Bitte um Übersetzungshilfe

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Vogel-Porz

Gast
Den folgenden Text habe ich zu einem Wunder gefunden, dass sich nach einem Besuch an Erzbischof Annos Grab zu Siegburg im Dorf Ensen zugetragen hat /haben soll. Er stammt aus dem "Miraculorum Annonis Libri". Da ich bereits Probleme hatte, den TExt sauber zu trankribieren (i, u, t, e, r), kam bei Googles LEtein-Deutsch viel Unsinn heraus. Der grobe Plot, wie ich ihn mir erschließe:
Eine Frau aus Ensen besucht das Grab Annos im Kloster Siegburg. Nach ihrer Rückkehr ereignet sich in Ensen ein Wunder. Ein aus Siegburg mitgebrachtes Pulver macht einen Mann, der in lebensgefährlichem Fieber liegt, wieder gesund.
Doch wie genau lauten Text und Übersetzung dieses göttlichen Dienstes Anno? Hier folgt die Original Handschrift:

Wunder_von_Ensen.jpg


Freundliche Grüße
Andreas Vogel

[Mod: E-Mail-Adresse wg Web-Crawlern entfernt /mod]
 
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Non sumprimam noti|cię fidelium quod in uilla quę ense dicitur per an|nonis ad sancti meritum deifico munere est actum.
Mulier de eadem uilla ad sancti cenobium accessit oratum et fide plena de saxo quod saerę tumbę superpositum fuerat cultello corrosit. Et donium rediens febricitantibus in potum (hier kann ich nicht genau erkennen, ob potū oder potii) dedit; om|nibus que salutare fuit. Erat in eodem vico alia cuius filius lapidem qui calculus dicitur in superficie visicę habebat. Accessit ista ad illam („es kam diese (die Mutter des Sohnes) zu jener (der Besucherin vom Grab)“ ), petivitque ut portiunculam salutaris illius pulueris daret. Dedit illa ista ů (u mit o darüber - kann ich nicht auflösen) filio calculo laboranti in potu nuscuit (?). Statimque lapius confra|ctus ē (est? Ergäbe als einziges Sinn). Et per urinę meatum salubriter egestus.


Wenn ich das richtig verstehe, hatte Calculus so etwas wie einen Nierenstein, der mit Hilfe des Tranks zerbrach und dann mit dem Urin herausgepinkelt wurde.
(Ich sollte mir abgewöhnen beim Übersetzen lateiniscber Texte spanische Worte zu pseudoreetymologisieren)
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich musste etwas suchen, zu Hause habe ich nur die Unterlagen zur griechischen Paläographie. Fündig geworden bin ich in einer Zusammenstellung von Paula Lehmann (Sammlungen und Erörterungen lateinischer Abkürzungen in Altertum und Mittelalter, München 1929).

ē (est? Ergäbe als einziges Sinn)
Deutlich später, nämlich im 15./16. Jh., heißt es im Abbreviatur-Verzeichnis Berlin theol. lat. oct. 10 aus Gouda fol. Iv "ē = est".

ů (u mit o darüber - kann ich nicht auflösen)
In einem anderen Abbreviatur-Verzeichnis (Bonn Univ.-Bibl. Ms. S. 218 aus Maria Laach fol. 25v) aus dem 11. Jh., und damit zeitlich relativ nah an den Miraculorum Libris, findet man ů als Kurzform von vero - fragt mich nicht, wie man darauf kommen soll. Ich habe ů in keiner anderen Liste gefunden. Aber vero könnte hier tatsächlich passen.

Eine weitere Kürzungsliste eines spanischen Schreibers aus dem 15. Jh. bestätigt auch noch mal ē = est.
Eine nicht datierte Liste aus Fulda nennt für ē neben est auch en und em.

Allerdings: Ist das hier wirklich ē in der letzten Zeile? Sieht für mich aus wie ē'. Oder ë'. Der Strich rechts davon gehört auf jeden Fall noch dazu. Oder ist das überhaupt ein e? Mit dem Strich, wo eigentlich eine Lücke sein müsste? Wobei, was wäre es, wenn kein e. Ist noch das wahrscheinlichste. Aber ist der Strich da dann Versehen oder gehört er dazu? Ich werde daraus auf die Schnelle nicht schlau aus diesem ē'/ë'. Aber aus dem Kontext wäre es wahrscheinlich est, egal was da steht (oder est fällt hier weg und ist gedanklich zu ergänzen vor dem, was da folgt?).
(Oder seht ihr den Strich hinter dem e als Buchstaben? Bei e mit hochgestelltem Buchstaben gibt es einige Varianten.)
 
findet man ů als Kurzform von vero - fragt mich nicht, wie man darauf kommen soll.
Das ergibt tatsächlich Sinn: u und v sind ja derselbe Buchstabe: uero.

