Aus H. Heines "Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland"

ponzelar

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http://gutenberg.spiegel.de/heine/religion/religion.htm

folgenden textauszug, den ich zugegebenerweise nicht völlig ganz und gar verstehe, bereitet mir trotzdem ein wenig gänsehaut. heines klare weitsicht? heines vorahnung?
mag jemand darüber diskutieren? ich hoffe, bei der wahl des auszuges den zusammenhang nicht zu sehr zerschnitten zu haben. daher ist der auszug auch nicht ganz kurz.

ponzelar


Laßt Euch aber dessen nicht bange sein, Ihr deutschen Jakobiner; die deutsche Revolution wird darum nicht milder und sanfter ausfallen, weil die Kantesche Kritik, der Fichtesche Transzendentalidealismus und gar die Naturphilosophie derselben vorausging. Durch diese Doktrinen haben sich revolutionäre Kräfte entwickelt, die nur des Tages harren, wo sie hervorbrechen und die Welt mit Entsetzen und Bewunderung erfüllen können. Es werden Kantianer zum Vorschein kommen, die auch in der Erscheinungswelt von keiner Pietät etwas wissen wollen, und erbarmungslos, mit Schwert und Beil, den Boden unseres europäischen Lebens durchwühlen, um auch die letzten Wurzeln der Vergangenheit auszurotten. Es werden bewaffnete Fichteaner auf den Schauplatz treten, die in ihrem Willensfanatismus, weder durch Furcht noch durch Eigennutz zu bändigen sind; denn sie leben im Geiste, sie trotzen der Materie, gleich den ersten Christen, die man ebenfalls weder durch leibliche Qualen noch durch leibliche Genüsse bezwingen könnte; ja, solche Transzendentalidealisten wären, bei einer gesellschaftlichen Umwälzung, sogar noch unbeugsamer als die ersten Christen, da diese die irdische Marter ertrugen, um dadurch zur himmlischen Seligkeit zu gelangen, der Transzendentalidealist aber die Marter selbst für eitel Schein hält und unerreichbar ist in der Verschanzung des eigenen Gedankens. Doch noch schrecklicher als alles wären Naturphilosophen, die handelnd eingriffen in eine deutsche Revolution und sich mit dem Zerstörungswerk selbst identifizieren würden. Denn wenn die Hand des Kantianers stark und sicher zuschlägt, weil sein Herz von keiner traditionellen Ehrfurcht bewegt wird; wenn der Fichteaner mutvoll jeder Gefahr trotzt, weil sie für ihn in der Realität gar nicht existiert: so wird der Naturphilosoph dadurch furchtbar sein, daß er mit den ursprünglichen Gewalten der Natur in Verbindung tritt, daß er die dämonischen Kräfte des altgermanischen Pantheismus beschwören kann, und daß alsdann in ihm jene Kampflust erwacht, die wir bei den alten Deutschen finden, und die nicht kämpft um zu zernichten, noch um zu siegen, sondern bloß um zu kämpfen. [hervorhebungen durch ponzelar] Das Christentum - und das ist sein schönstes Verdienst - hat jene brutale germanische Kampflust einigermaßen besänftigt, konnte sie jedoch nicht zerstören, und wenn einst der zähmende Talisman, das Kreuz, zerbricht, dann rasselt wieder empor die Wildheit der alten Kämpfer, die unsinnige Berserkerwut, wovon die nordischen Dichter so viel singen und sagen. jener Talisman ist morsch, und kommen wird der Tag, wo er kläglich zusammenbricht; die alten steinernen Götter erheben sich dann aus dem verschollenen Schutt, und reiben sich den tausendjährigen Staub aus den Augen, und Thor mit dem Riesenhammer springt endlich empor und zerschlägt die gotischen Dome. Wenn Ihr dann das Gepolter und Geklirre hört, hütet Euch, Ihr Nachbarskinder, Ihr Franzosen, und mischt Euch nicht in die Geschäfte, die wir zu Hause in Deutschland vollbringen. Es könnte Euch schlecht bekommen. Hütet Euch das Feuer anzufachen, hütet Euch es zu löschen; Ihr könntet Euch leicht an den Flammen die Finger verbrennen. Lächelt nicht über meinen Rat, über den Rat eines Träumers, der Euch vor Kantianern, Fichteanern und Naturphilosophen warnt. Lächelt nicht über den Phantasten, der im Reiche der Erscheinungen dieselbe Revolution erwartet, die im Gebiete des Geistes stattgefunden. Der Gedanke geht der Tat voraus, wie der Blitz dem Donner. Der deutsche Donner ist freilich auch ein Deutscher und ist nicht sehr gelenkig und kommt etwas langsam herangerollt; aber kommen wird er, und wenn Ihr es einst krachen hört, wie es noch niemals in der Weltgeschichte gekracht hat, so wißt, der deutsche Donner hat endlich sein Ziel erreicht. Bei diesem Geräusche werden die Adler aus der Luft tot niederfallen, und die Löwen in der fernsten Wüste Afrikas werden die Schwänze einkneifen und sich in ihren königlichen Höhlen verkriechen. Es wird ein Stück aufgeführt werden in Deutschland, wogegen die französische Revolution nur wie eine harmlose Idylle erscheinen möchte. [hervorhebung durch ponzelar] jetzt ist es freilich ziemlich still; und gebärdet sich auch dort der eine oder der andre etwas lebhaft, so glaubt nur nicht, diese würden einst als wirkliche Akteure auftreten. Es sind nur die kleinen Hunde, die in der leeren Arena herumlaufen und einander anbellen und beißen, ehe die Stunde erscheint, wo dort die Schar der Gladiatoren anlangt, die auf Tod und Leben kämpfen sollen.
 
