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Nochmal zur Vorgeschichte: Rußland hatte nach 1873 mit dem Dreikaiserabkommen eine Bündnisbindung an das Deutsche Reich, ab dem Dreikaiserbund 1881 und dem Rückversicherungsvertrag 1887 eine Quasi-Neutralitätsvereinbarung. Das Bündnis war ein kurzzeitiges Intermezzo, und wurde gefolgt vom Rückzug auf Raten infolge der real existierenden Interessengegensätze zum Block DR/Ö-U. Richtig sind die Kräftespannungen, ich hatte dazu bereits auf die Umstellung der russischen Militärplanung 1889/90 in der Kräfteverteilung gegenüber DR und Ö-U hingewiesen.
Die Situation Rußland ab den 80er Jahren und Mitte der 90er erforderte, eine Einkreisung im Westen durch DR/ÖU, im Süden durch Großbritannien und in Fernost durch GB und das aufstrebende Japan zu verhindern.
Auch hier ist ein wesentlicher Faktor noch nicht angesprochen: Frankreich war der einzige potentielle Bündnispartner für die russische "Weltpolitik" also ein globaler Partner. Das konnte zuvor und bis 1894 weder das DR noch Ö-U bieten. Es wäre also zu beachten, dass der Zweiverband eine anti-britische Komponente aufweist. Deren Bedeutung ist noch abzuschätzen.
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Ich habe mich nochmal etwas intensiver mit ein paar Aufsätzen zu dem Themenkreis befasst, die ich in meinem Archiv gefunden habe.
Zunächst einmal hat sich der Zweiverband doch recht schrittweise entwickelt. 1891 die erste politische Vereinbarung mit noch sehr vagem militärischen Gehalt. Dann 1893/94 ein konkreteres militärisches Abkommen. 1899 kommt dann eine weitere Vertiefung, die ab 1905 kontinuierlich fortentwickelt wurde.
In den Aufsätzen wird ehrfach herausgearbeitet, dass Russland zunächst gar kein Interesse an einem Bündnis mit Frankreich hatte, solange die Aussicht auf ein Neutralitätsabkommen mit Deutschland – wie es der Rückversicherungsvertrag darstellte – bestand. Nach dieser Ansicht war es von größerer Bedeutung für Russland, den Rücken frei zu haben, um die Dardanellen zu besetzen, als ein Defensivbündnis zum Schutze vor Deutschland. Die russischen Entscheidungsträger waren wohl – nicht ganz zu Unrecht – der Ansicht, dass Frankreich im Kriegsfalle mit Deutschland so oder so zur Hilfe kommen werde. Auf der anderen Seite stellte die Mittelmeer-Entente eine erhebliche Störung russischer strategischer Bestrebungen dar und eine deutsche Neutralität im Konfliktfalle war insofern viel wert. Die Möglichkeit der Finanzierung über Frankreich war ja trotz Rückversicherungsvertrag gegeben gewesen, also nichts besonderes was Russland gewinnen konnte. Die Situation gestaltete sich erst anders, als Alexander III. – trotz der sich bereits zuvor generell verschlechterten Beziehungen zwischen beiden Ländern (Du erwähntest schon den „Handelskrieg“) – versuchte, zu einer Erneuerung des Rückversicherungsvertrages zu kommen, was vom Kaiser aber abgelehnt wurde. Dazu kam eine recht offene Annäherung Deutschlands an England (Helgoland-Sansibar-Vertrag, entsprechende Pressemeldungen von der Aufgabe der britischen Isolation). Damit stand quasi fest, dass Deutschland sich der Mittelmeer-Entente zuneigen würde und damit war auch für Russland ein Punkt gekommen, wo eine generelle Unterstützung durch Frankreich nützlich erschien, zumal Deutschland sich auch Frankreich anzunähern drohte, was zu einer kompletten Isolation Russlands geführt hätte. Auf der anderen Seite bemühte sich Frankreich um ein Bündnis und versuchte aktiv, Italien aus der Mittelmeer-Entente herauszulösen, was natürlich einen positiven Eindruck bei Russland hinterließ. Dazu kam noch der wachsende Einfluss deutschfeindlicher Gruppierungen in Russland.
