War das Mittelalter ein Rückschritt?

Ablasshandel gibt es nicht mehr und er ist auch historisch einzuordnen (Bau des Peteresdoms). Und die Borgias sind sicher ein Bsp. für die Dekadenz der Renaissance (nur ein scheinbarer Widerspruch), aber sie als pars pro toto für das Papsttum - obendrein bis heute - darzustellen, geht an der Sache vorbei. Für die Kirche gilt, was für alle anderen auch gilt: Es gibt keine Kollektivschuld, Schuld kann nur individuell bemessen werden. Als Historiker schaue ich mir erst den einzelnen Sachverhalt an und bilde mir dann ein Urteil. Ich bilde mir nicht ein Urteil und suche dann Fakten, die meinem Urteil entsprechen.
 
Es ist schon richtig, dass die islamischen Mathematiker die Mathematik über das Mittelalter retteten

Ohne die byzantinische Tradition hätten die islamischen Mathematiker wenig zu retten gehabt. In Byzanz wurden die Werke von Euklid, Archimedes & Co. noch über viele Jahrhunderte kopiert, ediert und kommentiert.

Keinen ehrlichgesagt, aber ich könnte dir sicherlich um die 15 Griechen, mehr oder weniger aus dem Stehgreif, nennen.

Im lateinischen Westen hat man sich für die griechischen Mathematiker nie groß interessiert, insofern hat dort auch kein "Rückschritt" stattgefunden. Eine Ausnahmeerscheinung war etwa Boethius, der an der Schwelle des Mittelalters stand und griechisches Bildungsgut in lateinischer Sprache verfügbar machte. U. a. schuf er eine lateinische Bearbeitung der "Einführung in die Arithmetik" des Nikomachos von Gerasa, die dann auch in der lateinischen Gelehrtenwelt des Mittelalters weite Verbreitung gefunden hat.

Ja, allerdings sind das ingenieurstechnische Anwendungen. Deshalb sind die Kathedralen bei "Bautechnik" mMn am richtigen Ort aufgehoben. Das wird zurecht von der sogenannten "reinen Mathematik" unterschieden - Mathematik zum Selbstzweck resp. mathematischen Erkenntnisgewinns.

Insofern wäre man im westlichen Mittelalter der altrömischen Auffassung treu geblieben:

"in summo apud illos honore geometria fuit, itaque nihil mathematicis inlustrius; at nos metiendi ratiocinandique utilitate huius artis terminavimus modum."
=
"In höchster Ehre stand bei ihnen [den Griechen] die Geometrie; darum nichts verherrlichter als die Mathematiker. Wir [Römer] dagegen haben diese Kunst soweit begrenzt und beschränkt, als sie zum Messen und Rechnen nützlich ist."

Cicero, Tusculanae Disputationes - Gespräche in Tusculum, Cic.Tusc.1,1.8 Prolog, Disposition, Thema (lateinisch)


"Aus römischer Zeit ist kein schöpferisch tätiger Mathematiker bekannt geworden. Die Mathematik war bei den Römern nur eine Hilfswissenschaft für Feldmesser (Agrimensoren), Ingenieure und Architekten."
Die antike Mathematik
 
Ich frage mich, wie verbreitet Vitruv im Mittelalter war und zwar vor allem auch (nichtphysisch) außerhalb der Klosterbibliotheken. Oder anders gefragt: Wurde Vitruv nur von Mönchen gelesen oder wurde sein Wissen auch bei Bauprokjekten genutzt?
Es sind zwar einige mittelalterliche Kopien von Vitruvs De architectura libri decem erhalten, doch weder Bautechniken noch Ornamentik des Spätmittelalters weisen (nördlich von Italien) auf ein praktisches Interesse an der antiken Architektur. Besonders die Skelettbauweise von Hochbauten aus massivem Gestein wird keinesfalls auf Vitruv zurückzuführen sein. Vitruvs Werk befasst sich nur marginal mit der Konstruktion von Gewölben, dem Hauptaugenmerk der gotischen Sakralarchitektur. Dennoch gibt es Spekulationen über den Einfluss von Vitruvs Werk auf manche Bauten des SMA.(siehe dazu Kap. »Die Überleiferung Vitruvs und die Architekturtheorie im Mittelalter«, in: H.-W. Kruft, Geschichte der Architekturtheorie, Beck, 1991, S. 31ff, @ Google Books), was wohl dem klassikbegeisterten Geist zuzuschreiben ist. Hingegen ist die Kenntnis von De architectura in manchen schriftlichen Werken nachweisbar, wie in der Enzyklopädie Speculum maius (um 1250) des Vinzenz von Beauvais.(S. 38f, ebd.)
 