Heine war in der Tat einer der ersten, der die Gefahren des Nationalismus in Deutschland gesehen hat, gerade weil dieser mit einem ausgeprägten Fremdenhass einherging. Hierzu noch ein Heine'sches Verschen:
Aber wir verstehen uns bass,
Wir Germanen auf den Hass.
Aus Gemütes Tiefen quillt er,
Deutscher Hass! Doch riesig schwillt er,
Und mit seinem Gifte füllt er
Schier das Heidelberger Fass.
 
ponzelar schrieb:
http://gutenberg.spiegel.de/heine/religion/religion.htm

folgenden textauszug, den ich zugegebenerweise nicht völlig ganz und gar verstehe, bereitet mir trotzdem ein wenig gänsehaut. heines klare weitsicht? heines vorahnung?
mag jemand darüber diskutieren? ich hoffe, bei der wahl des auszuges den zusammenhang nicht zu sehr zerschnitten zu haben. daher ist der auszug auch nicht ganz kurz.


Zur zeitlichen Orientierung des Werkes „ Zur Geschichte d.Religion und Philosophie i.Deutschland „ ist anzumerken, daß Heine es zunächst für das französische Publikum als Auftragswerk einer franz.Zeitschrift verfaßt hat.( siehe Link )
In Frankreich die Zeit nach der Julirevolution 1830 - in Deutschland i.d.Zeit der Demagogenverfolgung ,mit Aufhebung d. Presse –und Versammlungsfreiheit- nach Hambacher Fest 1832 in d. sog. Vormärzzeit aus heutiger Sicht. Also krasse polititische –wie geistesfreiheitliche Unterschiede in den beiden Ländern.
Heine wollte das Werk, wie auch seine Abhandlung über die“ Romantische Schule „ als Korrektiv verstanden wissen zu Mdm. de Staels 1810 verfaßtem „ De l´ Allemagne“ , welches aus Sicht Heines ein zu romantisch-idealistisches Bild von Deutschland abgab.
Heine erkannte,daß die Romantizismen der Freiheitskriege ,die Siegerideen von 1814 nicht lebenskräftig genug waren um einer „miesen Restauration „ zu widerstehen.
Er weist nach, wie romantische Ideen der Reaktion in Deutschland dienstbar gemacht wurden.
Das o.g. Werk wurde nach 1834 entsprechend gekürzt ,Heine auf dem Gebiet des dt. Bundes trotz Unterwürfigkeits- Adressen 1835 als „unerwünschte Person eingestuft , was seinem Werk im 19.und 20. Jahrhundert verschiedene male noch widerfahren sollte.
Seine vielschichtige Persönlichkeit und Begabung die heute zu den deutschen Klassikern zählt , beinhaltet in herrlich pamphletischer Manier auch seinen Sensus für die Metamorphose des dt. Nationalgefühls aus dem Idealismus - in Nationalismus , Chauvinismus –und als treuen Begleiter der beiden -des Antisemitismus in Deutschland in Literatur und Geistesleben.
 