Wie meist hat der Zweiverband also mehr als eine Ursache, sondern mehrere sich zum Teil gegenseitig begünstigende Strömungen führten schließlich zu dem Abschluss dieses Bündnisses:
Auf französischer Seite:
- Unterstützung gegen Deutschland
- aber auch Unterstützung gegen GB*
Auf russischer Seite:
- fehlendes Vertrauen in Deutschland nach Auslaufen des Rückversicherungsvertrages insbesondere mit Blick auf die ungelöste Dardanellen-Frage
- damit drohende Isolation (durch wahrgenommene Annäherung D an F und GB und die bereits bestehende Mittelmeer-Entente, die mit I und Ö-U auch Einfluss auf dem Balkan ausübten)
- finanziell auf den französischen Kapitalmarkt angewiesen
- Zuwachs der panslawistischen und deutschfeindlichen Gruppierungen
*Das Frankreich in Russland auch ein probates Mittel sah, um GB zu bedrohen, zeigt sich in dem Druck, den Frankreich auf Russland zum Bau strategischer Eisenbahnen ausübte. Interessanterweise war es nicht eine Bahn an die russische Westgrenze zu Deutschland, die Russland zuerst bauen sollte, sondern nach Afghanistan. Frankreich bemühte sich gegen erhebliche russische Widerstände – namentlich von Seiten Wittes – diese durchzusetzen, was 1900 dann auch gelang. Witte hatte nicht viel davon gehalten, weil es ihm um die wirtschaftliche Entwicklung Russlands ging, die seiner Ansicht von dieser rein strategischen Bahnlinie aber nichts profitieren konnte, s. hierzu
Collins, The Franco-Russian Alliance and Russian Railways, 1891-1914, in: The Historical Journal, Bd. 16, Nr. 4 (Dez., 1973), S. 777 ff., konkret S. 779 ff.
Die Alternative zum Zweiverband war 1905 der "Dreiverband" Frankreich-Russland-Deutschland. Das wurde den Russen ja 1905 von den Deutschen angeboten.
Das Argument - Frankreich als einziger globaler Partner - finde ich nach 1905 nicht mehr überzeugend. Gerade 1905 hat sich Frankreich als globaler Partner völlig nutzlos erwiesen im Gegesatz zu Deutschland, das im Krieg gegen Japan unterstützt hat. Wenn man von seinem Feind mehr Unterstützung erhält als von seinem engsten Verbündeten, wäre das normalerweise ein Anlaß, die Bündnisplanung zu überdenken.
Der Aufsatz von
Spring, Russia and the Franco-Russian Alliance, 1905-14: Dependence or Interdependence?, in: The Slavonic and East European Review, Bd. 66, Nr. 4 (Okt., 1988), S. 564 ff. sieht allerdings mit beachtlichen Argumenten eine klare Abhängigkeit Russlands vom französischen Kapitalmarkt. Das war eine Bresche, in die Deutschland angesichts der sich stetig verschlechternden Finanzlage des Reiches nicht springen konnte und zum Teil auch nicht wollte. Russland war aber nach der Niederlage gegen Japan und konfrontiert mit einer Revolution mehr denn je auf intensive Finanzhilfe angewiesen. Man kann es Russlands Politikern also kaum verübeln, wenn sie den Bestand des Vertrags von Björkö von der Billigung ihres Geldgebers abhängig gemacht haben. Und dass Frankreich kein Interesse mehr daran haben konnte, angesichts der nunmehr bestehenden Verständigung mit Groß-Britannien, dürfte auch verständlich sein.
Darüber hinaus hat Frankreich den Krieg gegen Japan mehr oder weniger finanziert. Zu einem militärischen Eingreifen war Frankreich auch gar nicht verpflichtet, solange sich GB aus dem Konflikt raus hielt. Insofern war das Bündnis mit Frankreich aber schon von Bedeutung, weil Russland zumindest sicher sein konnte, dass Frankreich es militärisch unterstützen würde im Falle eines Kriegseintritts GBs.
In jedem Fall waren nach 1905 Russlands Möglichkeiten in der Außenpolitik stark eingeschränkt. Die Abhängigkeit vom französischen Kapitalmarkt führten dann auch zu einer von Frankreich in vielerlei Hinsicht dominierten russischen Politik.
Ich würde von Motivation und nicht von Rechtfertigung sprechen, da Großbritannien (bzw. die Politik) die realisierte Form der Absprache sehr flexibel gehalten hat. Greg Kennedys Werk zur "Imperial Defence", dort der Aufsatz von Otte zum Foreign Office bringt auf den Punkt, dass es einen politischen Konsens in Großbritannien gab, die Verteidigung des Empire nicht mehr "unilateral" leisten zu können. Der trat nach 1900 offen zu Tage, in Folge verschobener Mächtestrukturen und Vermehrung der "global player" zB durch Deutschland, USA, Japan. Herausgebildet hat sich das jedoch schon früher, mindestens seit dem Great Game und der Einsicht, allein einer großen Landmacht nicht mehr entgegentreten zu können.
Da stimme ich völlig zu.
