Dieser Thread hat sich aus einer anderen Diskussion entwickelt. Seit Jahren greife ich Cassius Dio dafür an, dass er als letzter der wichtigen Historiographen zur Varusschlacht über Detailkenntnisse verfügt, über die kein anderer der überlieferten Historiographen verfügt. Diese Diskussion hat sich vor einigen Tagen wiederholt.
Cassius Dios Sondergut wird dann gerne damit erklärt, dass er ja auf andere, nicht erhaltene Quellen zurückgegriffen haben könne. Das kann leider nur nicht bewiesen oder widerlegt werden.
Wir wissen aber u.a., dass Cassius Dio die Quellen der frühen Kaiserzeit als in der Menge (und in der Wiedergabe des Entscheidungsprozesses) als unzureichend und außerdem als unehrlich abqualifiziert.
Und bzgl. Plinius und seiner germanischen Kriege schreibt Symmachus an Protadius, 395 nach Christus: „enitar, si fors votum iuvet, etiam Plinii Secundi Germanica bella conquirere - Ich werde, wenn das Schicksal es erlaubt, versuchen auch die germanischen Krieges des Plinius Secundus aufzuspüren.“ Plinius germanische Kriege waren also nicht besonders weit verbreitet.
Nun hat Symmachus knapp 170 Jahre nach Cassius Dio gelebt und es wird sicher eingewandt werden, dass ein Sachverhalt des späten vierten Jahrhunderts kein belastbarer Beleg für die Verbreitung im frühen dritten Jahrhundert sei. Das zu diskutieren würde sicherlich fruchtlos sein, ich bin jedoch der Auffassung, dass, wäre Plinius' Germanica bella im frühen dritten Jahrhundert verbreitet gewesen, wäre es auch sehr viel einfacher gewesen sein müsste, im späten vierten Jahrhundert noch daran zu kommen.
Sei's drum... Ich glaube Bushhons war es, der mich aufforderte, zu belegen, dass Cassius Dio auch an anderer Stellen dazuerfindet oder ungenua mit den Quellen umgeht, um meine Auffassung davon, dass Cassius Dios Schlachtbeschreibung eine erfundene ist (ich hab den Beitrag leider nicht gefunden, sonst hätte ich ihn zitiert).
Kommen wir also zum Cassius Dio-Text im Vergleich mit früheren Quellen.
Cassius benutzte Caesars Schriften und folgte ihnen ziemlich getreu, bis in den Aufbau. Dann und wann legt er Caesar, etwa vor der Schlacht gegen Ariovist, eine Rede in den Mund, die er mit Passagen aus Tacitus' Germania anreichert. Aber hin und wieder verlässt Cassius Dio auch den caesarischen Text. Bei Caesars Schlacht gegen die Nervier manipuliert Cassius Dio den caesarischen Text. Bei Caesar greift Caesar in die Schlacht ein (BG II, 25, 2 – 3) und Labienus erobert das Lager der Nervier (BG II, 26, 4). Bei Cassius Dio erobern die Nervier das Lager der Römer und Caesar erobert es zurück (39, 2, 2). Caesar, der sonst so gut wie alle Erfolge auf sein eigenes Konto schreibt, gesteht Labienus diesen Sieg zu. Cassius Dio dagegen macht ihn zu einem persönlichen Erfolg Caesars.
Eine andere Stelle, in der Cassius Dio in offenem Widerspruch zu Caesar steht, ist die über die Seeschlacht gegen die Veneter. Caesar (BG III, 7 – 16) schildert, wie er Schiffe auf der Loire zimmern ließ. Die Rammsporne dieser Schiffe haben den Schiffen der Veneter nichts anhaben können (BG III, 14, 4) – bei Cassius Dio kommt Decimus Brutus aus dem Mittelmeer herangesegelt und zerstört die Schiffe der Veneter mit den Rammspornen. (42, 2 – 4).
Nach Meinhard-Wilhelm Schulz, Caesar und Labienus. Geschichte einer tödlichen Kameradschaft. Hildesheim, Zürich, NY 2010.
Wie bei Caesar wird die Belagerung Massilias im Bericht von Cassius Dio durch den Bericht des ersten Spanischen Krieges unterbrochen, aber anders als Caesar, der die Erfolge seiner Generäle hervorhebt, verbindet Cassius Dio den Sieg über Massilia mit dem Erscheinen Caesars. Tatsächlich kapitulierte Massilia gegenüber Trebonius, während Caesar selbst noch in Spanien weilte. Meinhard-Wilhelm Schulz kommentiert dies mit "Dios Referat widerspricht Caesars Darstellung grundlegend..."
