Ich will mich hier Leopold anschließen und behaupten, dass es sich hierbei um ein ganz universelles Phänomen handelt, das sich in der Geschichte immer wieder beobachten läßt und sich nicht auf die Eigenheiten oder speziellen Befindlichkeiten bestimmter kultureller oder religiöser Gemeinschaften reduzieren läßt.
Immer wieder kommt es in der Geschichte zu Konstellationen, in denen eine neue politische Herrschaftsordnung oder eine in eine Hegemonialposition gelangte Geistesströmung die Relikte, die Zeichen und die historischen Materialisationen der alten Ordnung, das Orthodoxe, demonstrativ zerschlägt. Manchmal geschieht das aus der Überheblichkeit des Siegers, aus Verachtung für den historischen Verlierer und für das Überwundene. Bisweilen spielt aber auch die Angst vor der latent noch vorhandenen Macht des Verganenen in die Überlegungen hinein, eine oft nicht unbegründete Furcht, das tot geglaubte könne zu neuem Leben erwachen. Insofern beobachten wir häufig den Versuch, auch die letzten Reste der alten Ordnung aus dem kollektiven Gedächnis der Menschen zu tilgen.
Beispiele lassen sich sicherlich jede Menge finden; von mir nach den in den anderen Posts schon angesprochenen Fällen nur noch einige spontane Einfälle:
- bekannt sind die sog. ikonoklastischen Bewegungen, also der Sturm auf die Bilder, v.a. in religiösen Kontexten. Prominentestes Beispiel hierfür sind die ikonoklastischen Konflikte im mittelalterlichen Byzanz; aber auch in einigen protestantischen Strömungen der Reformationszeit ist so etwas vorgekommen. Der Sturm auf die Bilder, der von den heutigen islamististischen Gotteskriegern ausgeht, läßt sich in diese Traditionsliste einreihen.
- ebenfalls in diesen Themenbereich gehört die Geschichte der Bücherverbrennungen, in denen die Lehrmeinungen und Denktraditionen des Gegners dem Feuer überantwortet werden. Die Bücherverbrennung der Nazis etwa zielte direkt auf die geistesgeschichtliche Tradition von Humanismus, Liberalität und Aufklärung.
- auf der profanen Ebene vollzieht sich der historische Kahlschlag v.a. an den materiellen Relikten der alten Herrschaft, die Befestigungen werden geschliffen und die Statuen der ehemaligen Machthaber vom Sockel gestürzt. In jüngster Zeit war bzw. ist das zu beobachten am Rückbau des Palasts der Republik in Berlin und an den bekannten Bildern vom Sturz der Saddam Hussein-Statue in Bagdad. Mit der jetzt beschlossenen Hinrichtung Husseins wird die alte Ordnung nun auch in symbolisch höchst verdichteter, weil personifizierter Form entsorgt. (Über die Wirksamkeit einer solchen Maßnahme - Stichwort: Märtyrerbildung - ließe sich sicher streiten, aber das würde zu weit in die aktuelle Politik hineinführen.)
Meiner Meinung nach ist in diesem Thread ein sehr spannendes Thema angesprochen worden, vielleicht schreibt ja mal jemand ein Buch darüber.
Wale