Ich frage mich, wie verbreitet Vitruv im Mittelalter war und zwar vor allem auch (nichtphysisch) außerhalb der Klosterbibliotheken. Oder anders gefragt: Wurde Vitruv nur von Mönchen gelesen oder wurde sein Wissen auch bei Bauprokjekten genutzt?

Als herausragendes Bauwerk gilt da die ab 796 in nur zehn Jahren erbaute Pfalzkapelle Karls des Großen. Seinem Baumeister Odo von Metz stand das Wissen von Vitruv zur Verfügung um das Bauwerk auszurichten. Jahrhundertelang blieb das massive Oktogongewölbe des Aachener Doms die weiteste und höchste holzlose Raumüberdeckung nördlich der Alpen.

Dazu kam die Fertigkeit und und Leistung das in einfachen Rennöfen erschmolzene Metall in einem zeitraubenden Verfahren zu diesen kolosalen Ringankern von acht Meter Länge zu schmieden, die bei diesem massiven Gewölbe notwendig wurden. Hammerwerke die diese Arbeit erleichtert hätten gab es erst ab 1000 n. Chr.
 
Ich glaube schon, dass auch das Know How wegfiel. Was nicht angewendet wird, wird vergessen.
Dass auch im Mittelalter das Prinzip "Wasser fließt abwärts" bekannt blieb, meine ich dabei nicht, aber ich bin davon überzeugt, dass dieses Wissen nicht für die Ingenieurleistung Aquädukt ausreicht (mal abgesehen davon, ob es gelungen wäre, die Manpower für ein solches Bauwerk bereitzustellen).
Ich vermute mal, dass ein Neubau eines Aquädukts tatsächlich für einige Jahrhunderte nicht möglich war und dies nicht nur wegen der Manpower. Aber ganz verschwunden kann das Wissen nicht gewesen sein, dafür kam es später an zu vielen Orten wieder zum Vorschein, z.B. beim Burgenbau in Outremer, bei kirchlichen und weltlichen Großbauten usw.

Viel Wissen wurde in Büchern eher theoretisch bewahrt und musste dann wieder den Weg in die Praxis schaffen. Die meisten opisten waren ja keine Baumeister und die meisten Baumeister haben eher Schüler gelehrt als Bücher zu schreiben.

Ich störe mich hier an dem blieben. Die Lücke zwischen den letzten römischen Großbauwerken und der filigranen Baukunst der Gotik ist doch eine von Jahrhunderten.
In den Jahrhunderten wurde doch auch etwas gebaut, wenn auch wesentlich weniger und kleiner. Ich denke da an die Bauten der Merowinger, Karolinger, Angelsachsen und Normannen. Vieles ist da halt in den Jahrhunderten danach größer überbaut worden (mich hat dalams die Kathedrale in Wells massiv beeindruckt).

Ich frage mich, wie verbreitet Vitruv im Mittelalter war und zwar vor allem auch (nichtphysisch) außerhalb der Klosterbibliotheken. Oder anders gefragt: Wurde Vitruv nur von Mönchen gelesen oder wurde sein Wissen auch bei Bauprokjekten genutzt?
Das ist eine gute Frage. Vitruv war offenbar bekannt, aber es gibt nur wenig archäologische Spuren. Das könnte in der Tat auf eine gewisse Trennung zwischen Theorie und Praxis hindeuten.
 
