Zur Entstehung von ethnischen Konflikten

Dion

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Zu Ethnien bzw. zu ethnischen Kriegen habe ich heute ein interessantes Interview der SZ mit dem Soziologen Andreas Wimmer gelesen. Obwohl ich mit seinen Aussagen nicht voll übereinstimme, werde ich versuchen, im Folgenden das Wesentliche zu zitieren, ohne dem Konflikt im Nahen Osten Raum zu geben, sondern im Allgemeinen zu bleiben – hier die Aussagen des Soziologen:

Wenn Länder einen gewissen ökonomischen Entwicklungsstand erreichen, entstehen in ihnen keine Bürgerkriege mehr. Das ist fast wie ein Gesetz.
(…)
Ethnische Konflikte zeichnen sich erstens dadurch aus, dass bewaffnete Gruppen entweder darum kämpfen, wie in einem Staat die Macht unter verschiedenen Ethnien aufgeteilt wird, oder darum, sich einem anderen Staat anzuschließen oder einen eigenen zu gründen, in dem die eigene Gruppe die ethnische Mehrheit stellen würde. Zweitens rekrutieren bewaffnete Gruppen in ethnischen Konflikten ihre Kämpfer vorwiegend innerhalb der eigenen Ethnie und achten auch bei der Suche nach Verbündeten auf ethnische Gemeinsamkeit.
(…)
Gewalt macht ethnische Trennlinien plausibler.
Vielleicht wiederholen sich ethnische Konflikte deshalb häufiger als andere. Waffenstillstände und Friedensabkommen sind brüchiger.
(…)
Zunächst sehen wir in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Anstieg von Eroberungskriegen, bei denen sich Staaten neue Territorien einverleiben – unabhängig von deren ethnischer Zusammensetzung.
(…)
Eine weitere Besonderheit ist der Zweite Weltkrieg, bei dem der Anteil von Kriegen zwischen Staaten massiv zunimmt.
Wenn man aber diese beiden Entwicklungen in den Hintergrund schiebt, stellen wir fest: Der Anteil ethnopolitischer Konflikte ist seit dem Ende der Napoleonischen Kriege kontinuierlich angestiegen.
(…)
Diese Verschiebung liegt meines Erachtens am Nationalismus, der sich seit Napoleon quer über den Globus ausbreitete. Die nationalistische Ideologie fordert, dass Bevölkerung und Regierung derselben ethnischen Gruppe entstammen.
(…)
… in den Jahrzehnten nach einer Nationalstaatsgründung steigt die Wahrscheinlichkeit von ethnisch motivierten Bürgerkriegen, in denen es um Machtverteilung im neuen Staat geht. Zu diesem Muster gehören – historisch gesehen – auch sogenannte ethnische Säuberungen, die zum Ziel haben, einen ethnisch homogeneren Nationalstaat zu schaffen.
Die Vertreibungen fügen sich in dieses Muster, wie auch immer wir sie im Detail interpretieren. Diese Dynamik sehen wir auch nach der Gründung der modernen Türkei an den Zwangsumsiedlungen von Griechen und Türken, die euphemistisch „Bevölkerungsaustausch“ genannt wurden. Oder nach den Gründungen von Pakistan und Indien. Die konfliktreiche Dynamik des Nationalismus setzt sich nach der Staatsgründung fort, in den zwei oder drei folgenden Jahrzehnten bleibt das Kriegsrisiko hoch. An den Daten sehen wir aber, dass es im Schnitt nach sieben Jahrzehnten wieder auf das Durchschnittsniveau zurückgeht.
(…)
In den meisten Fällen enden ethnische Konflikte früher oder später entweder durch Abspaltung von neuen, homogeneren Nationalstaaten oder durch Machtteilung mit Minderheiten im existierenden Staat. (…) Historisch gibt es noch eine dritte, seit dem Zweiten Weltkrieg aber international geächtete Variante, um solche Konflikte gewaltsam zu beenden, nämlich ethnische Säuberungen. Trotz der Ächtung kommt es noch heute dazu: Im vergangenen September eroberte Aserbaidschan Bergkarabach, vertrieb die meisten der dort lebenden Armenier und beendete den Konflikt dadurch. Diese Variante ist nicht nur moralisch inakzeptabel, sondern in Nahost auch politisch nicht machbar.
Unserer Forschung zufolge brechen häufiger Bürgerkriege in Ländern aus, in denen ein großer Anteil der Bevölkerung von politischer Macht ausgeschlossen ist. Wenn etwa ein Drittel der Bevölkerung ausgeschlossen wird, steigt das Risiko eines Bürgerkriegs um ein Viertel. Der Effekt ist stärker als der eines niedrigen Bruttoinlandsprodukts oder einer großen Bevölkerung. Selbstverständlich spielen in vielen Kriegen Armut und Ressourcen entscheidende Rollen, etwa Öl in Südnigeria oder Diamanten in Sierra Leone. Das vermischt sich manchmal mit ethnischen Machtkämpfen.
Doch die Annahme, dass politische Ungleichheit ein großer, wenn nicht der Haupttreiber von vielen Bürgerkriegen ist, ist in der Forschung inzwischen weitgehend akzeptiert.
(…)
Je weniger eine ethnische Gruppe an Regierungsmacht teilhat, desto größer ist die Konfliktwahrscheinlichkeit, weil das nationalistische Prinzip der Selbstbestimmung verletzt wird.
Das Konfliktrisiko steigt bereits leicht an, wenn eine Gruppe nicht in der Zentralregierung repräsentiert ist und lediglich regional Macht ausübt – etwa in einem Autonomiestatut wie jenem der Tiroler in Italien. Das mit Abstand größte Konfliktpotenzial finden wir bei Gruppen, die auf jeder politischen Ebene aktiv und gezielt diskriminiert werden.
(…)
All die statistischen Ergebnisse sind Durchschnittseffekte. Man muss vorsichtig sein, sie für einen spezifischen Konflikt zu interpretieren.
(…)
Ethnische Konflikte verschwinden erst, wenn die zugrunde liegenden, tief verankerten nationalistischen Hoffnungen erfüllt werden. Gegenbeispiele gibt es kaum. Tief verankert heißt: Die Bevölkerung hat die nationalistischen Ziele als ihre eigenen angenommen und ist für diese mobilisiert. Die historisch häufigste Art, diese Konflikte beizulegen, ist daher Partition, also die territoriale Trennung von Ethnien in neue Staaten wie zum Teil im Falle Jugoslawiens.
(…)
„Power sharing“: Die Gruppen, darunter die bisher ausgeschlossene, teilen sich die Macht in einem gemeinsamen Staat. Das wäre das Nordirland-Modell;
 
