Germanen und Dtl.s Nationalwichtigkeit

Simplicius

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Ich habe hier einen äußerst interessanten Artikel aus der Deutschen Monatsschrift (18. Jh.) gefunden, der von deutschen Erfindungen und der Bedeutung deutscher Persönlichkeiten in Europas Geschichte handelt: Universitätsbibliothek Bielefeld - digitale Medien

Interessant ist vor allem, was in diesem Artikel alles als deutsch definiert wird. Wie wohlbekannt sein dürfte, war es damals üblich, die Germanen als "alte Deutsche" anzusehen. Man muss sich dabei immer fragen, wie denn dann die damaligen Menschen Dänemark, Schweden, Norwegen, Island und dergleichen ansahen, die ebenso germanisch waren. Dieser Artikel gibt darauf zwar keine zufriedenstellende Antwort, aber wengistens einen kleinen Vorgeschmack, wenn es da heißt:

Aber noch weit direkter, als durch die Bildung des heutigen Kriegssystems, gründete Deutschland die jetzige politische Verfassung der meisten Europäischen Staaten. Sind nicht Dänemarks, Norwegens, Schwedens Bewohner ursprüngliche Deutsche Völker? Sind nicht Niederländer und Schweizer an Sprache, Nationalabkunft und wichtigen Nationaleigenheiten, noch auf den heutigen Tag wahre Deutsche?

Sehr verworren wird es, wenn der Autor, G. Ch. Kellner, von den deutschen Normännern (heute: Normannen) spricht, die Amerika und andere Gebiete entdeckt hätten. Hier kann man noch sagen: Es sind die normannischen Skandinavier, die heutigen Wikinger, also Germanen und nach damaligem Verständnis also Deutsche gemeint. Aber hier kann man das nicht mehr sagen:

Und Englands ganze innere Verfassung, seine Industrie, seine Sprache, seine Denkart, seine Sitten, seine Schiffahrt; ward nicht dies alles durch Deutsche, nemlich durch alte Kymeen und Galen, durch Angeln und Sachsen, die unter Heng?st und Horsa (449) nach England zogen, durch den sächsischen Egbert (828), und Alfred (875 u. f.) durch Dänen und durch den Norrmann Wilhelm gegründet?

Das mit den Angeln und Sachsen ist noch verständlich. Was Kymeen und Galen sein sollen, weiß ich momentan beim besten Willen nicht. Dass aber Wilhelm der Eroberer aus der Normandie Germane/Deutscher gewesen sein soll, ist für mich in keiner Weise irgendwie herleitbar. Die Normandie verdankt zwar ihrem Namen den skandinavischen Normannen (also Germanen), aber deshalb ist ja nicht gleich jeder Einwohner der Normandie ebenfalls ein Germane. (Die Langobarden werden von ihm jedenfalls nicht als Deutsche angesehen, denn er rühmt später, dass Italien von ihnen durch die Deutschen befreit worden sei.)

Der Artikel ist es auf jeden Fall wert, gelesen zu werden.
 
Was Kymeen und Galen sein sollen, weiß ich momentan beim besten Willen nicht...

1. Es sind nicht Kymeen, sondern Kymren - hierzu bitte den digitalisierten Frakturtext am besten noch einmal genau lesen -; und damit ist gemeinhin die keltische Bevölkerung von Wales gemeint.
2. Galen war die im 18. und 19. Jh. gebräuchliche Bezeichnung für die Kelten in Gallien bzw. Westeuropa; heute würden wir Gallier schreiben und zudem zwischen verschiedenen Völkern (zumindest Gallier und Belgen) differenzieren. Daß sie in der o.g. Schrift mit Britannien verbandelt werden, ist eine Fehldeutung der damaligen Zeit, welche inzwischen nicht mehr vertreten wird - wie überhaupt die frühere Klassifikation der nichtrömischen und nichtgermanischen Sprachen dort als "keltische Sprachen" inzwischen stark umstritten ist.
3. Ebenso zeittypisch zu sehen ist der Umstand, daß das Keltische mit dem Germanischen - und damit überdies gleich noch mit dem Deutschen - in einem Atemzug genannt wird.