Aber das ist doch die Antwort auf die Fragestellung oder nicht? Wir beide hätten dann mehr oder weniger Konsens: "War das Mittelalter ein Rückschritt?", "Ja, es gab einen Mangel an Geldern und später auch an Know How".
Was ist denn für Dich ein Rückschritt und was nicht?
Du vermischst hier die praktischen Möglichkeiten einer Gesellschaft aufgrund von Größe mit den Möglichkeiten es überhaupt zu können.
 
Was ist denn für Dich ein Rückschritt und was nicht?
Eine exakte Definition anzugeben fällt mir zugegebenermassen schwer. Vielleicht, wenn zuviel von folgendem Eintritt:
Abnehmende politische Strukturen bezüglich Rationalität und Komplexität. Stillstand oder höchstens marginaler Zuwachs bezüglich der Wissensvermehrung. Abnahme von Handelsvolumina. Zunahme von regionalen Konflikten. Abnahme von diplomatischen Beziehungen. Verschlechterung der Situation von Minderheiten und den materiell Ärmsten. Entsprechende Veränderungen von Metriken wie Lebenserwartung, Kindersterblichkeit, Kriminalitätsrate und Alphabetisierungsquote.

Du vermischst hier die praktischen Möglichkeiten einer Gesellschaft aufgrund von Größe mit den Möglichkeiten es überhaupt zu können.
Bist du dir da sicher? Ich glaube nicht, dass zwingend eine grosse Population vorausgesetzt werden muss, um z.B. in den Naturwissenschaften Fortschritte zu erzielen. Besagte Kathedralen hat man ja auch hingekriegt.
 
"In höchster Ehre stand bei ihnen [den Griechen] die Geometrie; darum nichts verherrlichter als die Mathematiker. Wir [Römer] dagegen haben diese Kunst soweit begrenzt und beschränkt, als sie zum Messen und Rechnen nützlich ist."
Cicero, Tusculanae Disputationes - Gespräche in Tusculum, Cic.Tusc.1,1.8 Prolog, Disposition, Thema (lateinisch)


"Aus römischer Zeit ist kein schöpferisch tätiger Mathematiker bekannt geworden. Die Mathematik war bei den Römern nur eine Hilfswissenschaft für Feldmesser (Agrimensoren), Ingenieure und Architekten."
Die antike Mathematik

Die hatten ja auch ein gänzlich unbrauchbares Zahlensystem, welches nicht einmal eine schriftlich festgehaltene Multiplikation zur Verfügung stellte.
So wie ich es verstehe, mich aber irren kann, lässt sich mit dem alten ägyptischen sogar der Logarithmus bilden.
Was das Zahlensystem der alten Griechen und nachfolgend Byzanz ermöglichte, kann ich leider nicht beurteilen, aber offenkundig hatten die Mathematiker.
Wenn wir heute in der Schule Algebra (Al Gebra) lernen, so ist das der arabische Begriff "Rechenkunst".
Und damit, also der Null als Zahl, geht alles was wir heute kennen.
Als das Mittelalter endet, wird Adam Ries geboren der ein Lehrbuch in deutscher Sprache schreibt, in dem er das alte, wirklich grunddumme römische Zahlensystem durch das indisch-arabische ersetzt.
Wenn man heute "Nach Adam Riese" sagt, dann meint man die große Kunst des einfachen Rechnens.
Es ist auch wirklich erstaunlich, dass große Kulturnationen überragende technische Fortschritte zustande brachten und bringen,
obwohl sie ein aberwitzig kompliziertes System der Berechnung verwenden.
(Man denke heute nur an zwei Industrienationen die das Drehmoment in Zoll-Unzen oder Pfund-Fuß, den Druck in Pfund pro Quadratzoll oder Quadrat-Fuß oder Zoll-Quecksilber-Säule, und auch Entfernungen in ganz verschieden erratisch zusammengewürfelten Einheiten zu bestimmen versuchen, die sich allesamt nicht ineinander umrechnen lassen)
 
Hallo

Zu Vitruv. Ich würde die Bedeutung für das MA als eher gering einschätzen. Die Abhandlung war zwar im MA bekannt, früheste Kopie aus dem 9.Jh daneben noch rund 25-40 Exemplare bis zur Renaissance. Das Ganze ist aber nichts weiter als eine architekturtheoretische Arbeit (von einem "Maurer", wie es mal ein amerk. Prof in einem Seminar formulierte) ohne !! Skizzen, Abb.. Diese kamen erst in den gedruckten Ausgaben ab 1500 hinzu.

