Wie weit in den Alltagleben reichte die Macht der Kirche(n)?

Vielleicht hat der Autor dieser Zeilen - Klaus Krämer, ein Soziologe? - andere Quellen zur Verfügung als @Sepiola?
Unwahrscheinlich, dass es der Soziologe Klaus Krämer ist. Der hat in dieser Richtung nichts vorzuweisen.

Statt seitenweise anderen den Schwarzen Peter zuzuweisen ("aber die Kirche und die Paulusbriefe") oder dich zu rechtfertigen ("aber Klaus Krämer"), wäre es sinnvoll gewesen zu schreiben: "Ich habe mich offenbar geirrt, ich bemühe mich beim nächsten Mal, meine Quellen besser zu prüfen". Dann wäre alles gegessen gewesen. Ein einziger Beitrag. Jetzt ist erst mal in der Welt, dass es dich nicht juckt, beim Zitieren falsch erwischt worden zu sein:

Stimmt, mich juckt das nicht -
Und das lässt sich nicht mit
Ich bin mir keiner Schuld bewusst, ...
aus der Welt schaffen.

Noch mal: Kleinere Brötchen backen, Fehlerkultur entwickeln!
 
Meine Frage scheint wieder untergegangen zu sein:
Sorry für die verspätete Antwort.

Ich hätte klarer schreiben sollen, worauf ich mich bezog, denn tatsächlich liegt mir die Angabe, um die es Dir geht, nur als Sekundärzitat aus einem Vortrag des Kirchengeschichtlers Jörg Bölling vor.

Dieser zitierte aus 'Das Problem der Renaissance', einem Aufsatz Huizingas, der manchen Ausgaben von 'Herbst des Mittelalters' als Nachwort beigegeben ist. Mir liegt der Aufsatz nicht vor.

Vortragsthema war das Verhältnis zwischen kirchlichem und weltlichem Arm im Alten Reich.

Huizinga vertrat die These, dass die Renaissance nicht als eigenständige Ära zwischen Mittelalter und Neuzeit stand, sondern beide Epochen ihren Anteil an der Renaissance hatten.

Ihm zufolge schwand der Einfluss der Kirche auf das Leben der Menschen ab dem 14. Jahrhundert, als sie die Erfahrung machten, dass braver Kirchgang sie nicht davor schützte, den schweren Krisen dieses Jahrhunderts (Spätmittelalterliche Hungersnot, Pest, Hundertjähriger Krieg) zum Opfer zu fallen.

Die Diesseitsbezogenheit der Kunst der Renaissance war für Huizinga Ausdruck einer säkularer gewordenen Welt. Der Fundamentalismus, der in späteren Jahrhunderten dem Mittelalter zugeschrieben wurde, sei erst nach dessen Ende entstanden, und zwar als eine Art Konterrevolution gegen diese Verweltlichung des Christentums und die davon begünstigte Reformation.
 
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Dieser zitierte aus 'Das Problem der Renaissance', einem Aufsatz Huizingas, der manchen Ausgaben von 'Herbst des Mittelalters' als Nachwort beigegeben ist. Mir liegt der Aufsatz nicht vor.
Mir liegt der Aufsatz vor, über einen Hirtenbrief des Bischofs von Bisanz finde ich da nichts.

Die Diesseitsbezogenheit der Kunst der Renaissance war für Huizinga Ausdruck einer säkularer gewordenen Welt.

Auch das finde ich in Huizingas Aufsatz so nicht. Huizinga schreibt vielmehr:

"Denn jedermann muß sich wohl bewußt sein, daß Stoff und Inhalt der Renaissance trotz allem Einschlag von Klassizismus und Weltlichkeit zum überwiegenden Teil christlich gewesen und geblieben sind, ebenso christlich wie die mittelalterliche Kunst vorher und die der Gegenreformation danach. Ob man Romanik und Gothik nimmt, ob Sienesen und Giottoschüler, ob Flamen und Quattrocentisten, ob Leonardo und Raffael, ob Veronese und Guido Reni: bis in den vollen Barock hinein, immer ist der heilige Zweck und der heilige Gegenstand die wichtigste Veranlassung für die Kunst gewesen."
 