Zuletzt bearbeitet:
ist es eine überinterpratation von mir, zu schließen, daß heine also 100 jahre vor den nazis und 50 jahre vor nietzsches "übermenschentum" vorhersah, daß aus (vielleicht auch mißverstandener) deutscher naturphilosophie eine katastrophe ohne gleichen ausgeht?
wenn nicht, stand heine mit solcher weitsicht alleine?

ponzelar
 
ponzelar schrieb:
ist es eine überinterpratation von mir, zu schließen, daß heine also 100 jahre vor den nazis und 50 jahre vor nietzsches "übermenschentum" vorhersah, daß aus (vielleicht auch mißverstandener) deutscher naturphilosophie eine katastrophe ohne gleichen ausgeht?

Wer weiß, vielleicht wußte Heine sogar mehr, als er schrieb!?

Er schreibt im "Wintermärchen" ja von einem Blick in Deutschlands Zukunft.
Die Farbe, die er dort sah, verschweigt er, dem Geruch nach zu schließen, kann sie aber nur braun gewesen sein:


Die Wangen der Göttin glühten so rot
(Ich glaube, in die Krone
Stieg ihr der Rum), und sie sprach zu mir
In sehr wehmütigem Tone:
»Ich werde alt. Geboren bin ich
Am Tage von Hamburgs Begründung.
Die Mutter war Schellfischkönigin
Hier an der Elbe Mündung.

Mein Vater war ein großer Monarch,
Carolus Magnus geheißen,
Er war noch mächt'ger und klüger sogar
Als Friedrich der Große von Preußen.

Der Stuhl ist zu Aachen, auf welchem er
Am Tage der Krönung ruhte;
Den Stuhl, worauf er saß in der Nacht,
Den erbte die Mutter, die gute.

Die Mutter hinterließ ihn mir,
Ein Möbel von scheinlosem Äußern,
Doch böte mir Rothschild all sein Geld,
Ich würde ihn nicht veräußern.

Siehst du, dort in dem Winkel steht
Ein alter Sessel, zerrissen
Das Leder der Lehne, von Mottenfraß
Zernagt das Polsterkissen.

Doch gehe hin und hebe auf
Das Kissen von dem Sessel,
Du schaust eine runde Öffnung dann,
Darunter einen Kessel -

Das ist ein Zauberkessel, worin
Die magischen Kräfte brauen,
Und steckst du in die Ründung den Kopf,
So wirst du die Zukunft schauen -

Die Zukunft Deutschlands erblickst du hier,
Gleich wogenden Phantasmen,
Doch schaudre nicht, wenn aus dem Wust
Aufsteigen die Miasmen!«

Sie sprach's und lachte sonderbar,
Ich aber ließ mich nicht schrecken,
Neugierig eilte ich, den Kopf
In die furchtbare Ründung zu stecken.

Was ich gesehn, verrate ich nicht,
Ich habe zu schweigen versprochen,
Erlaubt ist mir zu sagen kaum,
O Gott! was ich gerochen! ---

Ich denke mit Widerwillen noch
An jene schnöden, verfluchten
Vorspielgerüche, das schien ein Gemisch
Von altem Kohl und Juchten.

Entsetzlich waren die Düfte, o Gott!
Die sich nachher erhuben;
Es war, als fegte man den Mist
Aus sechsunddreißig Gruben. ---

Ich weiß wohl, was Saint-Just gesagt
Weiland im Wohlfahrtsausschuß:
Man heile die große Krankheit nicht
Mit Rosenöl und Moschus -

Doch dieser deutsche Zukunftsduft
Mocht alles überragen,
Was meine Nase je geahnt -
Ich konnt es nicht länger ertragen--



(http://www.heinrich-heine.net/winter/winter26.htm)
 
ponzelar schrieb:
ist es eine überinterpratation von mir, zu schließen, daß heine also 100 jahre vor den nazis und 50 jahre vor nietzsches "übermenschentum" vorhersah, daß aus (vielleicht auch mißverstandener) deutscher naturphilosophie eine katastrophe ohne gleichen ausgeht?
wenn nicht, stand heine mit solcher weitsicht alleine?
Heine befand sich zumindest nicht in großer Gesellschaft.
Andererseits ist Prophetie erst dann erwiesen, wenn das Ereignis eintritt. Deshalb ist er von den deutschen Emigranten nach der Bücherverbrennung 1933 immer wieder als ein Prophet zitiert worden.
 