Zum Vergleich Antike-ROM vs. MA um ein dunkles Zeitalter zu beschreiben, tut man dem MA Unrecht. Die Bauten, wie das Pantheon, die Aquädukte, das Kolosseum, etc. bilden den Endpunkt der Entwicklung Roms. bei ihrer Erbauung war ROM schon mehrere hundert Jahre alt, machte also eine lange Entwicklung durch. Das MA (wenn wir mal jetzt 800 als Anfang nehmen, fängt dort bei Stunde Null an.


mfg
schwedenmann
 
Die Büchervernichtung durch Christen in der Spätantike war umfassend verantwortlich für die dunklen Jahrhunderte. Erst in der Renaissance ging es wieder bergauf.
Bücherverluste in der Spätantike – Wikipedia
Der Verlust antiker Papyri sowie des öffentlichen Zugangs zur Literatur hatte unmittelbare Auswirkung auf den Bildungsstand der Gesamtbevölkerung im weströmischen Reich. Am Ende dieses Prozesses erlischt die Schriftlichkeit weitgehend und die historischen Informationen sind mehr als lückenhaft. In Hinblick auf die Überlieferung beurteilte Herbert Hunger diesen Zeitraum: „Schlimmer [als die Germanisierung] für die römische Kultur ist der endgültige Sieg des Christentums.“[93]
D
...
Dies führte zu der häufig anzutreffenden Schätzung, wonach weniger als 10 % der antiken Literatur überliefert wurden.[2
...

Auch Isidor von Sevilla gab in seinen Regeln für das Mönchstum zu bedenken, dass es nur sehr gefestigten Schülern erlaubt sein dürfe, nichtchristliche Schriften zu lesen. „Man fühlt sich nach Cassiodor,“ sagt Manitius, „in eine andere Welt versetzt: Mystik, Aberglaube und Wundersucht überwuchern jetzt die früher oft so logische und sachgemäße Darstellung‘“.[97]
Als Folge dieser Kulturpolitik konnte auch der Klerus den Alphabetisierungsgrad nicht halten. Cassiodor schrieb ein Lehrbuch zur antiken Grammatik. E. A. Lowe urteilte darüber: „Von den Regeln der Orthographie und Grammatik, die er niederlegte, kann man ermessen, wie tief die Gelehrsamkeit zu seiner Zeit bereits abgesunken war.“[98] Für den lateinischen Westen „ist das 6. Jahrhundert die dunkelste Phase im kulturellen Verfall dieser Zeit, in der das Abschreiben klassischer Texte so sehr abnahm, dass es einem Abbruch der Kontinuität der heidnischen Kultur gefährlich nahe kam. Die Dunklen Jahrhunderte bedrohten unwiederbringlich die Überlieferung klassischer Texte.“[99]

Mathematiker wurden der Magie verdächtigt.
In einem kaiserlichen Gesetz wurden seit 409 „Mathematiker“ verpflichtet, „ihre Bücher vor den Augen der Bischöfe zu verbrennen, andernfalls seien sie aus Rom und allen Gemeinden zu vertreiben.“[89] Üblicherweise wurden Mathematiker in der Spätantike mit Astrologen gleichgesetzt, allerdings konnten in der Antike unter Mathematik auch wesentliche Teile der klassischen Wissenschaften verstanden werden. Nur im einfachen Sprachgebrauch wurden darunter Astrologen (Sterndeuter) verstanden.[90]
I


Die Mathematikerin Hypatia wurde in der Kirche Caesarion von einem Mob gegen sie aufgebrachter Christen ermordet.
siehe auch
Bücherverbrennung – Wikipedia
Book burning at Ephesus - Wikipedia
Bücherverbrennung von Ephesus – Wikipedia (geht am Wesentlichen vorbei)
Hätte man den Untergang Westroms noch abwenden können?
Verluste an antiker Literatur
Christentum Schuld an den dark ages?