Danke für das Feedback. Wenn ich am Wochenende daheim bin, werfe ich noch mal einen Blick in meine Regale. Vielleicht ist mir ein Fehler unterlaufen. Dann melde ich mich.

Wobei ich sagen muss, in Deinem zweiten Absatz sehe ich keinen Widerspruch zu meiner Aussage.

Christlich war das Spätmittelalter durch und durch, daran besteht kein Zweifel, daran wollte ich auch keinen Zweifel erwecken. Die Frage ist aber doch, wie sich die Religiosität der Menschen ausdrückte. Und dass die Kunst der Renaissance naturalistischer wurde, den Menschen in den Vordergrund stellte und einen neuen Formen- und Motivschatz abseits der alten Sakralkunst schuf, daran besteht doch gewiss kein Zweifel? Dass diese Kunst das Ziel hatte, den Schöpfungsakt zu feiern, steht dem nicht entgegen.

Ebenso unstrittig dürfte sein, dass diese Zielsetzung von Zeitgenossen durchaus hinterfragt wurde, nicht zuletzt von den Reformatoren, die sich an der plötzlichen Allgegenwart von griechischen und römischen Göttern und mythologischen Figuren in den Palästen der geistlichen Fürsten störten. Vielleicht lässt mich jetzt mein Gedächtnis endgültig im Stich, aber ich bin mir sehr sicher, dass Huizinga diesen Konflikt eingehend kommentiert hat und die oben genannte Einschätzung traf (im Zusammenhang mit der Gründung des Orden vom Goldenen Vlies müsste das gewesen sein, der immerhin die christlichen Heiligen gegen Jason und seine Argonauten eintauschte).
 
Zuletzt bearbeitet:
@Sepiola

Ich kann Dir die Beigabe zu dem Vortrag einscannen, wenn Du möchtest. Etwas anderes steht da aber nicht. Morgen bin ich in der Unibibliothek in Frankfurt und werde mir den Aufsatz selbst ausleihen.
 
Ich kann Dir die Beigabe zu dem Vortrag einscannen, wenn Du möchtest. Etwas anderes steht da aber nicht. Morgen bin ich in der Unibibliothek in Frankfurt und werde mir den Aufsatz selbst ausleihen.

Was mich vor allem interessiert, ist, wo man Näheres zu dem erwähnten Hirtenbrief nachlesen kann.
 
In der Wikipedia lese ich, dass Konrad Lorenz Anfang der 1930-er Jahre verboten worden war, an der Uni Wien seine Forschungen weiter zu führen, weil

„aus Gründen der Weltanschauung der herrschenden Kreise die Biologie eher unerwünscht als erwünscht“ war „und ganz besonders die Richtung, in der Lorenz so trefflich arbeitet“. [9]

Und in der Notiz Nr. 9 kann man lesen:

Die Ablehnung von Lorenz’ ethologischer Forschung war eine Folge der Ablehnung der Darwin’schen Evolutionstheorie in akademischen Kreisen „aufgrund der Macht der katholischen Kirche“ (Deichmann, ebd.)
 
Ah, tatsächlich?

Also ich lese da folgendes:

"1928 folgte, gleichfalls in Wien, die Promotion zum Doktor der Medizin (Dr. med. univ.). Im selben Jahr und – nach einer Unterbrechung – von 1931 bis 1935 war er als Assistent bei Ferdinand Hochstetter am II. Anatomischen Institut der Universität Wien beschäftigt, der ein Magnet für deutsch-nationale und völkisch gesinnte Studenten war. Hochstetter ermöglichte es Lorenz, nebenher auch seinen ethologischen Forschungen nachzugehen.[7] Von Hochstetters Nachfolger wurde ihm die ethologische Forschung dann aber verboten, weshalb Lorenz seine Assistentenstelle aufgab und seinen Interessen in Altenberg, wo er ab 1928 eine private zoologische Forschungsstation aufgebaut hatte,[8] ohne Gehalt als Privatgelehrter nachging. Hintergrund war, dass damals in Wien „aus Gründen der Weltanschauung der herrschenden Kreise die Biologie eher unerwünscht als erwünscht“ war „und ganz besonders die Richtung, in der Lorenz so trefflich arbeitet“.[9] "