Eine weitere Kürzungsliste eines spanischen Schreibers aus dem 15. Jh. bestätigt auch noch mal ē = est.
Eine nicht datierte Liste aus Fulda nennt für ē neben est auch en und em.

Allerdings: Ist das hier wirklich ē in der letzten Zeile? Sieht für mich aus wie ē'. Oder ë'. Der Strich rechts davon gehört auf jeden Fall noch dazu.
Schau dir das cenobiū oben an. Das ist auch kein gerader Strich über dem -u-, sondern eher mit Tilde: ũ. Und so ist das hier auch eher ẽ als ē.

Aber ist der Strich da dann Versehen oder gehört er dazu? Ich werde daraus auf die Schnelle nicht schlau aus diesem ē'/ë'. Aber aus dem Kontext wäre es wahrscheinlich est, egal was da steht (oder est fällt hier weg und ist gedanklich zu ergänzen vor dem, was da folgt?).
(Oder seht ihr den Strich hinter dem e als Buchstaben? Bei e mit hochgestelltem Buchstaben gibt es einige Varianten.)
Diese Trennzeichen, die ein wenig na h Ausrufezeichen aussehen (aber natürlich nicht so gelesen werden dürfen), verteilen sich über den Text. Der waagerechte Strich, der aus dem e herausgeht sieht durchaus gewollt aus. Wegen des vorangehenden Partizips (confractus) erscheint mir das est folgerichtig. Aber du kannst sicherlich besser Latein als ich.
 
Herzlichen Dank für diese Verschriftungen. Nierensteine heißen "Calcus renum", das passt also. Mir ist noch unklar, was die Frau vom Kloster mitgebracht hat. Das muss man wohl interpretieren, da es nicht da steht. ODer doch? Hat sie evtl. vom Sarg oder dem Grabstein Material abgeschabt? Hat sie ein Bündel (Kräuter) abgeschnitten und mitgebracht?
 
Da ich bereits Probleme hatte, den Text sauber zu trankribieren (i, u, t, e, r), kam bei Googles Latein-Deutsch viel Unsinn heraus.
Hallo Andreas,

vermutlich kommt auch viel Unsinn heraus, wenn du den Text korrekt in den Google-Übersetzer eingibst. Ein calculus ist ein Rechenstein, damit wurde gerechnet, kalkuliert. Allerdings ist calculus auch der Kieselstein (ich weiß nicht was zu erst war - habe wohl eine Vermutung - , aber solche Bedeutungsverschiebungen sind es, die Etymologie zu einer interessanten kulturhistorischen Hilfswissenschaft machen). Wenn ich den Text richtig verstehe, dann hätte der Sohn der (zweiten) Frau, die nicht an Annos Grab gewesen war, „einen Stein auf der Oberfläche der Harnblase, der calculus/Kiesel genannt wird“.

Ich hatte gestern Abend den Text in der Art missverstanden, dass das qui calculus dicitur sich nicht auf lapidem, sondern auf filius bezöge und dann habe ich meatum noch - falsch - mit Spanisch mear bzw. meado übersetzt (ein koloquiales Wort - oder wie die Real Academia meint: malsonando/misstönend - für ‚urinieren‘, ergo ‚pissen‘), daher die später durch Durchstreichen zurückgenommene erste Interpretation.
 
Eine Edition mitsamt deutscher Übersetzung gibt es anscheinend bereits:
Geschichtsquellen: Werk/5347 (unter „Ausgaben – Edd.“)
Inwieweit diese Publikation noch greifbar ist, weiß ich nicht.