Die naturwissenschaftlichen Schriften Aristoteles wurden vernichtet weil er an Naturgesetze glaubt und dies keinen Raum für Wunder lässt.
 
Von mir jetzt dazu nur der Hinweis, dass im mittelalterlichen (christlichen) byzantinischen Reich noch viel an Literatur vorhanden war, was heute verloren ist, wie sich aus Zitaten in erhaltenen byzantinischen Werken oder dem "Myriobiblon" (einer Art Leseliste des Patriarchen Photios, in der ebenfalls viele heute verlorene Werk genannt werden) ergibt.
 
Die Büchervernichtung durch Christen in der Spätantike war umfassend verantwortlich für die dunklen Jahrhunderte. Erst in der Renaissance ging es wieder bergauf.

So einfach ist das sicherlich nicht. Die Bücherverbrennungen können einen so komplexen Vorgang, der sich im Anschluss - also ab ca 500 - an den Zusammenbruch des Römischen Imperium ereignet hatte, kaum ausreichend erklären.

Mein Kenntnisstand der Literatur legt andere Schlüsse nahe.

Das MA, ab ca. 1200, hat stichwortartig in Anlehnung an Tilly in Strayer:
- die europäische Staatenwelt geprägt mit einer eigenständigen "Identität" in Abgrenzung zum Oströmischen Reich
- die Netzwerke des europäischen Handels gelegt
- die institutionelle Verständnis für Staaten geprägt
- eine "Revolution" im Rechtsverständnis durchgeführt
- die ersten Wurzeln für ein "modernes" individualistisches Verständnis von "Mensch" und "Gesellschaft" gelegt
- erste wichtige Schritte zur Konsolidierung der Finanzierung (Steuern, Zentralisierung, Administration), um - neue Formen von - Kriegen zu führen
- durch die Kirche / Klöster die vorhandenen antiken Wissensbestände - teils als Übersetzung aus islamischen Quellen gerettet / erschlossen

nur um ein paar "Meilensteine" zu nennen, die wichtig waren als notwendige Voraussetzung für die Entwicklung in der FNZ.

Ergo: das MA bildete die notwendige Voraussetzung für die Phase, in der der europäische Kolonialismus bzw. dann in der Folge der Imperialismus seine wirtschaftiche bzw. militärische Überlegenheit entwickeln konnte, wie in "King Cotton" von Beckert dargestellt.

Voraussetzungen, die beispielsweise auch literaturseitig dargestellt und an anderen Stellen bereits ausgeführt worden ist.

Verortung der Bedeutung des MA für die FNZ
-van Zanden, Jan Luiten (2008): Die mittelalterlichen Ursprünge des "europäischen Wunders. In: James A. Robinson, Klaus Wiegand (Hg.): Die Ursprünge der modernen Welt. Geschichte im wissenschaftlichen Vergleich. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verl, S. 475–515.
-Mitterauer, Michael (2008): Mittelalterliche Wurzeln des europäischen Entwicklungsvorsprungs. In: James A. Robinson und Klaus Wiegand (Hg.): Die Ursprünge der modernen Welt. Geschichte im wissenschaftlichen Vergleich. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verl. S. 516–540.

Entwicklung der Handelsstrukturen
-Abu-Lughod, Janet L. (post 2006], 1991): Before European hegemony. The world system A.D. 1250-1350. New York, Oxford: Oxford University Press.