Heine ist gebürtiger Jude, ließ sich aber protestantisch taufen, nicht etwa des Glaubens wegen, sondern weil er die Taufe als Entreebillet zur europäischen Kultur betrachtete. Der Antisemitismus griff zu dieser Zeit in Deutschland mal wieder um sich, Heine erwartete wohl Akzeptanz, die er aber nicht bekam, ganz im Gegenteil. Heinrich wurde immer mehr aufgrund seiner politischen Überzeugungen angefeindet, seine Veröffentlichungen stark zensiert, weshalb er auch nach Frankreich abwanderte. Heine verließ sein Exil nicht mehr, nachdem seine Schriften zunächst nur in Preußen, dann in allen Ländern des Deutschen Bundes verboten wurden.

Hier noch ein paar weitere Äußerungen zu Deutschland und dem deutschen Nationalismus:

http://homepages.compuserve.de/frickew/heine/ schrieb:
Aus dem Vorwort von Deutschland. Ein Wintermärchen (1844)
[...] Ich höre schon ihre Bierstimmen: »Du lästerst sogar unsere Farben, Verächter des Vaterlands, Freund der Franzosen, denen du den freien Rhein abtreten willst!« Beruhigt euch. Ich werde eure Farben achten und ehren, wenn sie es verdienen, wenn sie nicht mehr eine müßige oder knechtische Spielerei sind. Pflanzt die schwarzrotgoldne Fahne auf die Höhe des deutschen Gedankens, macht sie zur Standarte des freien Menschtums, und ich will mein bestes Herzblut für sie hingeben. Beruhigt euch, ich liebe das Vaterland ebensosehr wie ihr. [...]

[...] Ich bin der Freund der Franzosen, wie ich der Freund aller Menschen bin, wenn sie vernünftig und gut sind, [...]

[...] ich werde den Rhein nimmermehr den Franzosen abtreten, schon aus dem ganz einfachen Grunde: weil mir der Rhein gehört. Ja, mir gehört er, durch unveräußerliches Geburtsrecht, ich bin des freien Rheins noch weit freierer Sohn, an seinem Ufer stand meine Wiege, und ich sehe gar nicht ein, warum der Rhein irgendeinem andern gehören soll als den Landeskindern. Elsaß und Lothringen kann ich freilich dem deutschen Reiche nicht so leicht einverleiben, wie ihr es tut, denn die Leute in jenen Landen hängen fest an Frankreich wegen der Rechte, die sie durch die französische Staatsumwälzung gewonnen, wegen jener Gleichheitsgesetze und freien Institutionen, die dem bürgerlichen Gemüte sehr angenehm sind, aber dem Magen der großen Menge dennoch vieles zu wünschen übriglassen. Indessen, die Elsasser und Lothringer werden sich wieder an Deutschland anschließen, wenn wir das vollenden, was die Franzosen begonnen haben, wenn wir diese überflügeln in der Tat, wie wir es schon getan im Gedanken, wenn wir uns bis zu den letzten Folgerungen desselben emporschwingen, wenn wir die Dienstbarkeit bis in ihrem letzten Schlupfwinkel, dem Himmel, zerstören, wenn wir den Gott, der auf Erden im Menschen wohnt, aus seiner Erniedrigung retten, wenn wir die Erlöser Gottes werden, wenn wir das arme, glückenterbte Volk und den verhöhnten Genius und die geschändete Schönheit wieder in ihre Würde einsetzen, [...]

Aus Ludwig Börne. Eine Denkschrift. Viertes Buch (1840)
[...] In der Tat jene regenerierten Deutschtümler bildeten zwar die Minorität, aber ihr Fanatismus, welcher mehr religiöser Art, überflügelte leicht einen Fanatismus, den nur die Vernunft ausgebrütet hat; ferner stehen ihnen jene mächtigen Formeln zu Gebot, womit man den rohen Pöbel beschwört, die Worte »Vaterland, Deutschland, Glauben der Väter« usw. elektrisieren die unklaren Volksmassen noch immer weit sicherer als die Worte »Menschheit, Weltbürgertum, Vernunft der Söhne, Wahrheit...!« [...]
 
