfolgekrieg mit seiner technischen Fortesetzung im Siebenjährigen Krieg.
Letzteres aus den Gründen, die ich schon benannt hatte.
Im Hinblick auf den Spanischen Erbfolgekrieg müsste man es etwas differenzierter betrachten, denke ich.
Das Ergebnis und vor allem der Fall der spanischen Niederlande an Habsburg sorgte dafür, dass eine europäische Großmacht, die wegen der eigenen Territorien und Einflüsse eine Einigung des gesamten Reiches nicht wollen konnte, nicht mehr im Reich vertreten war.
Allerdings bekam Frankreich mit dem Ende der spanischen Habsburger Spielräume im Hinblick auf potentielles Eingreifen innerhalb des Reiches, den es vorher nie gehabt hatte, was den Fürsten andere Handlungsoptionen und Bündnismöglichkeiten einräumte.
Die Vorstellung der 30 Jährige Krieg habe im Bezug auf Deutschland die Herausbildung eines Nationalstaats behindert würde ich so nicht teilen wollen.
Ich würde sogar weiter gehen und behaupten, der Friede von 1648 war eigentlich ein deutlicher Schritt in Richtung auf habsburg fokussierter Zentralisierung die in the long run wahrscheinlich sogar eine solide Basis für eine Nationalstaatsbildung hätte sein können, wenn nicht die Ereignisse und dynastischen Zufälle des folgenden Jahrhunderts den Ausschlag zu einer ganz anderen Entwicklung gegeben hätten.