Herzlichen Dank für diese Verschriftungen. Nierensteine heißen "Calcus renum", das passt also. Mir ist noch unklar, was die Frau vom Kloster mitgebracht hat. Das muss man wohl interpretieren, da es nicht da steht. ODer doch? Hat sie evtl. vom Sarg oder dem Grabstein Material abgeschabt? Hat sie ein Bündel (Kräuter) abgeschnitten und mitgebracht?
Meiner Meinung nach steht das hier: „Mulier de eadem uilla ad sancti cenobium accessit oratum et fide plena de saxo quod saerę tumbę superpositum fuerat cultello corrosit.“ Die Frau hat also mit vollem Glauben vom Fels, auf dem das Grab stand, mit einem Messerchen etwas abgeschabt. (Das gab sie dann in einen Trank.)
 
Zuletzt bearbeitet:
Hat sie evtl. vom Sarg oder dem Grabstein Material abgeschabt? Hat sie ein Bündel (Kräuter) abgeschnitten und mitgebracht?

Ich werde nicht ganz schlau aus saerę. Sie scheint vom Stein, der über das saerę tumbę (Grab) gelegt war mit dem Messerchen etwas abgeschabt (corrosit) zu haben. Später ist dann von pulueris die Rede.
 
"Lapis pulveris" ist Steinmehl. Zu dieser Zeit war es üblich, von heiligem Gestein Steinmehl abzuschaben. Auch das passt.
 
"Lapis pulveris" ist Steinmehl. Zu dieser Zeit war es Brauch, heiliges Gestein entsprechend abzuschaben und das so gewonnene Steinmehl mitzunehmen.
 
Ich hänge hier schon am ersten Satz fest und raufe mir die letzten Haare:

Non sumprimam noti|cię fidelium quod in uilla quę ense dicitur per an|nonis ad sancti meritum deifico munere est actum.​

ist das ę eine Verkürzung von ae (zumindest das quę ist wohl für quae)? Dann wäre noti|cię für noticiae, wohl für notitiae (notitia Bekanntmachung).

Mit sumprimam kann ich gar nichts anfangen. Sollte das eine Verbform (1. Pers. Präs. Konj. Akt.) sein, so finde ich kein Verb sumprimere? Als Adjektiv oder Nomen würde ich den Akk. Sg. vermuten, aber ein Nomen sumprima oder ein Adjektiv sumprimus finde ich auch nirgendwo.

Da verstehe ich den Satz bis fidelium nicht.

quod in villa quae ense dicitur [...] est actum. Also: was in dem Ort, der Ense genannt wird, geschehen ist.

per an|nonis ad sancti meritum deifico munere würde ich umordnen per meritum annonis sancti = durch Verdienst des heiligen Anno - aber ad, deifico und munere kriege ich da nicht zugeordnet. Ad als Präposition braucht doch einen Akkusativ, aber wo soll der sein? Oder bezieht sich das auf meritum. Und das per?

Fragen über Fragen...
 
ist das ę eine Verkürzung von ae (zumindest das quę ist wohl für quae)? Dann wäre noti|cię für noticiae, wohl für notitiae (notitia Bekanntmachung).
Ja, die 'e caudata' (ę) ist eine seit der karolingischen Renaissance verwendete, später vergessene/nicht mehr erkannte oder berücksichtigte Abbreviatur für die Ligatur æ.

Mit sumprimam kann ich gar nichts anfangen. Sollte das eine Verbform (1. Pers. Präs. Konj. Akt.) sein, so finde ich kein Verb sumprimere? Als Adjektiv oder Nomen würde ich den Akk. Sg. vermuten, aber ein Nomen sumprima oder ein Adjektiv sumprimus finde ich auch nirgendwo.
Viel zu viele Gedanken, die du dir über einen von mir produzierten Fehler* machst:
Supprimam.png
supprimam
(von supprimere 'unterdrücken'). Der Verfasser möchte die Nachricht nicht unterdrücken/auslassen.


*ich weiß nicht, was da passiert ist, ich habe das gestern Abend auf dem Tablet geschrieben, da ich dort auch - wg. meiner Partnerin - Polnisch installiert habe, habe ich den Text tw. im polnischen Sprachmodus transkribiert, weil es dort die 'e caudata' gibt (d.h. ich muss weder den Code kennen noch mühsam aus dem Internet kopieren), vielleicht ist das Wort deswegen durch die Automatische Rechtschreibkorrektur (ARK) gelaufen und beim Korrigieren des ARK-generierten Fehlers habe ich das -m- übersehen. Oder ich habe mich vertippt oder, oder, oder...
 