Zuletzt bearbeitet:
Lili schrieb:
Heine ist gebürtiger Jude, ließ sich aber protestantisch taufen, nicht etwa des Glaubens wegen, sondern weil er die Taufe als Entreebillet zur europäischen Kultur betrachtete.
Er ist aber auch gebürtiger Franzose.
 
Mercy schrieb:
Er ist aber auch gebürtiger Franzose.
Erbsenzählerei??? :S 1801 hatte sich das mit dem französischen Düsseldorf wieder erledigt. Das Ganze tut allerdings nichts zur Sache des Akzeptanzproblems, dem sich Heine in Deutschland ausgesetzt fühlte...
 
Lili schrieb:
Das Ganze tut allerdings nichts zur Sache des Akzeptanzproblems, dem sich Heine in Deutschland ausgesetzt fühlte...
Wohl aber für sein selbstbewusstes Auftreten in Frankreich hinsichtlich seines Verhältnisses zu Deutschland.
 
Ich sehe Heine da eher als Vermittler. Es war ja auch keine allgemeine Abneigung gegen Deutschland, die ihn ins Exil trieb, sondern seine Probleme die er mit den Deutschnationalen und der staatlichen Obrigkeit hatte. Bis zum Verbot seiner Schriften arbeitete er auch als Auslandskorespndent für Cotta und veröffentlichte regelmäßig Artikel, die insbesondere darauf abzielten, die Deutschen aufzurütteln (wurde zensiert) und ihnen die Franzosen näher zu bringen (das teilweise auch zensiert) - auch umgekehrt. Vgl. hierzu "Französische Zustände"
 
Mercy schrieb:
Andererseits ist Prophetie erst dann erwiesen, wenn das Ereignis eintritt. Deshalb ist er von den deutschen Emigranten nach der Bücherverbrennung 1933 immer wieder als ein Prophet zitiert worden.

Das Problem ist nur, dass das Zitat immer aus dem Zusammenhang gerissen wird. Es stammt nämlich aus Heines Almansor, einem Theaterstück und bezieht sich auf die große Bücherverbrennung in Granada 1499 (als Anstifter wird Kardinal Ximénez de Cisneros genannt) und die Verbrechen der spanischen Inquisition vor allem an den konvertierten Juden.
Wir haben also keinen Fall von Prophetie, wie genial Heine auch immer gewesen sein mag.

El Quijote
 
ponzelar schrieb:
ist es eine überinterpratation von mir, zu schließen, daß heine also 100 jahre vor den nazis und 50 jahre vor nietzsches "übermenschentum" vorhersah, daß aus (vielleicht auch mißverstandener) deutscher naturphilosophie eine katastrophe ohne gleichen ausgeht?
wenn nicht, stand heine mit solcher weitsicht alleine?

ponzelar


Es bleibt doch immer noch den Menschen überlassen, was sie aus dem Angebot an Ideen, Philosophien und Heilslehren machen. Isoliert man einzelne Postulate und Gedankengänge, so kann sich jeder machtbewußte Mensch an dem reichhaltigen Angebot philosophischen Gedankenguts für seine Zwecke bedienen. Dies ist ja seit dem frühen 19.Jahrh. in der dt. Geschichte laufend passiert.
Allgemein auf eine Richtung wie die der Naturphilosophie würde ich in einer Analyse der geistesgeschichtl. Wirkmechanismen im 19. Jahrh.im Hinblick auf die Katastrophen des 20. Jahrh. nicht abheben, sondern an Fallbeispielen wie z.B. Herder und Fichte ansetzten, die großen Anteil auf den Umwandlungsprozess von idealistischem Gedankengut zu politischen Wirkmechanismen hatten ,auf welchen später nicht zuletzt Heines ätzende Kritik ansetzt.
Von Herder , dem weltbürgerlich-universalistischen Geist ,dessen Sehnsucht nach einer Nation-Bildung in der Idee einer menschlichen Völkerfamilie gründete, der Vaterland neben Vaterland in friedlichem Wettstreit sah,
ging das Bestreben aus ,die Volkspoesie in die Bildung der Nation einzubeziehen mit ihrer Tendenz zur Humanität und Universalität. „ Die Dichtkunst überhaupt eine Welt-und Völkergabe „ ist „ nicht ein Privaterbteileiniger feinen, gebildeter Männer“ .- Heinrich Himmler hat die weltbürgerliche Orientierung v. Herders Volksliedbegriff erkannt und entsprechend gerügt. Vor SS – Führen sagt er 1943 in Posen : „ Es ist grundfalsch,wenn wir unsere ganze harmlose Seele mit Gemüt, wenn wir unsere Gutmütigkeit , unseren Idealismus in fremde Völker hineintragen. Das gilt ,angefangen von Herder, der die „Stimmen der Völker „(s.o.) wohl in besoffener Stunde geschrieben hat und uns , den Nachkommen, damit so maßloses Leid und Elen gebracht hat.“
Fichte
machte mit seinem Nationalbewußstsein großen Eindruck auf die akad. Jugend und die Burschenschaftsbewegung i.d. Zeit der Freiheitskriege. In seinen“ Reden an die deutsche Nation „ ließt man u.a. Folgendes; daß der Deutsche eine bis zu ihrem ersten Ausströmen aus der Naturkraft lebendigen Sprache redet, die übrigen germanischen Stämme eine nur an der Oberfläche sich regende , in der Wurzel aber toten Sprache.“ Aus der Gleichsetztung von dt. Sprache = Ursprache = Geistessprache mit nebulöser Pathetik
ergab sich für patriotisch-nationale Schreiber , die bald gefragt waren und die echt-deutsch und geistreich sein wollten , die Forderung, nie unter einen gewisses Level an erhabenen Worten herabzusinken. Die Wortflut war nicht mehr zu bremsen und findet mit den Worthülsen –Munitionskammern des Wilhelm zwo seinen Meisterschüler.
 