Es wurde ihm also nicht generell verboten zu forschen, sondern er hatte lediglich keinen eigenen Lehrstuhl und Forschungsmittel zur Verfügung, fand aber einen Lehrstuhlinhaber im akademischen Brtrieb, der ihn als Assistenten beschäftigte und ihm ermöglichte auch seinem Interessengebiet nachzugehen (bedeutet, ihm wurde durch die Assistentenstelle von seinem Chef großzügiger Weise etwas bezahlter Freiraum zugesstanden, wenn er neben seinen Assistentenpflichten noch seinen privaten Interessen nachgehen konnte).
Auf solche Unterstützung hatte er keinen Anspruch und wenn ihm der Nachfolger seines Chef diese Möglichkeit nicht mehr bot und untersagte, dass Lorenz im Rahmen seiner Assistentenstelle weiter seinen eigenen Projekten nachging, stellt das keinen wie auch immer gearteten Übergriff dar.

Was das mit der Kirche zu tun haben soll, weiß ich nicht.


Die "damals herrschenden Kreise" waren nicht die katholische Kirche, sondern das Dollfuß-Regime.

Und dass die weltanschaulichen Gründe in einer Abneigung gegen die Biologie bestanden hätten ist eine Behauptung, die, wenn du dir die Fußnote Nr. 9 mal ansiehst auf der brieflichen Einlassung eines Wiener Botanik-Professors aus 1937 beruht.


Wäre zu fragen, was genau wusste der darüber, warum Lorenz damaliger Chef ihn dahingehend nicht mehr arbeiten lassen wollte und ferner, wenn Ablehnung weltanschaulich begründet gewesen sein sollte, lag die im Bereich der Biologie im Allgemeinen (unwahrscheinlich, dann hätte man ja Lorenz kaum in dem Bereich promovieren und habilitieren lassen und die biologische Fakultät wurde auch nicht geschlossen), sozialdarwinistischen Unfugs im Besonderen, oder aber war es de facto ganz anders begründet und man nahm Lorenz seine Tendenzen zum Deutschnationalen übel?


Im Übrigen, ganz so viel können die "damals herrschenden Kreise" gegen Lorenz nicht gehabt haben, immerhin ermöglichte man ihm 1936 die Habilitation und die Lehrbefugnis in Wien, was auch in dem Artikel steht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nur ganz kurz, weil ich wenig Zeit habe: Der Briefschreiber Fritz Knoll war überzeugter Nazi. Es wäre daher verständlich, wenn Fritz Knoll in seinem Brief aus dem Jahr 1937 – „die Ablehnung seiner ethologischen Forschung durch die Mehrheit der Wiener Professorenschaft“ – mit den jüdischen Professoren in diesem Lehrköper begründete, schließlich bekannte sich auch Lorenz schon sehr früh zum Völkischem, später auch zum Nationalsozialismus, was ihm u.a. die Professur in Königsberg brachte.

Und dieser Knoll hat nach dem Anschluss Österreichs für die „Säuberung“ der Universität gesorgt – Zitat: „Es folgte die massenhafte Entlassung jüdischer und politisch missliebiger Dozenten: Bis zum 23. April 1938, also binnen fünf Wochen, wurden nicht weniger als 252 Mitglieder des Lehrkörpers entlassen.[6]
 
Der Briefschreiber Fritz Knoll war überzeugter Nazi.
Womit man dann die Behauptung Biologie wäre aus weltanschaulichen Gründen nicht genehm gewesen etwas mit Vorsichht betrachten sollte, denn was Nazis und andere Rassisten mitunter unter "Biologie" so verstehen, hat ja durchaus öffter mal mit seriöser Wissenschaft nicht viel zu tun.
 