Je weniger eine ethnische Gruppe an Regierungsmacht teilhat, desto größer ist die Konfliktwahrscheinlichkeit, weil das nationalistische Prinzip der Selbstbestimmung verletzt wird.

Das würde ich insofern nicht unterschreiben wollen, als dass sich das auch umgekehrt abspielen kann.
Wenn eine relativ kleine Gruppe die im Land eigentlich nicht oder kaum vertreten ist, deutlich überproportional in Machtpositionen vertreten ist kann mitunter auch das zu Unmut bei der Mehrheitsbevölkerung führen.

Man kann das etwa im russischen Zarenreich in späten 19. Jahrhundert sehen.
Da wird gerade im Bereich slawophiler und panslawischer Denkrichtungen die Gruppe der deutsch-baltischen Barone immer mehr zum inneren Feindbild, weil man ihnen durch ihre überproportional starke Vertretung in einflussreichen Positionen gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil vorhielt im extremen Maße politische Macht zu akkumulieren und letztedlich in der extremen Fassung des Vorwurfs eine Art Fremdherrschaft im Land azuszüben.

Das gleiche Phänomen, lässt sich meines Erachtens auch am europäischen Antisemitismus, seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert beobachten.
Sobald jüdische oder als jüdisch gelesene Personen gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil einen überproportionalen Anteil an herausragenden Positionen in Wirtschaft und Wisseschaft erreichten und tatsächlich an der politischen Macht teilhaben durften, verschärften sich die Anfeindungen durch die christliche Mehrheitsbevölkerung.
In Deutschland in der Weimarer Zeit extrem, aber auch anderswo in Europa, wie etwa in Frankreich.


