Lieber Dekumatland,
das letzte, was ich nach der ausserordentlich guten obigen Diskussion wollte, wäre neue ethnische Grenzen zu ziehen. Ich sehe sie auch viel zu fliessend, um wirkliche Grenzen darzustellen. Ja, wir müssen sogar von einer Mischbevölkerung ausgehen, wobei das eben mit dem römischen Begriff für Kelten und Germanen steht und fällt.
Lieber Ogrim,
da sind wir uns völlig einig!
Und bzgl. der vor schon recht langer Zeit gestellten Ausgangsfrage "bis wohin in nordöstlicher Richtung sich Kelten ausgebreitet haben" wird man wohl nur konstatieren können, dass auch eine in Anlehnung an Orts- und Gewässernamen erarbeitete ungefähre Einordnung von Sprachräumen uns eben keine eindeutige Grenze aufzeigen kann. Dasselbe gilt ähnlich auch für Vergleiche der materiellen Hinterlassenschaften in kulturellen Übergangszonen: sie sagen uns nicht, welche Sprache ihre Besitzer gesprochen haben.
Bzgl. der schriftlichen Quellen, welche überwiegend die röm. und griech. Darstellung (ich verzichte bewußt auf den Begriff Wahrnehmung) bieten, ist der Schematismus "linksrheinisch - rechtsrheinisch" zu einfach. Freilich muss man den Römern verzeihen, dass sie ihre Anrainer, Nachbarn, potenziellen Feinde und potenzielle Eroberungsgebiete nicht mit der Perspektive der modernen Sprachgeschichtler betrachtet hatten (so war es den Römern egal, dass die fränkische, alemannische und gotische Sprache verwandt waren: was über den Rhein drängte, galt als "germanisch", was weiter im Süden über die Donau drängte, wurde als "skythisch" oder gotisch betrachtet - - und beide zusammen als Barbaren)
Wenn ich nun diese Frage - keltisch-germanisch - ganz allgemein auffasse, so fällt mir zudem noch auf, dass der zeitliche Horizont verschieden ist: die keltische Hochkultur ist wohl älter als eine germanische (oder zumindest stand sie deutlich höher: einen so prunkvollen Hochdorfer Fürsten aus dieser Zeit, um 500 v. Chr., kenne ich aus der Elbegegend nicht). Ganz vorsichtig gesagt: der keltische Zenit scheint schon überschritten gewesen zu sein, ehe der germanische auftauchte.
Ich erninnere mich übrigens noch an einen grausigen Fund, von dem ich gelesen habe: ein Massengrab in Böhmen, welches makabrerweise als böhmisch-keltische Opferstätte bezeichnet wird (war in einem Buch einer brit. Archäologin, welche das Thema Menschenopfer darstellte)
Und ja, ich weiss, das es erstaunlich sein kann, wenn man erstmals mit den Überresten keltischer Kultur konfrontiert wird, besonders einem so schönen Beispiel wie Hochdorf.
Aber es macht mich auch wütend, weil es zeigt, wie weit eigentlich der römische Topos von den "felltragenden Barbaren" die in "dichten Wäldern" wohnten in unser Geschichtsbild reicht. Es ist ja nicht so, als hätte Rom allein alle Segnungen der Zivilisation gebracht, sondern es bestanden schon durchaus differenzierte Strukturen vor dem Einmarsch Roms.
Gestaunt habe ich schon öfter beim Besuchen von Ausstellungen und Museen, ob nun keltisch (Alesia, Hochdorf), german./wikingisch (Haithabu), skythisch (das Gold der Skythen), ottonisch (Otto der Große) usw usw. Allerdings macht mich das nicht zornig auf die Römer - denn über die habe ich oft genug nicht weniger gestaunt.
Ein paar Zweifel bzgl. der Vergleichbarkeit keltischer Oppida mit römischen Großstädten habe ich - allerdings schmälert das die andere (keltische) Kultur in meinen Augen nicht.
Wenn man die Oppida, wie ich es tun möchte, als vollwertige Städte begreift, dann reden wir schon von einer Hochkultur.
Natürlich reden wir von einer Hochkultur, ganz ohne jeden Zweifel. Nur bzgl. der Städte habe ich Bedenken: wären diese dem röm. Standard entsprechend gewesen, so wären sie eher übernommen als überbaut oder neu gebaut worden - da sind Unterschiede meiner Ansicht nach sichtbar.
Der einzige Unterschied ist das fehlen von Schrift, und dafür hatten die Kelten - nach Caesar, wenn ich nicht irre - wohl ihre inneren Gründe.
Schliesslich beherrschten sie in der Frühzeit bereits griechisch für den Handelsverkehr und durch ihre Söldnerdienste wohl auch schon früh Latein.
Die irische Ogham-Schrift stammt aus Spätantike / frühem Mittelalter, allerdings hat es doch laut Wikipedia keltische Schriftlichkeit gegeben, wenn auch nicht allzu umfangreich:
Wikipedia - Kelten schrieb:
Die Kelten in
Noricum verfügten über eine eigenständige, dem
etruskischen nahestehende von rechts nach links geschriebene Schrift, von der insbesondere in der Ausgrabungsstätte
Magdalensberg[1] Funde gemacht wurden. Aber schon vor der römischen Besetzung (15 v. Chr.) war in Sprache und Schrift dort Latein vorherrschend im Gebrauch.
wie auch immer: auf stammelnde Wilde ist Caesar nicht getroffen
schließlich konnten die (im Noricum, und woanders sicher auch) mit der lateinischen Schrift umgehen.
Altkeltische Sozialstrukturen, Budapest, Archaeolingua 2006,
ISBN 963-8046-69-4
Das werde ich mir anschauen, vielen Dank für den Hinweis!
Der Besiedlungsrückgang um 300 v. Chr.: kannst Du darüber noch weiteres berichten?