Meinhard-Wilhelm Schulz ist der Auffassung, dass Cassius Dio keine Ahnung von militärischen Dingen hatte: "allein daraus ergibt es sich, dass Dio die Ereignisse einer radikalen Kürzung unterworfen hat; dabei fallen fast alle militärischen Details unter den Tisch: Dio ist auch hier ein Mann der Toga." (368)
"Er würdigt Caesars neu eingeführte Taktik mit keinem Wort. Dio hat die Neuerung des Reiterkrieges wohl nicht begriffen und gehörte einer Senatoren-Generation an, die sich lieber in der Sänfte herumtragen ließ." (369)
"...und wenn er behauptet 'Vercingetorix hätte entkommen können' widerspricht er damit Caesar, der die Stadt hermetisch abgeriegelt haben will. Dies trifft auch auf die demütige Geste zu, mit der er sich Caesar unterwirft und von der Caesar selbst nichts weiß." Ebd.
Dio "zeigt sich dabei erneut militärtaktisch wenig kompetent, wenig interessiert" (381)
"...so kommt man erneut zu der Erkenntnis, dass Cassius Dio sich für Strategien gar nicht interessiert und sich das Recht in Anspruch nimmt, seiner Phantasie die Zügel schießen zu lassen." (387)
Besonders schön ist auch eine Stelle bei Cassius Dio, bei der Caesar erst ins Wasser fällt, sich dann seines schweren Purpurmantels entledigen muss, während die Ägypter ihn beschossen, er aber einhändig schwimmend in der linken Hand mehrere Dokumente, die er nicht nass werden ließ. Da muss Caesar wohl ins Tote Meer, statt in den Hafen von Alexandria gefallen sein, wenn er so gar nicht untergehen wollte... :fs:
Zusammengefasst:
:rechts: Cassius Dio hatte an militärischen Dingen wenig Interesse und daher auch keine Ahnung davon. (Schulz)
:rechts: Cassius Dio erfindet ohne Not etwas dazu oder schreibt Geschichte um (Schulz) - es gibt freilich auch Stellen, bei denen er (zu Recht!) hart mit Caesar ins Gericht geht, weil dessen Darstellung unglaubwürdig ist, aber mir geht es hier nur um die Stellen, bei denen er Caesar weniger kritisch darstellt, als dieser sich selbst bzw. wo er ohne einen sachlichen Grund Caesars Angaben nicht folgt und andere, z.T. gegenteilige Behauptungen aufstellt (bzw. der sachliche Grund darin liegt, dass Cassius Dio aus seiner ex post-Sicht Labienus nicht leiden mag). (Schulz)
:rechts: Cassius Dio erfindet Dinge, die naturwissenschaftlich nicht möglich sind: Bäume erschlagen nur Römer, nicht aber Germanen - Caesar fällt ins Wasser, schafft es aber nicht unterzugehen, sich seines schweren Mantels zu entledigen und dabei wichtige Dokumente nicht nass werden zu lassen und unter Beschuss zu einer rettenden Insel zu schwimmen. (Womit Caesar kein Tollpatsch-Römer aus Zucker ist, wie die Varuslegionen, sondern schon fast einen Superheldenstatus erreicht, da er seinerseits die Naturgesetze aushebelt).
Warum weiß Cassius Dio so viel mehr über die Schlacht, als alle anderen Autoren und warum finden wir nichts von dem Sondergut auch nur angedeutet in zeitnäheren Quellen?
Alle anderen Quellen schreiben von Wäldern und Sümpfen.
Cassius Dio schreibt von engen Tälern und Schluchten (und Wäldern und Sümpfen)
Niemand weiß etwas vom Wetter, Cassius Dio schreibt von Regen und Sturm (der die Römer verwirrt, aber den (elbengleichen :still Germanen nichts anhaben kann).
Die verbrannten Wagen - Sondergut von Cassius Dio.
Varus befand sich an der Weser - Sondergut von Cassius Dio.
Varus sollte auf Bitten der Germanen einen weit entfernten Aufstand niederschlagen - Sondergut von Cassius Dio.
Cassius Dios Sondergut wird dann gerne damit erklärt, dass er ja auf andere, nicht erhaltene Quellen zurückgegriffen haben könne. Das kann leider nur nicht bewiesen oder widerlegt werden.
Vielleicht sollte man differenzieren zwischen "wer hat was geschrieben" und "was ist von wem erhalten". Dass der ausführlichste Bericht von Cassius Dio stammt, bedeutet schließlich nicht, dass er der erste und einzige war, der so viel geschrieben hat, sondern nur, dass er der einzige ist, von dem ein so ausführlicher Bericht erhalten ist. Wir wissen aber nicht, was und wie ausführlich Plinius d. Ä. in seinem leider verlorenen immerhin zwanzigbändigen Werk über die Germanienkriege über die Varusschlacht schrieb. Wir wissen auch nicht, ob Velleius Paterculus sein Versprechen, ein eigenes Werk über die Varusschlacht zu verfassen, nicht einlöste (bzw. nicht mehr einlösen konnte) oder es bloß nicht erhalten ist. Wir wissen auch nicht, was Claudius in seinem 41-bändigen Werk über die Regierung von Augustus geschrieben hat. Wir wissen auch nicht, was und wie ausführlich die anderen heute bestenfalls noch namentlich bekannten Geschichtsschreiber der frühen Kaiserzeit über die Varusschlacht schrieben.