Von dem her fürchte ich, ganz so einfach ist es mit

„Power sharing“: Die Gruppen, darunter die bisher ausgeschlossene, teilen sich die Macht in einem gemeinsamen Staat.

nicht.

Werden ethnische Gruppen nicht an der politischen Macht beteiligt oder gar noch auf andere Weise diskriminiert, neigen sie verständlicherweise zum Separatismus oder zum politischen Umsturz, werden ethnische Gruppen sichtbar überproportional an ihrem Bevölkerungsantel an der politischen Macht beeteiligt, dauert es erfahrungsgemäß nicht lage, bis die Mehrheitsbevölkerung dazu neigt, in diesen Verhältnissen Verschwörungen, Übervorteilungen oder ausverkauf der nationalen Interessen an bestimmte Minderheiten zu sehen und diese Minderheiten als scheinbare Profiteure davon anzufeinden.

Demgegenüber ist es durch Verschiebung der Bevölkerugsanteile der in the long run oft nicht oder nur schwer möglich eine für alle Seiten akzeptable Balance zu halten, weil die Seite, die bei Anpassungen eines vorhandenen Kompromisses an neuere Entwicklungen Nachteile zu fürchten hat und sich dem immer verweigern und auf tradiertes Recht und früher gegebene Regelungen pochen wird.
 
Mich stört die überproportionale Verwendung des Wortes "Ethnie" in dem Interview.
Es können verschiedenste Gruppen sein, die mit einander in Konflikt geraten. Religiöse und wirtschaftliche Unterschiede, oder auch nur irgendwie konstruierte Unterscheidungsmerkmale spielen da eine Rolle, oft auch künstlich geschaffene Ethnien wie die "Hutu" und "Tutsi" in Ruanda oder moslemische "Pakistani" und hinduistische "Inder". Als was möchte man die Konfliktparteien in Ex-Jugoslawien bezeichnen?
Der Begriff "Ethnie" vereinfacht es aus meiner Sicht zu stark, 0der sind wir dabei, diesen Begriff noch weiter umzudefinieren und damit jeden beliebigen Zusammenschluss gesellschaftlicher Gruppierungen zu bezeichnen, die ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl entweder selbst haben, oder es ihnen zugeschrieben wird?
 
Das gleiche Phänomen, lässt sich meines Erachtens auch am europäischen Antisemitismus, seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert beobachten.
Sobald jüdische oder als jüdisch gelesene Personen gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil einen überproportionalen Anteil an herausragenden Positionen in Wirtschaft und Wisseschaft erreichten und tatsächlich an der politischen Macht teilhaben durften, verschärften sich die Anfeindungen durch die christliche Mehrheitsbevölkerung.
In Deutschland in der Weimarer Zeit extrem, aber auch anderswo in Europa, wie etwa in Frankreich.
Klar, die Juden waren selbst schuld, dass sie angefeindet und verfolgt wurden. Geht’s noch?

Mich stört die überproportionale Verwendung des Wortes "Ethnie" in dem Interview.
Mich stört das auch. Aber die Verwendung des Wortes Ethnie hilft, das Wort Religion zu vermeiden, denn in nahezu allen von dem Soziologen genannten Beispiele (Zwangsumsiedlungen von Griechen und Türken, Gründungen von Pakistan und Indien, Vertreibung der Armenier aus Bergkarabach) war Religionszugehörigkeit das Hauptmerkmal, nach dem selektiert wurde.
 
Klar, die Juden waren selbst schuld, dass sie angefeindet und verfolgt wurden. Geht’s noch?

Das hat er nicht gesagt.

Mich stört das auch. Aber die Verwendung des Wortes Ethnie hilft, das Wort Religion zu vermeiden, denn in nahezu allen von dem Soziologen genannten Beispiele (Zwangsumsiedlungen von Griechen und Türken, Gründungen von Pakistan und Indien, Vertreibung der Armenier aus Bergkarabach) war Religionszugehörigkeit das Hauptmerkmal, nach dem selektiert wurde.

Dann sollte er sich auch trauen, das auszusprechen. Die Religionen - sämtliche - tragen ja nun nicht gerade zu einer friedlicheren Welt bei.
 