Nur ganz kurz, weil ich wenig Zeit habe: Der Briefschreiber Fritz Knoll war überzeugter Nazi.

Und auch der Nachfolger Hochstetters als ordentlicher Professor und Vorstand des II. Anatomischen Instituts, Eduard Pernkopf:

Wiki schrieb:
... von 1931 bis 1935 war er als Assistent bei Ferdinand Hochstetter am II. Anatomischen Institut der Universität Wien beschäftigt, der ein Magnet für deutsch-nationale und völkisch gesinnte Studenten war. Hochstetter ermöglichte es Lorenz, nebenher auch seinen ethologischen Forschungen nachzugehen.[7] Von Hochstetters Nachfolger wurde ihm die ethologische Forschung dann aber verboten, weshalb Lorenz seine Assistentenstelle aufgab...

Die Angaben bei Wiki sind widersprüchlich und jedenfalls mit Vorsicht zu genießen.
 
Marsilius von Padua entwickelte schon im 14. Jahrhundert eine Idee, wie man menschenwürdig regieren sollte. Zuallererst forderte er, die Macht der Kirche zu beschränken, vor allem aber ihre Privilegien abzuschaffen – Zitat:

Den Zweck der staatlichen Gemeinschaft sah er darin, befriedigende Lebensverhältnisse zu gewährleisten und damit Wohlstand und „bürgerliches Glück“ zu ermöglichen. Die Voraussetzung dafür sei der auf Rechtssicherheit beruhende innere Frieden in der Bürgerschaft. Dieser sei hauptsächlich durch die Privilegierung des Priesterstandes bedroht, denn die Machtgier der Geistlichen, vor allem der Päpste, habe die schlimmsten Streitigkeiten und Kämpfe herbeigeführt, die Herrschaft des Gesetzes untergraben und Italien ins Elend gestürzt. Daher müsse die kirchliche Sonderjustiz beseitigt werden, der Klerus sei uneingeschränkt der staatlichen Gerichtsbarkeit zu unterstellen. Für die Kirche forderte Marsilius die Abschaffung der hierarchischen Herrschaftsstruktur, Wahl der Amtsträger durch die Gemeinden oder durch vom Volk eingesetzte Gremien, Gleichberechtigung der Bischöfe untereinander und Beschränkung der päpstlichen Befugnisse auf ausführende Funktionen. Strittige Glaubensfragen seien durch ein allgemeines Konzil zu klären.

Wie man weiß, verteidigte die Kirche das Privileg, über ihr Personal selbst juristisch zu urteilen, bis in unsere Tage, was sich zum Beispiel in dem Verhalten der Bischöfe und der Päpste bei Kindermissbrauch zeigte: Statt die Akten an die zuständigen Staatsanwälte zu übergeben, sandten sie sie nach Vatikan, wo sie abgelegt wurden, was oft ohne Konsequenzen für die Täter blieb: Diese wurden ggf. in eine andere Pfarrei versetzt, wo sie weiter ihr Unwesen treiben konnten.
 
Wie man weiß, verteidigte die Kirche das Privileg, über ihr Personal selbst juristisch zu urteilen, bis in unsere Tage
Eigentlich nicht.
Jedenfalls wäre mir nicht bekannt, dass in jüngerer Zeit mal irgendein kirchlicher Amtsträger damit argumentiert hätte, dass angehörige des Klerus per se nicht vor einem weltlichen Gericht angeklagt werden könnten oder von der weltlichen Macht belnagt werden könnten.
Das Vertuschen von Straftaten um den Ruf der jeweiligen Kriche nicht zu beschädigen, ist etwas anderes (wenngleich völlig inakzeptables), als grundsätzlich die weltliche Gerichtbarkeit für die Geistlichkeit nicht anerkennen zu wollen.
Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe.