Wir wissen aber u.a., dass Cassius Dio die Quellen der frühen Kaiserzeit als in der Menge (und in der Wiedergabe des Entscheidungsprozesses) als unzureichend und außerdem als unehrlich abqualifiziert.
Und bzgl. Plinius und seiner germanischen Kriege schreibt Symmachus an Protadius, 395 nach Christus: „enitar, si fors votum iuvet, etiam Plinii Secundi Germanica bella conquirere - Ich werde, wenn das Schicksal es erlaubt, versuchen auch die germanischen Krieges des Plinius Secundus aufzuspüren.“ Plinius germanische Kriege waren also nicht besonders weit verbreitet.
Nun hat Symmachus knapp 170 Jahre nach Cassius Dio gelebt und es wird sicher eingewandt werden, dass ein Sachverhalt des späten vierten Jahrhunderts kein belastbarer Beleg für die Verbreitung im frühen dritten Jahrhundert sei. Das zu diskutieren würde sicherlich fruchtlos sein, ich bin jedoch der Auffassung, dass, wäre Plinius' Germanica bella im frühen dritten Jahrhundert verbreitet gewesen, wäre es auch sehr viel einfacher gewesen sein müsste, im späten vierten Jahrhundert noch daran zu kommen.
Sei's drum... Ich glaube Bushhons war es, der mich aufforderte, zu belegen, dass Cassius Dio auch an anderer Stellen dazuerfindet oder ungenua mit den Quellen umgeht, um meine Auffassung davon, dass Cassius Dios Schlachtbeschreibung eine erfundene ist (ich hab den Beitrag leider nicht gefunden, sonst hätte ich ihn zitiert).
Kommen wir also zum Cassius Dio-Text im Vergleich mit früheren Quellen.
Cassius benutzte Caesars Schriften und folgte ihnen ziemlich getreu, bis in den Aufbau. Dann und wann legt er Caesar, etwa vor der Schlacht gegen Ariovist, eine Rede in den Mund, die er mit Passagen aus Tacitus' Germania anreichert. Aber hin und wieder verlässt Cassius Dio auch den caesarischen Text. Bei Caesars Schlacht gegen die Nervier manipuliert Cassius Dio den caesarischen Text. Bei Caesar greift Caesar in die Schlacht ein (BG II, 25, 2 – 3) und Labienus erobert das Lager der Nervier (BG II, 26, 4). Bei Cassius Dio erobern die Nervier das Lager der Römer und Caesar erobert es zurück (39, 2, 2). Caesar, der sonst so gut wie alle Erfolge auf sein eigenes Konto schreibt, gesteht Labienus diesen Sieg zu. Cassius Dio dagegen macht ihn zu einem persönlichen Erfolg Caesars.
Eine andere Stelle, in der Cassius Dio in offenem Widerspruch zu Caesar steht, ist die über die Seeschlacht gegen die Veneter. Caesar (BG III, 7 – 16) schildert, wie er Schiffe auf der Loire zimmern ließ. Die Rammsporne dieser Schiffe haben den Schiffen der Veneter nichts anhaben können (BG III, 14, 4) – bei Cassius Dio kommt Decimus Brutus aus dem Mittelmeer herangesegelt und zerstört die Schiffe der Veneter mit den Rammspornen. (42, 2 – 4).
Nach Meinhard-Wilhelm Schulz, Caesar und Labienus. Geschichte einer tödlichen Kameradschaft. Hildesheim, Zürich, NY 2010.
Wie bei Caesar wird die Belagerung Massilias im Bericht von Cassius Dio durch den Bericht des ersten Spanischen Krieges unterbrochen, aber anders als Caesar, der die Erfolge seiner Generäle hervorhebt, verbindet Cassius Dio den Sieg über Massilia mit dem Erscheinen Caesars. Tatsächlich kapitulierte Massilia gegenüber Trebonius, während Caesar selbst noch in Spanien weilte. Meinhard-Wilhelm Schulz kommentiert dies mit "Dios Referat widerspricht Caesars Darstellung grundlegend..."