Das gleiche Phänomen, lässt sich meines Erachtens auch am europäischen Antisemitismus, seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert beobachten.
Sobald jüdische oder als jüdisch gelesene Personen gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil einen überproportionalen Anteil an herausragenden Positionen in Wirtschaft und Wisseschaft erreichten und tatsächlich an der politischen Macht teilhaben durften, verschärften sich die Anfeindungen durch die christliche Mehrheitsbevölkerung.
In Deutschland in der Weimarer Zeit extrem, aber auch anderswo in Europa, wie etwa in Frankreich.
Klar, die Juden waren selbst schuld, dass sie angefeindet und verfolgt wurden. Geht’s noch?
Das geht nicht aus dem Beitrag von @Shinigami hervor!
Das hat er nicht gesagt.
Ja, @Shinigami sagt das nicht direkt. Aber er schreibt in dem zitierten Absatz von Antisemitismus, der sich verstärkte, als Juden überproportional herausragenden Positionen in Wirtschaft und Wissenschaft besetzten und tatsächlich Teilhabe an der politischen Macht haben durften. Er schreibt auch von Anfeindungen durch die christliche Mehrheitsgesellschaft, die in Weimarer Republik extreme Formen annahm. Wir alle wissen, was die Folgen dieser Anfeindungen waren, deswegen ist die Formulierung „angefeindet und verfolgt“ korrekt.

Denn im Umkehrschluss heisst das: Wären die Juden weniger erfolgreich gewesen, wären sie auch nicht angefeindet und verfolgt worden. Nichts anderes habe ich gesagt.
 
Ja, @Shinigami sagt das nicht direkt. Aber er schreibt in dem zitierten Absatz von Antisemitismus, der sich verstärkte, als Juden überproportional herausragenden Positionen in Wirtschaft und Wissenschaft besetzten und tatsächlich Teilhabe an der politischen Macht haben durften.
.

1. ist das ein Unterschied zu Deiner Unterstellung „selbst schuld“.

2. ist das bekanntlich bzgl. der Ursachen des Antisemitismus die herrschende Literaturauffassung für die Betrachtung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, insbesondere in den Darstellungen zum Antisemitismus im Kaiserreich während Gründerzeit und Gründerkrise, und damit blosses Replizieren gängiger Fachmeinungen. Die Ursachen der weiteren Radikalisierung des Antisemitismus bis hin zu Vernichtungs-/Vertreibungsvorstellungen im Nachkriegs-Deutschland 1919ff sind separat zu betrachten.
 
2. ist das bekanntlich bzgl. der Ursachen des Antisemitismus die herrschende Literaturauffassung für die Betrachtung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, insbesondere in den Darstellungen zum Antisemitismus im Kaiserreich während Gründerzeit und Gründerkrise, und damit blosses Replizieren gängiger Fachmeinungen. Die Ursachen der weiteren Radikalisierung des Antisemitismus bis hin zu Vernichtungs-/Vertreibungsvorstellungen im Nachkriegs-Deutschland 1919ff sind separat zu betrachten.
Wenn dem so ist, dann muss ich das respektieren.

Ich persönlich sehe aber im Antisemitismus der Nazis nur eine weitere Steigerung des Antisemitismus des 19. Jahrhunderts, denn auch dieser gründete sich schon auf der Abstammungstheorie: Hier Deutsche, deutschen Blutes, dort Deutsche, jüdischen Blutes. Im 19. Jahrhundert war der Neid auf erfolgreiche Juden eines der Haupttriebfedern des Antisemitismus, die Nazis haben das nur verstärkt bzw. ausgenutzt, um Zustimmung für die Diskriminierung und Verfolgung der Juden zu bekommen. Ursprünglich wollten sie die Juden nur weg aus Deutschland haben, aber nachdem das nicht gelungen ist, wurde Vernichtung aller Juden beschlossen, der sie in ihrem Machtbereich habhaft werden konnten.

Mehr noch, ich sehe da ein Kontinuum, der sich von dem mittelalterlichen Antijudaismus bis zum Antisemitismus unserer Tage zieht, unterbrochen nur durch die Idee von der Gleichheit aller Menschen, die durch die Aufklärung und die Französische Revolution dafür gesorgt hatte, dass die frühere Diskriminierung (z.B. kein Grundbesitz haben, nur bestimmte Berufe ausüben dürfen) staatlicherseits aufgehoben wurde.
 