Das postulierte sie in dieser Form nicht einmal mehr im Spätmittelalter konsequent.
Ansonsten wäre es z.B. überhaupt nicht möglich gewesen die Causa Luther vor dem Wormser Reichstag zu verhandeln und gegen ihn die Reichsacht zu verhängen, bzw. der gesamte katholische Klerus hätte bereits gegen die Vorladung auf die Barrikaden gehen müssen, weil der auf genau eine solche Unterwerfung des Klerus unter Entscheidungen, Urteile und Strafen der weltlichen macht hinauslief.

Zu der mittelalterlichen/frühneuzeitlichen (mindestens teilweisen) Ausnahme des Klerus von der weltlichen Gerichtbarkeit sind verschiedene Dinge zu bemerken:

- Zum Ersten gab es die Vorstellung der Gleichheit aller vor dem Gesetz jedenfalls nicht als gesellschaftliches Allgemeingut. Auch Adlige konnten für diverse Dinge (z.B. Fehden), für die Nichtadlige belangt werden konnten, nicht vor Gericht gezerrt werden und Teilweise wohl auch nur durch den Richtspruch von Standesgenossen oder noch höher stehenden abgeurteilt werden.

- Zum Zweiten war mit dem Kirchenrecht eine Paralleljustiz verbunden, die in vielen Fällen überhaupt nicht in Konkurrenz zur weltlichen Gerichtbarkeit trat.
Angehörige des Klerus konnten in den meisten Fällen nicht vor ein weltliches Gericht gezerrt werden, in den meisten Fällen, konnten allerdings auch Laien nicht vor einem krichlichen Gericht landen, weil das Kirchenrecht sich in seiner Gültigkeit weitgehehend auf Angehörige des Klerus beschränkte.
Ausnahmefälle sind vor allen Dingen Fälle, wo sich weltliche und kirchliche Macht überschnitten, weil entweder adlige Laien mit Kirchenämtern oder Kleriker mit weltlichen Herrschaften ausgestattet wurden, so dass die sphären nicht mehr klar zu trennen waren.

- Die Kirche an und für sich als Institution, konnte überhaupt kein Interesse daran haben ihre Kleriker vor Bestrafung zu schützen, zumindest wenn öffentlich bekannt war, dass diese irgendwelche Verbrechen begangen hatten, weil das den Ruf der Kirchen und damit ihren Einfluss geschmählert hätte.

Zu dem von dir zitierten Autor solltest du vielleicht hinzusetzen, dass dieser sich selbst dereinst um kichliche Pfründe beworben hatte (was die Glaubwürdigkeit im Hinblick auf die Redlichkeit nach dem Wunsch kirchliche Privilegien generell abzuschaffen, irgndwie schmählert) und dass er in der Zeit lebte und wirkte, in der das Papsttum selbst in Avignon unter der Fuchtel des französischen Königs stand.

Dieser Umstand, auch der eines in der Zeit aktuellen Gegenpapstes, zeigen eigntlich, dass es realiter in dieser Zeit um Einfluss und Ruf der Kirche nicht besonders gut bestellt war.
 
Zuletzt bearbeitet:
In einem anderen Faden habe ich gerade das gelesen:
Jussens “Das Geschenk des Orests” ist ja nicht die erste Arbeit, in der die Idee vertreten wird, dass die katholische Kirche durch Verbote von Verwandtenheiraten Clanstrukturen schwächte und so die Entstehung partizipatorischer politischer Strukturen im europäischen Mittelalter ermöglichte.
Diesen Indiz für die Macht der Kirche im Alltag wird selbst @Shinigami und @dekumatland freuen, die ja beide eher dazu neigen, den Einfluss der Kirche kleinzureden, in dem sie z.B. auf Fälle hinweisen, in denen sich die Bevölkerung nicht oder nicht ganz an die Vorgaben der Kirche hielt – was eine Selbstverständlichkeit war und ist, schließlich werden Gesetze und Vorschriften immer mal missachtet, ohne dass das etwas an der Macht und dem Recht desjenigen änderte, diese zu erlassen.
 