El Quijote schrieb:
Das Problem ist nur, dass das Zitat immer aus dem Zusammenhang gerissen wird. Es stammt nämlich aus Heines Almansor, einem Theaterstück und bezieht sich auf die große Bücherverbrennung in Granada 1499 (als Anstifter wird Kardinal Ximénez de Cisneros genannt) und die Verbrechen der spanischen Inquisition vor allem an den konvertierten Juden.
Von welchem Zitat sprichst du bitte? Die hier zitierten können es wohl kaum gewesen sein....
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Lili,

Lili schrieb:
Von welchem Zitat sprichst du bitte? Die hier zitierten können es wohl kaum gewesen sein....

Mercy schrieb:
Mercy schrieb:
Andererseits ist Prophetie erst dann erwiesen, wenn das Ereignis eintritt. Deshalb ist er von den deutschen Emigranten nach der Bücherverbrennung 1933 immer wieder als ein Prophet zitiert worden.

Daraufhin antwortete ich:
Depp vom Dienst schrieb:
Das Problem ist nur, dass das Zitat immer aus dem Zusammenhang gerissen wird. Es stammt nämlich aus Heines Almansor, einem Theaterstück und bezieht sich auf die große Bücherverbrennung in Granada 1499 (als Anstifter wird Kardinal Ximénez de Cisneros genannt) und die Verbrechen der spanischen Inquisition vor allem an den konvertierten Juden.
Wir haben also keinen Fall von Prophetie, wie genial Heine auch immer gewesen sein mag.

Also das Zitat an sich hat niemand gebracht. Mercy hat es angesprochen und ich dachte halt, dass es bekannt genug sein würde.
Heine schrieb im Theaterstück Almansor folgendes:
[size=-1]
Heinrich Heine schrieb:
Das war ein Vorspiel nur. Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.[/size]
Dieses Zitat wird häufig verwendet, um eine Linie von der Bücherverbrennung in die Gaskammern zu ziehen (was sicher auch möglich ist) und Heine wird zum Propheten. Tatsache ist aber, dass er sich auf ein zu seiner Zeit etwa 350 Jahre zurückliegendes Ereignis bezieht.

El Quijote
 
Trotz allem bezieht sich Heines Zitat wohl eher auf die Bücherverbrennung auf dem Wartburgfest 1817. Vgl. hierzu auch seine Erfahrungen mit div. Burschenschaften. Soviel zum aus den Zusammenhang reißen :D
 
Mein Hinweis auf die Prophetie bezog sich auf ein Gespräch von Wolfgang Frühwald, der im Anschluss an die Erörterung von Heines Schrift "Zur Geschichte der Religion..." und Heines Feststellung: "Duckt euch, Ihr Franzosen, denn das wird alles in den Schatten stellen, was die Welt jemals gesehen hat." Und er fuhr fort: Deswegen [!] sei Heine von den Emigranten des Jahres von 1933 bis 1945 immer wieder als ein Prophet zitiert worden (Gespräch mit Walter Flemmer, Bayer. Fernsehen).
Das Almansor-Zitat ist eine Folge der "Geschichte der Religion".
Für mich kein Widerspruch.
 