Fundierung staatlicher Strukturen:
-Strayer, Joseph H. (2005): On the medieval origins of the modern state. With new forwords by Charles Tilly and Wilhelm Chester Jordan. Princeton, N.J.: Princeton University Press.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zum Ausgangsthema: Warum ist das Mittelalter rückschrittlich im Vergleich zur Antike? Interessante Frage, die ich mir auch schon oft gestellt habe. Es scheint zum Teil einen völligen Stillstand im Bereich wissenschaftlicher, wirtschaftlicher und planerischer Entwicklung zu geben wenn man sich z.b. die mathematischen und astronomischen Leistungen und baulichen Ausmasse Babylons oder die Kultur Griechenlands ansieht und das ganze z.B. mit Köln im Jahr 1300 vergleicht.
Auch in militärischer Hinsicht gibt es eher Rückschritte zu verzeichnen. Der traurige Haufen der sich zur Befreiung von Jerusalem zum ersten Kreuzzug vor den Toren der Stadt eingefunden hat wäre z.b. für eine Armee Alexanders des Grossen taktisch, material-und ausbildungstechnisch oder logistisch keinerlei Gegner gewesen, obwohl dazwischen knapp 1000 Jahre liegen. Letztlich zeigt es dass Geschichte - wenn man denn aus ihr lernen kann- nicht linear verläuft und es daher auch in der Zukunft solche Zeitalter geben kann die entwicklungstechnisch hinter das jetzige zurückfallen.
 
Es scheint zum Teil einen völligen Stillstand im Bereich wissenschaftlicher, wirtschaftlicher und planerischer Entwicklung zu geben wenn man sich z.b. die mathematischen und astronomischen Leistungen und baulichen Ausmasse Babylons oder die Kultur Griechenlands ansieht und das ganze z.B. mit Köln im Jahr 1300 vergleicht.
Also ist die gotische Architektur mathematisch unbedeutend oder etwa die Erfindung der Brille keine Leistung?

Auch in militärischer Hinsicht gibt es eher Rückschritte zu verzeichnen. Der traurige Haufen der sich zur Befreiung von Jerusalem zum ersten Kreuzzug vor den Toren der Stadt eingefunden hat wäre z.b. für eine Armee Alexanders des Grossen taktisch, material-und ausbildungstechnisch oder logistisch keinerlei Gegner gewesen, obwohl dazwischen knapp 1000 Jahre liegen.
Da wäre ich mir mal nicht so sicher.
 
Eben. Schon der Begriff des Mittelalters ist ja ein eurozentrischer Begriff. In der arabischen Welt oder in Indien gab es kein „Mittelalter“ und in Amerika erst recht nicht. (Als neutrale Zeitangabe für die Zeit von 500 bis 1500 kann man es allerdings gelten lassen, aber trotzdem wird dann schon durch den Namen ein schiefer Blick auf eine irgendwie „mittlere“ Zeit suggeriert.)

Und Fortschritt oder Rückschritt – Gottogott, was für eine Frage! Schon die Vorstellung der menschlichen Geschichte insgesamt als Fortschritt ist äußerst problematisch. Wir sind solange fortgeschritten, bis das Trinkwasser ausgeht und die Wälder verbrennen. Am Ende des Fortschritts steht immer der Tod. (Mal als tief philosophische Zwischenbemerkung in den weißen Bart gemurmelt. ;))
 
Eben. Schon der Begriff des Mittelalters ist ja ein eurozentrischer Begriff. In der arabischen Welt oder in Indien gab es kein „Mittelalter“ und in Amerika erst recht nicht. (Als neutrale Zeitangabe für die Zeit von 500 bis 1500 kann man es allerdings gelten lassen, aber trotzdem wird dann schon durch den Namen ein schiefer Blick auf eine irgendwie „mittlere“ Zeit suggeriert.)