Theoretisch blieb Frankreich jedoch ein möglicher Konkurrent, vor allem im "scramble for Africa", möglicherweise auch eine potenzielle Bedrohung im Mittelmeer bei einer enger werdenden Bindung zu Russland. Logischerweise hielt man sich daher in gewisser Weise die Optionen offen, und hielt die kurzfristigen militärischen Absprachen wachsweich. Bis 1914 achtete jede britische Regierung darauf, Frankreich deutlich verstehen zu geben, dass es keinen Automatismus im Beistand bei einem Konflikt mit dem Deutschen Reich geben würde. In dieses Bild hätte eine engere, offene militärische Absprache nicht gepasst.
Ich denke eher, dass verbindliche (im Sinne von völkerrechtlichem Vertrag) militärische Abkommen, der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts der Kräfte als primärer Zielsetzung der britischen Außenpolitik nach Greys Verständnis widersprochen hätten. Und damit stand für Grey jedes offizielle Bündnis außer Frage. Die französische Konkurrenz in Afrika war ja mit der entente cordiale beigelegt. Ein offizielles Bündnis mit Frankreich hätte die Konkurrenzsituation eher eliminiert als sie zu einem Problem zu machen. Im Foreign Office war ja auch die große Mehrheit der Mitarbeiter für ein klares und eindeutiges Bündnis mit Frankreich, manche hätten sogar Russland gerne eingeschlossen. Das war natürlich zum Teil der Flottenrüstung des Deutschen Reiches geschuldet. Aber Grey hatte sich dagegen stets gewehrt. Zum Teil natürlich, weil eine solche offizielle Festlegung, die ja auch eine Verantwortung auf dem Kontinent bedeutet hätte, wohl den Kabinettskollegen, der Partei und auch der Öffentlichkeit nur schwer vermittelbar gewesen wäre. Auch wenn der politische Konsens unter bestimmten Eliten da war, das Reich nicht mehr alleine verteidigen zu können, scheint es mir doch so, dass die breitere politische Öffentlichkeit immer noch der Politik der freien Hand, der Gleichgewichtspolitik aus eigener imperialer Stärke anhing. Und Grey versuchte eben diese beiden divergierenden Ansätze über informelle Absprachen zwischen den Militärs und „harten“ Abkommen über die Peripherie zu erreichen. Dabei war ja auch Grey überzeugt – und das bewahrheitete sich später – dass diese Abkommen auch schon eine bindende Wirkung entfalten würden. Insbesondere die Mittelmeer-Absprache wurde im Juli 1914 vom Kabinett als bindend angesehen, obwohl es insofern an einem völkerrechtlichen Vertrag fehlte. Wobei das eh Stoff für ein anderes Thema wäre.
P.S. an ein maritimes Signal ggü. ÖU glaube ich nicht, da das weder für Russland noch für Frankreich militärisch Sinn ergeben hätte. Das "maritime Signal" kann mE nur an die Seemacht Großbritannien und ihre Lebensader Gibaltar-Suez auf der Indien-Route geacht gewesen sein.
Ö-U war aber Teil der Mittelmeer-Entente, auch wenn seine Flotte sicher nicht zu den wesentlichen Faktoren gehörte. Insofern muss das Signal auch nicht in erster Linie „maritim“ gewesen sein, sonder ein allgemeines politisches. Und das war meines Erachtens – gerade von französischer Seite aus – sehr wohl auch gegen den Zweibund (D/Ö-U) gerichtet. Und für Russland ist eine ähnliche Spitze gerade mit Blick auf die Dardanellen denkbar.
Tatsächlich würde ich nach Durchsicht meiner Artikel auch so die Flottenbesuche 1891 und 1893 deuten wollen, nämlich als allgemeines politisches Signal sowohl an den Verhandlungspartner (wir wollen die Allianz) als auch an die Weltöffentlichkeit, insbesondere die potentiellen Gegner (GB, D, Ö-U, I) und weniger als militärisches Wollen der Marineverantwortlichen, wie ich zuerst noch meinte. Der genaue Ablauf der Flottenbesuche war mir auch nicht mehr wirklich präsent.
Flottenbesuche waren ja damals wohl als diplomatische Freundschaftsgeste nicht unüblich. Und die französische Flotte besuchte Kronstadt noch vor Abschluss des Abkommens. Wenn überhaupt war das also ein Symbol zukünftiger Zusammenarbeit zwischen Russland und Frankreich. Das zeitigte als solche natürlich eine Wirkung nach außen. GB hatte ja entsprechend verstimmt reagiert (Deutschland war auch aufgeschreckt worden) – und Frankreich schickte zur versöhnlichen Geste seine Flotte nach Portsmouth. Wenn dann 1893 die russische Flotte nach Toulon kommt, ist das mehr die Erwiderung eines Besuches – und auch das ging der Militärkonvention voraus. Insofern habe ich da den Flottenbesuchen sowieso zu viel Bedeutung beigemessen. Ich würde das jetzt eher einer diplomatischen Mode zuordnen.
Beste Grüße,
G.