Dass aber Wilhelm der Eroberer aus der Normandie Germane/Deutscher gewesen sein soll, ist für mich in keiner Weise irgendwie herleitbar. Die Normandie verdankt zwar ihrem Namen den skandinavischen Normannen (also Germanen), aber deshalb ist ja nicht gleich jeder Einwohner der Normandie ebenfalls ein Germane...

Natürlich ist das jeglicher Hinsicht unhistorisch, da die in der Normandie angesiedelten Normannen im Laufe des 10. Jh. nicht nur die christliche Religion, sondern auch die französische Sprache angenommen hatten, mithin seitdem also nicht mehr zu den Germanen zu zählen sind, sondern zu Trägern einer romanischen Sprache (romanisierte Normannen). Wobei dem allerdings auch wiederum hinzuzufügen ist, daß nach der Normannischen Eroberung Englands das (Normanno-)Französische einen starken Einfluß auf die englische Sprache ausgeübt hat - wodurch sich das Mittelenglische entwickelte - und die Nachfahren jener Normannen über die "Vermischung" mit den Nachfahren der Angelsachsen schlußendlich damit auch wieder zu Trägern einer germanischen Sprache - eben des Englischen - wurden.



PS: Da das Thema eher wenig mit dem Heiligen Römischen Reich und eher mehr mit der kulturgeschichtlichen Rezeption des 18. Jh. - und eigentlich auch nur sekundär mit dem Mittelalter - zu tun hat, verschiebe ich den Thread zur Kulturgeschichte.
 
Zuletzt bearbeitet:
3. Ebenso zeittypisch zu sehen ist der Umstand, daß das Keltische mit dem Germanischen - und damit überdies gelich noch mit dem Deutschen - in einem Atemzug genannt wird.

Und hier stoße ich eben auf die Frage: warum das Keltische? Dass Germanen und Deutsche gleichgesetzt wurden, ist wohlbekannt, aber Kelten galten eigentlich immer als eigenes "Volk". Wie kann es dann sein, dass sie im 18. Jh. vom Autor dieses Artikels als Deutsche (sprich: Germanen) geführt werden. Dass er die Angeln und die Sachsen als Deutsche verstand, lässt sich nachvollziehen, dass er aber Gallier und Kymren als solche bezeichnet, ist eben nicht nachzuvollziehen.

Hast Du dafür irgendeine Erklärung?
 
Und hier stoße ich eben auf die Frage: warum das Keltische? Dass Germanen und Deutsche gleichgesetzt wurden, ist wohlbekannt, aber Kelten galten eigentlich immer als eigenes "Volk". Wie kann es dann sein, dass sie im 18. Jh. vom Autor dieses Artikels als Deutsche (sprich: Germanen) geführt werden. Dass er die Angeln und die Sachsen als Deutsche verstand, lässt sich nachvollziehen, dass er aber Gallier und Kymren als solche bezeichnet, ist eben nicht nachzuvollziehen.

Hast Du dafür irgendeine Erklärung?

vielleicht zählt er ja alle Indogermanen zu den Germanen um so einen Anspruch der Deutschen (Germanen),als Führungsschicht(Volk)auf ganz Mittel-und Westeuropa zu rechtfertigen
 
Interessant ist vor allem, was in diesem Artikel alles als deutsch definiert wird. Wie wohlbekannt sein dürfte, war es damals üblich, die Germanen als "alte Deutsche" anzusehen. Man muss sich dabei immer fragen, wie denn dann die damaligen Menschen Dänemark, Schweden, Norwegen, Island und dergleichen ansahen, die ebenso germanisch waren.

Wenn auch die Germanen nicht mit den Deutschen gleichzusetzen sind, so sind sie doch ganz unbestreitbar unsere "Ahnen".

Das deutsche Volk ging aus den germanischen Stämmen, Verbänden und Stammesschwärmen hervor, die zwischen Rhein und Elbe siedelten, denn eine andere Bevölkerungsbasis gab es nicht. Es gab auch nach der Zeitenwende keine Invasion oder das Einströmen nichtgermanischer Stämme in diesen Siedlungsraum, sieht man einmal von der Abwanderung einzelner germanischer Gruppen zur Zeit der Völkerwanderung ab und von der Überschichtung der Slawen jenseits der Elbe-Saale-Linie seit dem 10./11. Jh.