Zuletzt bearbeitet:
Meiner Meinung nach steht das hier: „Mulier de eadem uilla ad sancti cenobium accessit oratum et fide plena de saxo quod saerę tumbę superpositum fuerat cultello corrosit.“ Die Frau hat also mit vollem Glauben vom Fels, auf dem das Grab stand, mit einem Messerchen etwas abgeschabt. (Das gab sie dann in einen Trank.)
Diese ÜS ist mir heute Morgen entgangen. Wie hast du das saerę übersetzt?
 
Gar nicht, das habe ich übersprungen, weil ich mit diesem Wort nichts anfangen kann. (Erwogen habe ich u.a. eine abweichende Schreibweise für "serae", aber "spät" ergibt in diesem Zusammenhang keinen Sinn.) In der Annahme, dass es "saerae" heißt und zu "tumbae" gehört, wird es hoffentlich keine Relevanz für die Frage haben, was die Frau abgeschabt hat.
 
Gar nicht, das habe ich übersprungen, weil ich mit diesem Wort nichts anfangen kann. (Erwogen habe ich u.a. eine abweichende Schreibweise für "serae", aber "spät" ergibt in diesem Zusammenhang keinen Sinn.) In der Annahme, dass es "saerae" heißt und zu "tumbae" gehört, wird es hoffentlich keine Relevanz für die Frage haben, was die Frau abgeschabt hat.

fide saxo saerae.png


Ich habe auch über faerę nachgedacht, aber ich kann so oder so mit dem Wort nichts anfangen und obwohl die Unterscheidung nicht immer ganz eindeutig ist zwischen -f- und -ſ- (s)*, denke ich doch, dass es vom Schriftbild her hier ein recht eindeutiges -ſ- und eben kein -f- ist.


*aber das gilt in dem vorliegenden Textschnippsel nur für das zweite -ſ- in accessit.
accessit.png
 
In Das Mirakelbuch Annos II. von Köln als Quelle pharmazie- und medizingeschichtlicher Erkenntnisse, Hans Rudolf Fehlmann in Die Vorträge der Hauptversammlung der Internationalen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie e. V., 1961 https://leopard.tu-braunschweig.de/servlets/MCRFileNodeServlet/dbbs_derivate_00048028/2246-5005.pdf , Seite 45, wird die Stelle beschrieben und teilweise übersetzt oder eine Übersetzung zitiert.

"Eine Frau kratzte glaubensvoll mit ihrem Messer vom Steine, der auf dem heiligen Grabe lag, etwas ab, gab es dem fiebernden Kinde ins Getränk, und es gereichte diesem zum Heile". Bemerkenswert an dem Bericht ist, daß das Getränk nicht nur die Fiebernden gesund machte, sondern auch bei einem jungen Manne einen Blasenstein „zertrümmerte, denn sofort nach Einnahme des Getränkes zerbrach der Stein und wurde durch den Harngang so fortgeschafft, daß der Jüngling gesund wurde".
 
Ich würde sacrae lesen.
Stimmt. Schuppen > Augen!

Oder ist das ü berhaupt ein e? Mit dem Strich, wo eigentlich eine Lücke sein müsste?

Wegen Sepiolas Einwand mit dem sacrę/sacrae habe ich mir die -e- noch amal angeschaut, wenn ich dich richtig verstehe (und du nicht das -!;- meintest) dann kommt dieser Strich bei den e (und ę) regelmäßig vor:

e- e- e-.png
 
Wegen Sepiolas Einwand mit dem sacrę/sacrae habe ich mir die -e- noch amal angeschaut, wenn ich dich richtig verstehe (und du nicht das -!;- meintest) dann kommt dieser Strich bei den e (und ę) regelmäßig vor:
Ja genau, das meinte ich. Dann ist das wohl eine zeitliche/regionale/persönliche Eigenheit der Handschrift. Auch wenn es keine Bedeutung hat, finde ich es dann aber interessant: Abbreviaturen etc. wollen ja alle vereinfachen, aber bei dem e hier die Striche, das geht ja in die andere Richtung - aus dem e, das sich in einer einzigen Bewegung schreiben lässt, wird etwas, wo man zweimal ansetzen muss.
Aber das nur eine Überlegung am Rande, ich stimme euch zu, es scheint keine Abkürzung für irgendwas zu sein.
 
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