Und Fortschritt oder Rückschritt – Gottogott, was für eine Frage! Schon die Vorstellung der menschlichen Geschichte insgesamt als Fortschritt ist äußerst problematisch. Wir sind solange fortgeschritten, bis das Trinkwasser ausgeht und die Wälder verbrennen. Am Ende des Fortschritts steht immer der Tod. (Mal als tief philosophische Zwischenbemerkung in den weißen Bart gemurmelt. ;))

Wenn man davon ausgeht dass am Ende jeder Entwicklung der Tod steht , dann wäre nicht nur die Beschäftigung mit Geschichte sinnlos, sondern die Geschichte als solche.
Abgesehen von den Kulturen der neuen Welt und Chinas ist die Fragestellung meines Erachtens auch nicht eurozentriert, denn der gesamte Kulturraum über den wir sprechen wenn ein "Mittelalter" mit einer "Antike" verglichen wird ist ein Raum, der die Länder rund um das Mittelmeer, Europas und Asiens bis and die Grenzen Indiens einschliesst. Der Ursprung all dessen liegt ja nicht in Europa, sondern in Mesopotamien und Ägypten, später Griechenland und Rom wo unsere heutigen Wissenschaften, Philosophie, Literatur, Kunst und monotheistische Religionen ihren Ursprung haben bzw verbreitet wurden. Dabei bilden die Araber auch keine Ausnahme, sondern sie sind (u.a. als Erben des Hellenismus) Teil des Ganzen.
Trotzdem ist die Fragestellung berechtigt warum der (vermeintliche) Fortschritt dieses Kulturraums im Zeitraum der antiken Hochkulturen scheinbar rasend schnell voranschreitet und dann für knapp 1000 Jahre in vielerlei Hinsicht zum Erliegen zu kommen scheint, bevor er wieder an Fahrt gewinnt und sich dann seit der Industrialisierung rapide beschleunigt. Ob man die Stagnation nun Mittelalter nennt oder diese Einteilung einfach weglässt ist ja zweitrangig.
 
... aber trotzdem wird dann schon durch den Namen ein schiefer Blick auf eine irgendwie „mittlere“ Zeit suggeriert.)
Das war, als Petrarca den Begriff schuf, durchaus intendiert. Auch, dass man die Gotik seit der Renaissance als Gotik bezeichnete, war zunächst einmal zur Schmähung dieses Stils als 'barbarisch' gedacht.

Und Fortschritt oder Rückschritt – Gottogott, was für eine Frage! Schon die Vorstellung der menschlichen Geschichte insgesamt als Fortschritt ist äußerst problematisch. Wir sind solange fortgeschritten, bis das Trinkwasser ausgeht und die Wälder verbrennen. Am Ende des Fortschritts steht immer der Tod.
Wenn man davon ausgeht dass am Ende jeder Entwicklung der Tod steht , dann wäre nicht nur die Beschäftigung mit Geschichte sinnlos, sondern die Geschichte als solche.

Es gibt ja teleologische Geschichtsbilder. An deren Ende steht zwar nicht der Tod, aber z.B. das Himmelreich (so im orthodox-christlichen Geschichtsbild) oder die gerechte Gesellschaft ohne soziale Widersprüche (so im orthodox-marxistischen Geschichtsbild). Trotzdem beschäftigen sich Christentum und Marxismus mit der Geschichte.
 
Das war, als Petrarca den Begriff schuf, durchaus intendiert. Auch, dass man die Gotik seit der Renaissance als Gotik bezeichnete, war zunächst einmal zur Schmähung dieses Stils als 'barbarisch' gedacht.



Es gibt ja teleologische Geschichtsbilder. An deren Ende steht zwar nicht der Tod, aber z.B. das Himmelreich (so im orthodox-christlichen Geschichtsbild) oder die gerechte Gesellschaft ohne soziale Widersprüche (so im orthodox-marxistischen Geschichtsbild). Trotzdem beschäftigen sich Christentum und Marxismus mit der Geschichte.

Haha , ja das Himmelreich wäre die nächste Stufe nach dem Tod- aber immer noch noch nicht die letzte. Denn im aktuellsten Geschichtsbild (Harari) steht am Ende der Geschichte nicht das Reich Gottes, sondern der Homo Deus. Der Mensch ist selbst Gott geworden.
 
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