Dass die Erhnogenese der Deutschen erst seit dem 10. Jh. Jh. als längerer Prozess erfolgte, versteht sich dabei von selbst.
 
Grundaussage des Textes ist wohl, dass am deutschen Wesen die Welt genesen ist, da alles Gute was Engländer, Skandinavier etc hervorgebracht haben, auf deren deutsche Wurzeln zurückführbar sein soll.:fs:
 
Und hier stoße ich eben auf die Frage: warum das Keltische? Dass Germanen und Deutsche gleichgesetzt wurden, ist wohlbekannt, aber Kelten galten eigentlich immer als eigenes "Volk". Wie kann es dann sein, dass sie im 18. Jh. vom Autor dieses Artikels als Deutsche (sprich: Germanen) geführt werden. Dass er die Angeln und die Sachsen als Deutsche verstand, lässt sich nachvollziehen, dass er aber Gallier und Kymren als solche bezeichnet, ist eben nicht nachzuvollziehen.

Hast Du dafür irgendeine Erklärung?
... vielleicht zählt er ja alle Indogermanen zu den Germanen um so einen Anspruch der Deutschen (Germanen),als Führungsschicht(Volk)auf ganz Mittel-und Westeuropa zu rechtfertigen...

Stichwort "Deutscher Nationalismus in Verbindung mit der Germania-Magna-Theorie"
Näheres dazu nachzulesen bspw. in:
Der Aufstieg des deutschen ... - Google Buchsuche
Der Bildhunger der Literatur ... - Google Buchsuche
Fichtes"reden an die deutsche Nation ... - Google Buchsuche
 
vielleicht zählt er ja alle Indogermanen zu den Germanen um so einen Anspruch der Deutschen (Germanen),als Führungsschicht(Volk)auf ganz Mittel-und Westeuropa zu rechtfertigen


Und da heißt es gleich, direkt auf den betreffenden Artikel in der Deutschen Monatsschrift bezogen:
Hier ging es keineswegs um die Begründung territorialer Ansprüche einer germanischen Weltmacht, sondern um den Beitrag, den die Gebildeten in >Deutschland< zur Vervollkomnung der Menschheit leisten sollten. Wenn das Ideal der im Kantschen Sinne vernünftigen Weltordnung verwirklich ist, dann "können wir Deutsche sagen: Wir begründen dies Völkerglück".

Also kein territorialer Anspruch, kein politischer Herrschaftsanspruch (noch nicht, wir schreiben erst 1793), sondern ein geistiger, so wie ihn Friedrich Schiller um dieselbe Zeit formuliert hat:

Ihm [dem Deutschen] ist das Höchste bestimmt, die Menschheit, die allgemeine, in sich zu vollenden, und das Schönste, was bei allen Völkern blüht, in einem Kranze zu vereinen - und so wie er in der Mitte von Europens Völkern sich befindet, so ist er der Kern der Menschheit, jene sind die Blüte und das Blatt...Jedes Volk hat seinen Tag in der Geschichte, doch der Tag der Deutschen ist die Ernte der ganzen Zeit...Dem, der den Geist bildet, beherrscht, muss zuletzt die Herrschaft werden...und das langsamste Volk wird alle die schnellen flüchtigen einholen.
 
Damit mein vorheriger Einwurf nicht mißverstanden wird...

Also kein territorialer Anspruch, kein politischer Herrschaftsanspruch (noch nicht, wir schreiben erst 1793), sondern ein geistiger, so wie ihn Friedrich Schiller um dieselbe Zeit formuliert hat...

Natürlich geht es beim "Deutschen Nationalismus in Verbindung mit der Germania-Magna-Theorie" zu jener Zeit noch nicht um territoriale Ansprüche o. dgl.; andere Stelle dazu noch aus einem bereits verlinkten Werk:
Aufstieg des deutschen Nationalismus schrieb:
...
Es ging jedoch nicht um den Nachweis des historischen Anrechts auf ein bestimmtes Gebiet, sondern um den historisch geführten Beweis der Unbesiegbarkeit und des Ruhms aufgrund angeborener Tapferkeit und kriegerischer Überlegenheit...
Von Der Aufstieg des deutschen ... - Google Buchsuche
 
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