Ja, @Shinigami sagt das nicht direkt.
Und auch nicht indirekt.

Ich habe letztendlich nicht mehr und nicht weniger gesagt, als dass die Annahme, dass ausgehnte Beteiligung ethnischer (oder sonstiger) Minderheiten an der politischen Macht, ein Patentrezept zur Lösung ethnischer Konflikte sei, die Rechnung ohne den Sozialneid von Teilen der Mehrheitsbevölkerung macht, der sich dann erfahrungsgemäß ziemlich schnell bemerkbar macht und das mit zwei historischen Beispielen begründet.

Mehr nicht.

Soll übrigens kein Plädoyer gegen die politische Tielhabe und Einbindung von Minderheiten sein, sondern nur ein Hinweis auf meiner Ansicht nach zu optimistische Vorstellungen von Patentlösungen.
 
Ja, @Shinigami sagt das nicht direkt.
Er sagt das nicht, was du ihm krass unterstellst.
Er sagt das weder direkt noch indirekt.
Er sagt das auch nicht zwischen den Zeilen.

...bist du nicht derjenige, der bei Widerspruch gerne lauthals "Unterstellung" aufjault, und bringst jetzt selber ein extrem krasses Exempel einer inhaltlich widerlichen (sic!) Unterstellung, und das obendrein auch noch dreist in anklägerisch-vorwurfsvollem Tonfall?

Ach ja, du legst ja Wert darauf, dass deine Beiträge akribisch wörtlich zitiert werden... Voila:
Klar, die Juden waren selbst schuld, dass sie angefeindet und verfolgt wurden. Geht’s noch?
Das sind deine Worte. Wenn du meiner Bezeichnung nicht glaubst, darfst du es gerne hier nochmals lesen:
1. ist das ein Unterschied zu Deiner Unterstellung „selbst schuld“.

Bzgl deiner beratungsresistenten Replik:
Aber er schreibt in dem zitierten Absatz (...)
kann man nur konstatieren, dass du dich besser kundig machen solltest. (Auch lesen und gelesenes verstehen ist dringend zu empfehlen)

Deine Tiraden a la
Ich persönlich sehe aber im Antisemitismus der Nazis nur eine weitere Steigerung des Antisemitismus des 19. Jahrhunderts, denn auch dieser gründete sich schon auf der Abstammungstheorie: Hier Deutsche, deutschen Blutes, dort Deutsche, jüdischen Blutes. Im 19. Jahrhundert war der Neid auf erfolgreiche Juden eines der Haupttriebfedern des Antisemitismus, die Nazis haben das nur verstärkt bzw. ausgenutzt (...)
mögen deine privaten Ansichten wiedergeben, aber diese kollidieren 1. wie @silesia gezeigt hat mit dem Forschungskonsens und 2. berechtigen sie dich nicht zu so einer üblen Unterstellung (wie oben zitiert)

Vielleicht sehe ich das zu streng, aber ich halte solche Anwürfe für absolut indiskutabel.
 
In meinem Beitrag #10 habe ich gesagt, dass ich andere Meinungen respektiere, und auch, wie ich den Antisemitismus sehe. Wenn das mit dem Forschungsstand kollidiert, dann ist das eben so. Außerdem ist dieser Forschungsstand nicht in Stein gemeißelt, kann sich also genauso ändern wie meine Meinung.
 
In meinem Beitrag #10 habe ich gesagt, dass ich andere Meinungen respektiere, und auch, wie ich den Antisemitismus sehe. Wenn das mit dem Forschungsstand kollidiert, dann ist das eben so. Außerdem ist dieser Forschungsstand nicht in Stein gemeißelt, kann sich also genauso ändern wie meine Meinung.
...da gibt es aber einen weiteren gravierenden Unterschied zwischen dem Forschungskonsens und deiner Meinung: ersterer ist gestützt auf schlüssige Argumente, was man deinen (zumeist halb polternd, halb vollmundig dozierend vorgetragenen) Fantasien nicht attestieren kann. Dass sich allerhand ändern kann, bedeutet nicht, dass deine Meinung/Fantasie auf derselben Stufe wie seriöse Forschung stünde.
Und das alles schafft deine widerwärtige Unterstellung @Shinigami gegenüber nicht aus der Welt
 