In einem anderen Faden habe ich gerade das gelesen:

Und den Teil hier, im darauffolgenden Posting hast du natürlich nicht gelesen?

Es zeigt sich, dass ein länger dauernder Einfluss der Kirche die Wahrscheinlichkeit für die spätere Herausbildung partizipatorischer Strukturen erhöht. Das sagt allerdings nichts direkt über die Bedeutung des kirchlichen Inzestverbots aus.

Der Artikel zeigt aber auch, dass es innerhalb der Grenzen des karolingischen Reichs in Städten, die von Inzestverboten regionaler Synoden besonders betroffen waren, mit besonders hoher Wahrscheinlichkeit zur Herausbildung partizipatorischer Strukturen kam.

Diesen Indiz für die Macht der Kirche im Alltag wird selbst @Shinigami und @dekumatland freuen, die ja beide eher dazu neigen, den Einfluss der Kirche kleinzureden

Vielleicht blätterst du einfach mal ein paar Seiten zurück und liest nochmal aufmerksam, die Unterhaltung mit @Armer Konrad hinsichtlich des Einflusses der Kirche im Alltag.
Ich weiß ja nicht, wo du herhaben willst, dass irgendjemand den Einfluss der Kirche kleinredet.

Es ist einfach nur explizit moniert worden, dass du regelmäßig mit absolut hahnebüchenden Vorstellungen davon, wie sich dieser manifestierte, die immer auf bilder irgendwelcher blutrünstigen und kleptokatischen kirchlichen Verschwörungen hinaus laufen in denen alle Nichtkleriker nichts weiter sind, als arme hirngewaschene Wichte, ohne eigenen Willen, ankommst.
Und diese Vorstellung ist und bleibt Unsinn.

Freuen würde mich vor allem, wenn man mal auf eine sinnnvolle Diskussionsgrundlage kommen würde, die irgendeinen Bezug zu den realen Gegebenheiten aufweist und dazu, wo die Kirche im Alltag tatsächlich Machtpotentiale hatte.

Z.B. wie bereits gegenüber @Armer Konrad angesprochen, könnte man sich etwa, mit der Vermittlerrolle von Gemeindepfarrern, bei lokalen Streitigkeiten oder auch die Rolle von Sprachgelehrten aus der Rolle des Klerus bei Wissenstransfers (nein, keine auslegungen religiöser Texte, sondern tatsächlich Wissenstrasfers in Form der Übersetzung und Zugänglichmachung wissenschaftlicher Traktate) oder auch diplomatischen Verhandlungen weltlicher Potentaten untereinander, die häufig Übersetzer benötigten unterhalten.

Aber doch bitte nicht über Unsinnsvorstellungen, nach denen der Einfluss der Kirche sich darin manifestiert habe, dass diese Jahrhundertelag die gestamte Menschheit mehr oder weniger non Stop, wie willenlose Roboter herumkommandiert hätte und nach denen überspitzt gesagt, der Normalo-Nichtkleriker nicht einmal ohne vorher einen päpstlichen Dispens erhalten zu haben, nießen konnte, ohne gleich befürchten zu müssen, dass hinter dem nächsten Busch gleich eine ganze Legion von Inquisitoren, geführt von Heinrich Kramer und Torquemada persönlich hervorgesprungen wäre und ihn, bewehrt mit oppulent verzierten, schweren, ledergebundenen Ausgaben des Hexenhammers zuerst niedergeknüppelt, dann verbrannt und sicherheitshalber rückwirkend noch exkummuniziert hätte, damit ja niemand die Macht der Kirche anzweifelte.