Lili schrieb:
Trotz allem bezieht sich Heines Zitat wohl eher auf die Bücherverbrennung auf dem Wartburgfest 1817. Vgl. hierzu auch seine Erfahrungen mit div. Burschenschaften. Soviel zum aus den Zusammenhang reißen :D

Ich empfehle folgende Lektüre
http://gutenberg.spiegel.de/heine/almansor/almanso1.htm

Ich sehe allerdings ein, dass ein aktueller Bezug - also der zum angeführten Wartburgfest - relativ wahrscheinlich ist.
 
El Quijote schrieb:
Danke, ich habs gelesen....

El Quijote schrieb:
Ich sehe allerdings ein, dass ein aktueller Bezug - also der zum angeführten Wartburgfest - relativ wahrscheinlich ist.
v.a. dann, wenn man auch das mal gelesen hat:
http://www.uni-frankfurt.de/fb/fb04/download/ortmeyer/70_Jahre_Buecherverbrennung.doc
http://www.geschi.de/glossar/geschi/Bücherverbrennung.html
 
Lili schrieb:
Trotz allem bezieht sich Heines Zitat wohl eher auf die Bücherverbrennung auf dem Wartburgfest 1817. Vgl. hierzu auch seine Erfahrungen mit div. Burschenschaften. Soviel zum aus den Zusammenhang reißen :D

Zur Bücherverbrennung "auf" der Wartburg der Vollständigkeithalber noch ein paar Einzelheiten . Ein Augen-und Ohrenzeugenbericht.....


„ Als sich nun die Honoratioren und die Mehrzahl der Eisenacher, auch ein Teil der Studenten wegen der Kälte und des Windes schon zur Stadt zurück begaben, kam es zu einem folgenschweren Geschehnis, zum oppositionell-politischen Höhepunkt des Studententreffens.
Allerdings wurden weder Bücher verbrannt, noch war die Wartburg Ort des Geschehens.
Eine kleine Gruppe von Studenten bekräftigte mit einem sinnbildlichenöffentlichen Strafgericht den schon während der Festvorbereitung und in den Veranstaltungen des Tages mehrfach ausgesprochenen Gedanken , allem am Vaterland verübten Unrecht entgegenzutreten.
Die Idee der „Bücherverbrennung“ stammte aus dem Jahn´ schen Freundeskreis.
Obwohl der vorbereitende Jenaer Festausschuß ihre Ausführung verworfen hat, wurden sie vom Berliner Studenten Maßman in die Wege geleitet.....
Maßmann hatte zusammen mit Kommilitonen aus der Eisenacher Druckerei Bärecke
Dicke Stapel Makulaturpapier beschafft. Diese schnürten sie zu kleinen Packen, die mit nacht-, tod- und höllenschwarzen Pappdeckeln versehen wurden. Auf diese „Bücher „ schrieb einer der Freunde nach einer wohl vo Jahn verfaßten Liste die gekürzten Titel von Schriften, welche den Burschenschaftlern als studenten-, turn- und überhaupt volks –und fortschrittsfeindlich galten.
In einem großen Korb wurde die so präparierte Makulatur zusammen mit einigen anderen zur Unterstreichung des Protestaktes geeigneten Utensilien zum Wartberg mitgeschleppt.
An das schon etwas heruntergebrannte Feuer traten Maßmann und zwei weitere Studenten mit dem Korb und mit einer großen Ofengabel heran. Maßmann stellte sich dicht an die Flammen, um bei Dunkelheit lesen zu können.und hielt eine kurze Rede.... Sodann rief er die Titel und Verfasser der Schriftenlaut auf. Einer seiner Mitakteure hielt den bezeichneten Makulaturpacken sichtbar in die Höhe , der andere beförderte ihn mit der „Höllengabel“ in das „Höllenfeuer“. Der ganze Kreis von Studenten und Landstürmern begleitete jeden Wurf mit dem vielstimmigen Ruf : „Ins Feuer „.

Quelle : Helmut Asmus, "Das Wartburgfest" Verlag Werbung und Marketing 1995 Magdeburg
 
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