...da gibt es aber einen weiteren gravierenden Unterschied zwischen dem Forschungskonsens und deiner Meinung: ersterer ist gestützt auf schlüssige Argumente, was man deinen (zumeist halb polternd, halb vollmundig dozierend vorgetragenen) Fantasien nicht attestieren kann.
Falsch – es gibt durchaus namhafte Historiker, die die von den Nazis organisierte Reichspogromnacht in einer Reihe mit mittelalterlichen und neuzeitlichen Pogromen gegen die Juden sehen. Weil der Antijudaismus bzw. Antisemitismus in Europa endemisch war – erst nach dem II. Weltkrieg änderte sich das.

Hier nur zwei Beispiele zur Geschichte der Anfeindungen und Verfolgungen der Juden in Deutschland - Wikipedia:

1571 wurde der Tod des brandenburgischen Kurfürsten Joachim II. Hector dem Juden Lippold Ben Chluchim angelastet, er habe ihn vergiftet. Teile der Berliner Bevölkerung schlossen sich zusammen, verwüsteten die Synagoge in der Klosterstraße und viele Privathäuser von Juden, die sie auch plünderten. Die bei Juden verwahrten Schuldscheine wurden öffentlich verbrannt, die Pfänder meist ohne Gegenleistung an die Eigentümer übergeben. Lippold wurde gevierteilt und an vier Ausfallstraßen aufgehängt, die Juden unter Zwangsabgabe des Großteils ihrer Vermögen aus dem Land vertrieben.[27]
(…)
In Berlin kam es am 5. und 6. November 1923 zum Scheunenviertelpogrom, bei dem mit dem Ruf „Schlagt die Juden tot!“ Geschäfte, Lokale und Wohnungen geplündert und zerstört wurden, zudem Juden aus den Häusern gezerrt und verletzt.


Und die Reichspogromnacht von 1938 wurde auch durch das Attentat eines 17-jährigen Juden auf einen deutschen Diplomaten in Paris ausgelöst. Und hier wie dort beteiligten sich auch ganz normale Bürger an den Zerstörungen und Plünderungen.

Und weil wir hier in einem Faden über die Macht der Kirche sind, noch ein Wort zu dem, was die Kirchen zu der Reichspogromnacht im Jahr 1938 sagten bzw. vielmehr nicht sagten:

Der evangelische Landesbischof Martin Sasse sah in der Reichspogromnacht eine Erfüllung der Forderungen Martin Luthers – Zitat aus Wikipedia:

„Am 10. November 1938, an Luthers Geburtstag, brennen in Deutschland die Synagogen. Vom deutschen Volk wird […] die Macht der Juden auf wirtschaftlichem Gebiet im neuen Deutschland endgültig gebrochen und damit der gottgesegnete Kampf des Führers zu völligen Befreiung unseres Volkes gekrönt. In dieser Stunde muss die Stimme des Mannes gehört werden, der als der Deutschen Prophet im 16. Jahrhundert einst als Freund der Juden begann, der getrieben von seinem Gewissen, getrieben von den Erfahrungen und der Wirklichkeit, der größte Antisemit seiner Zeit geworden ist, der Warner seines Volkes wider die Juden.[111]

Andere Bischöfe, evangelische wie katholische, haben zu Reichspogromnacht alle geschwiegen. Auch die meisten Pfarrer schwiegen, nur ein paar haben sich negativ über die Reichspogromnacht geäußert.
 
Falsch – es gibt durchaus namhafte Historiker, die die von den Nazis organisierte Reichspogromnacht in einer Reihe mit mittelalterlichen und neuzeitlichen Pogromen gegen die Juden sehen. Weil der Antijudaismus bzw. Antisemitismus in Europa endemisch war – erst nach dem II. Weltkrieg änderte sich das.

Damit ich das einordnen kann, sind die Namen dieser von dir erwähnten namhaften Historiker von Interesse, nenn sie doch bitte beim Namen.
 