Das Angebot sich vernünftig über das Thema zu unterhalten steht nach wie vor, wenn du mittlerweile daran interessierst bist, kann man das herzlich gerne tun.
Wenn sich dein Interesse weiterhin darauf beschräkt Horormärchen aus dem Gruselkabinett zu erzählen oder Extremfälle (z.B. Exkommunikationen und damit verbundene Hinrichtungen), zu Alltagsphänomenen umzuettikettieren und so zu tun, als wäre halt in jedem Dorf alle 2 Stunden mal irgendjemand exkommuniziert und hingerichtet worden, wird es eben weiter Kontra geben.

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Zum Inhaltlichen:


Ich weiß nicht wie genau die Studien, auf die sich @Clemens64 bezogen hat aufgebaut waren.

Mein Problem dabei ist, dass ich allein aus der Auflösung von Clanstrukturen heraus noch eigentlich keine Tendenz zu vergrößerten Partizipationsmöglichkeiten sehe, da dies im Prinzip voraussetzen würde, dass Clanstrukturen das einzige denkbare Gegenmodell zu Partizipation gewesen wäre.
Das blendet, wie ich meinen wollen würde, allerdings die Möglichkeit eines Übergangs zu mehr klientelistischen Netzwerken, die nicht mehr auf Verwandtschaften basieren, allerdings noch immer krass hierarchisch und anntipartizipativ sind, etwas aus.

Von dem her müsste ich an die These, dass die Durchsetzung des Inzestverbots und das Unterbinden von Verwandten-Ehen, automatisch zu mehr Partizipation geführt habe ein Fragezeichen machen.
Ich würde nicht mit Bestimmtheit sagen, dass dies nicht sein könne, aber richtig überzeugt bin ich davon allein nicht, jedenfalls müsste ich mir da weitere Erklärung erbitten.
Möglicherweise auch dahingehend, was im Sinne dieser Studie unter "Partizipation" genau verstanden werden möchte.

Das der Einfluss von Kirchen zu durchaus mehr Partizipation des einzelnen führen konnte, würde ich schon darin begründet sehen, dass die Kirchen dadurch, dass sie einen beträchtlichen Teil des Elementarbildungssektors in der Hand hatten, dazu prädestiniert waren Schlüsselqualifikationen für gesellschaftliche und politische Teilhabe zu vermitteln.
 
Mein Problem dabei ist, dass ich allein aus der Auflösung von Clanstrukturen heraus noch eigentlich keine Tendenz zu vergrößerten Partizipationsmöglichkeiten sehe, da dies im Prinzip voraussetzen würde, dass Clanstrukturen das einzige denkbare Gegenmodell zu Partizipation gewesen wäre.
Das blendet, wie ich meinen wollen würde, allerdings die Möglichkeit eines Übergangs zu mehr klientelistischen Netzwerken, die nicht mehr auf Verwandtschaften basieren, allerdings noch immer krass hierarchisch und anntipartizipativ sind, etwas aus.
Natürlich können Clans auch durch klientilistische Strukturen ersetzt werden, es ist also nicht zwingend, dass sich partizipative Strukturen entwickeln, wenn Clans weniger wichtig werden. ich finde es allerdings schon plausibel, dass verwandtschaftliche Bindungen potenziell besonders stark sind und deshalb die Identifizierung des Einzelnen mit einer Bürgergemeinschaft besonders stark schwächen können.

Was den Begriff "Partizipation " betrifft: Schulz zählt diejenigen mittelalterlichen Städte als partizipativ verfasst, in denen es so etwas wie einen Stadtrat gab.

Das der Einfluss von Kirchen zu durchaus mehr Partizipation des einzelnen führen konnte, würde ich schon darin begründet sehen, dass die Kirchen dadurch, dass sie einen beträchtlichen Teil des Elementarbildungssektors in der Hand hatten, dazu prädestiniert waren Schlüsselqualifikationen für gesellschaftliche und politische Teilhabe zu vermitteln.