Meinhard-Wilhelm Schulz ist der Auffassung, dass Cassius Dio keine Ahnung von militärischen Dingen hatte: "allein daraus ergibt es sich, dass Dio die Ereignisse einer radikalen Kürzung unterworfen hat; dabei fallen fast alle militärischen Details unter den Tisch: Dio ist auch hier ein Mann der Toga." (368)
"Er würdigt Caesars neu eingeführte Taktik mit keinem Wort. Dio hat die Neuerung des Reiterkrieges wohl nicht begriffen und gehörte einer Senatoren-Generation an, die sich lieber in der Sänfte herumtragen ließ." (369)
"...und wenn er behauptet 'Vercingetorix hätte entkommen können' widerspricht er damit Caesar, der die Stadt hermetisch abgeriegelt haben will. Dies trifft auch auf die demütige Geste zu, mit der er sich Caesar unterwirft und von der Caesar selbst nichts weiß." Ebd.
Dio "zeigt sich dabei erneut militärtaktisch wenig kompetent, wenig interessiert" (381)
"...so kommt man erneut zu der Erkenntnis, dass Cassius Dio sich für Strategien gar nicht interessiert und sich das Recht in Anspruch nimmt, seiner Phantasie die Zügel schießen zu lassen." (387)
Besonders schön ist auch eine Stelle bei Cassius Dio, bei der Caesar erst ins Wasser fällt, sich dann seines schweren Purpurmantels entledigen muss, während die Ägypter ihn beschossen, er aber einhändig schwimmend in der linken Hand mehrere Dokumente, die er nicht nass werden ließ. Da muss Caesar wohl ins Tote Meer, statt in den Hafen von Alexandria gefallen sein, wenn er so gar nicht untergehen wollte... :fs:
Schulz meint dazu nur süffisant: "Dio hätte es einmal versuchen sollen; aber vielleicht war er ja Nicht-Schwimmer und wäre ertrunken..." (394)Καὶ αὐτῶν ὁπουδήποτε καὶ ἀθρόως ἐσβιαζομένων ἐς αὐτὰς ἄλλοι τε πολλοὶ ἐς τὴν θάλασσαν ἐξέπεσον καὶ ὁ Καῖσαρ. Κἂν διέφθαρτο κακῶς, ὑπό τε τῶν ἱματίων βαρυνόμενος καὶ ὑπὸ τῶν Αἰγυπτίων βαλλόμενος ἁλουργῶν γὰρ αὐτῶν ὄντων ἐστοχάζοντο, εἰ μὴ καὶ ἐκεῖνα ἀπερρίφει καὶ μετὰ τοῦτο διανεύσας πῃ ἐς ἀκάτιον ἐσεβεβήκει.
Tandis que les fugitifs étaient forcés de trouver le chemin des navires dans la cohue comme ils le pouvaient, César et beaucoup d'autres tombèrent à la mer. Il aurait péri malheureusement, poussé vers le fonds à cause de sa robe longue et criblé par les Égyptiens (son vêtement de pourpre offrait une belle cible), s’il n’avait enlevé son vêtement et s’il n’avait pas réussi à nager jusqu’à une barque qui l’emmena.
While the fugitives were forcing their way into these in crowds anywhere they could, Caesar and many others fell into the sea. He would have perished miserably, being weighted down by his robes and pelted by the Egyptians (for his garments, being of purple, offered a good mark), had he not thrown off his clothing and then succeeded in swimming out to where a skiff lay, which he boarded.
Zusammengefasst:
:rechts: Cassius Dio hatte an militärischen Dingen wenig Interesse und daher auch keine Ahnung davon. (Schulz)
:rechts: Cassius Dio erfindet ohne Not etwas dazu oder schreibt Geschichte um (Schulz) - es gibt freilich auch Stellen, bei denen er (zu Recht!) hart mit Caesar ins Gericht geht, weil dessen Darstellung unglaubwürdig ist, aber mir geht es hier nur um die Stellen, bei denen er Caesar weniger kritisch darstellt, als dieser sich selbst bzw. wo er ohne einen sachlichen Grund Caesars Angaben nicht folgt und andere, z.T. gegenteilige Behauptungen aufstellt (bzw. der sachliche Grund darin liegt, dass Cassius Dio aus seiner ex post-Sicht Labienus nicht leiden mag). (Schulz)
:rechts: Cassius Dio erfindet Dinge, die naturwissenschaftlich nicht möglich sind: Bäume erschlagen nur Römer, nicht aber Germanen - Caesar fällt ins Wasser, schafft es aber nicht unterzugehen, sich seines schweren Mantels zu entledigen und dabei wichtige Dokumente nicht nass werden zu lassen und unter Beschuss zu einer rettenden Insel zu schwimmen. (Womit Caesar kein Tollpatsch-Römer aus Zucker ist, wie die Varuslegionen, sondern schon fast einen Superheldenstatus erreicht, da er seinerseits die Naturgesetze aushebelt).