Außerdem ist dieser Forschungsstand nicht in Stein gemeißelt, kann sich also genauso ändern wie meine Meinung.

Mit Verlaub, da gibt es so einige Dinge, die sich nicht mehr ändern werden.

Dazu gehört, dass sich statistisch nachvollziehen lässt, dass nach der Emanziaption und rechtlichen Gleichstellung mit den christlichen Konfessionen im 19. Jahrhundert, vor allem gegen Ende des Jahrhunderts, als zunehmend Wissen und Wissenschaft als Ressourcen für gesellschaftliche und politische Karrieren an Bedeutung erlangten, Personen mit einem jüdischen Hintergrund den gesellschaftlichen Aufstieg in der Regel schneller schafften, als Personen aus den christlichen Unter- und Mittelschichten

Das mag verschiedene Gründe haben. Möglicherweise stand einfach Bildung als ein immaterielles, bewegliches Gut, dass nicht enteignet und überall mit hin genommen werden konnte, bei den Juden einfach in höherem Ansehen als bei den Christlichen Mitbürgern.
Bei den ganzen Repressionen, die die jüdische Bevölkerung bis zu den Emanziaptions- und Gleichstellungsgesetzen in Europa im vor allem im 19. Jahrhundert zu erdulden hatte und bei den ganzen Steinen, die man Juden im Hinblick auf Berufswahl, und zum Teil materiellen Besitz in den Weg legte, wäre es durchaus plausibel, wenn die jüdische Bevölkerung hier etwas andere Prioritäten gehabt hätte, die sich grob ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts positiv auszuwirken begannen, dadurch dass Wissen und Bildung insgesamt gesellschaftlich aufgwertet wurden.
Möglicherweise genoss auch Bildung einfach als immaterielles, transportables gut, dass nicht enteignet oder geplündert, dafür aber überall mit hin genommen werden konnte, bei der jüdischen Bevölkerung, in der es sicherlich ein Bewusstsein, für Pogrome, Enteignungen und Vertreibungen gab, ein besonderes Prestige.
Ein Bevölkerungsteil, der auf Grund des gesellschaftlichen Klimas ständig mit Gewaltausbrüchen und Übeergriffen rechnen musste, neigte möglicherweise dazu Bildung als transportables Gut für die solidesmögliche Rückversicherung zu halten, nicht vollständig bei Null anfangen zu müssen, sollte man sich zur Emigration genötigt sehen.
Auch war in großen Teilen der jüdischen Bevölkerung Mehrsprachigkeit eine gewohnte Erscheinung, was beim bildungstechnischen Aufstieg nach dem Wegfall legalistischer Schranken sicherlich half.

Woran es genau lag, darüber wird man im Einzelnen debattieren können, der Aufstieg an sich, vor allem im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, seine enge Verzahneung mit dem allgemeinen Bdeutungsgewinn von Wissen und Wissenschaft als wirtschaftlich und gesellschaftlich immer bedeutsameren Ressourcen in dieser Zeit, wird man kaum abstreiten können, dass sind evidente Fakten.
Genau so wie, die starke zeitliche Korrespondenz sowohl einer neuerlichen gesellschaftlichen Feindschaft gegenüber Personen mit jüdischen Hintergründen (seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert bis in die 1860er-1870er Jahre, in die im Großteil Europas die juristische Gleichstellung fällt, war dieses Phänomen eigentlich kontinuierlich auf dem Rückzug) und der inhaltlichen Veränderung der Vorwürfe, die man diesen Personen machte, weg vom religiös verbränten Antijudaismus, hin zum modernen rassistisch fundierten Antisemitismus kaum abzustreiten ist.

Die Kausalität, dass vor allem im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und folgend, mit dem Fall der legalistischen Schranken, der zügige gesellschaftliche Aufstieg von Juden über den Weg vor allen Dingen der Bildung stattfand, wird man als Tatsache ebenso wenig abstreiten können, wie den zeitlich damit korrespondierenden neu aufkommenden Judenhass in Europa, der zudem genau in dieser Zeit sein Gesicht veränderte.

Das ist mit Verlaub nicht eine beliebige Meinung, die sich eben mal ändern ließe, sondern das sind Tatsachen, die man nicht einfach ignorieren kann.
 
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