Natürlich gibt es viele Wege, auf denen der Einfluss der katholischen Kirche die Herausbildung partizipativer Strukturen begünstigt haben könnte. Dafür, dass das Verbot von Verwandtenheiraten dabei eine nicht unbedeutende Rolle gespielt hat, spricht, dass es nach Schulz auch in Gegenden ohne christlichen Hintergrund die Beziehung zwischen starken Clanstrukturen und Schwäche partizipativer Strukturen gab und gibt.
 
"Die Kirche reichte in überall hin..."
Das ist Bullshit!

Als Schüler eines deutschen Internates in den frühen 1970er Jahren fand "Kirche/Religion" nicht statt, das war kein Thema in unserer Schule.
Link: Landschulheim Burg Nordeck – Wikipedia

Es gab ein weihnachtliches "Krippenspiel", das von uns jungen Schülern alljährlich aufgeführt wurde. Es gab dafür eine Note in dem damaligen Deutschunterricht, das war es aber dann auch schon.

Wir Kinder und Jugendliche sind religionsfrei aufgewachsen, es gab christliche, jüdische, muslemische, und völlig ungläubige Schüler in unserer Schule. Es waren gute, und sehr prägende Jahre.

Es gab damals das "Prinzip Summerhill", das uns Schülern leider nicht zuteil wurde, wir waren ein paar Jahre zu spät für all das.
Diese Schule war sehr teuer, nur sehr wenige Eltern konnten sich eine solche Ausbildung ihrer Kinder leisten, ich war einer der Schüler.

Micha
 
ich finde es allerdings schon plausibel, dass verwandtschaftliche Bindungen potenziell besonders stark sind und deshalb die Identifizierung des Einzelnen mit einer Bürgergemeinschaft besonders stark schwächen können.
Dem würde ich auch grundsätzlich nicht widersprechen wollen.

Was den Begriff "Partizipation " betrifft: Schulz zählt diejenigen mittelalterlichen Städte als partizipativ verfasst, in denen es so etwas wie einen Stadtrat gab.
Da sehe ich nur ein Problem. "Stadtrat" bedeutete ja oft lediglich, dass die politische Macht in einer Stadt unter verschiedenen ratsfähigen Familien aufgeteilt war, in die Persönen entweder hineingeboren wurden, womit man wieder bei Clanstrukturen wäre oder in deren Partonage jemand als ihr Klient aufsteigen konnte, wenn politische Überlegungen und Strategien es erforderten, dass die entsprechenden Familien nicht selbt offen als Halter politischer Ämter auftraten (dabei denke ich plakativ vor allem an die Medici, die sich gerne solcher Platzhalter bedienten).

Davon dass es tatsächlich partizipativ wird würde ich erst in dem Moment reden, in dem sich im Besonderen die Handwerker-Zünfte ihren Teil der Macht und ihren Platz in den Räten erkämpften und damit die Exklusivität der ratsfähigen Familien aufbrachen.
Die Zünfte waren zwar auch noch weit davon entfernt eine wirklich breite Partizipation zu ermöglichen, aber dort war Eintreten und Aufstieg jedenfalls grundsätzlich ohne dezidiertes andauernden Klientelverhältnis (natürlich waren Lehrlinge einem Solchen unterworfen, aber die Meister nicht mehr) möglich.
Auch wennn sich da mit der Zeit Handwerkerdynastien herausbildeten, die dann auch ein Stück weit wieder verknöcherten und erstarrten.
Dafür, dass das Verbot von Verwandtenheiraten dabei eine nicht unbedeutende Rolle gespielt hat, spricht, dass es nach Schulz auch in Gegenden ohne christlichen Hintergrund die Beziehung zwischen starken Clanstrukturen und Schwäche partizipativer Strukturen gab und gibt.
Da würde ich aber vor allem auch ein starkes Stadt-Land-Gefälle sehen.
Auf dem Land läuft ja heute noch vieles über die Großfamilie und mehr oder weniger klientelsitsche Cliquenwirtschaft.
 
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