Falls nicht die Kirchentür gemeint ist, könnte es auch um den
anneau de clôture gehen. Einige Kirchen und Klöster in Nordfrankreich und England kennzeichneten (im Zweifel mit einem simplen gespannten Strick) einen Bereich, der rechtlich als Kirche zu betrachten war und deswegen ausschließlich kirchlicher Jurisdiktion unterstand, aber nicht unbedingt für jedermann als geweihte Kirche erkennbar.
Seward erwähnt einen
anneau de sanctuaire (könnte man als Heilsring übersetzen), der in den Verhandlungen zwischen Elizabeth Woodville und Richard III. eine Rolle spielte, bevor sie ihm ihre Söhne auslieferte. Die Königinmutter hatte vor Richard in Westminster Abbey Schutz gesucht und befand sich in einer Gästewohnung des Abts. Diese wurde kurzerhand zum Teil der Kirche erklärt, weil man fürchtete, dass Richard das Abteigelände stürmen könnte.
Der
anneau könnte vom Schabbatzaun herrühren, mit dem symbolisch (bspw. durch eine Schnur) ein öffentlicher Bereich so gekennzeichnet wird, dass er nach jüdischem Recht ein Haus darstellt. Noch heute ist er in orthodoxen Gemeinden in Gebrauch; so umspannt ein Draht einen Großteil der Insel Manhattan, damit orthodoxe Juden auch am Schabbat ihr Wohnhaus verlassen und eigentlich verbotenen Tätigkeiten nachgehen können.
Ich muss leider mal zitieren, was ich bei einem anderen Mitglied als schlechtes argumentum ad verecundiam kritisiert habe: "Meine Dozentin hat erzählt..." Ich habe mal den Kurs The Age of Chivalry - Das England der Plantagenêts belegt. Die Dozentin war eine deutsche Historikerin, die viel in England gearbeitet und geforscht hat, sie erzählte, dass nicht jede Kirche das Recht auf Kirchenasyl gehabt habe und das sei eben den Lancastrians hier zum Verhängnis geworden.
Ihr habt beide Recht.
Im mittelalterlichen England gab es zwei Formen des Kirchenasyls. Jede Kirche beanspruchte das Recht, flüchtigen Personen vierzig Tage lang Zuflucht zu gewähren. In der Praxis waren dies meist
felons (Schwerverbrecher) oder Schuldner; floh jemand vor dem Gesetz, musste er überdies eine umfängliche Beichte ablegen, um Asyl zu erhalten. Sobald die Vierzigtagesfrist verstrichen war und der Betreffende sich nicht seinen Gläubigern oder Verfolgern ausliefern wollte, hatte er zwei Möglichkeiten:
Chartered sanctuary oder a
bjuration of the realm.
Chartered sanctuaries waren bestimmte Kirchen und Klöster, deren gesamter Grund und Boden aufgrund königlicher Freibriefe (
charters) der weltlichen Justiz entzogen war. Sie boten einer flüchtigen Person unbegrenztes Asyl, theoretisch bis ans Lebensende. Insbesondere durfte die Obrigkeit den Flüchtling nicht nach vierzig Tagen herausholen.
Abjuration of the realm bedeutet hingegen, dass der Flüchtling sich dafür entscheidet, ins Exil zu gehen und niemals wiederzukehren. Auf dem Weg ins Exil oder in ein
chartered sanctuary durfte er nicht angetastet werden.
Diese Praxis war allgemein akzeptiert und wurde nicht als Schlupfloch, sondern als Bestandteil des Common Law betrachtet, und von der Krone aktiv unterstützt; sie galt als Ausdruck des königlichen Gnadenrechts. Außerdem konnten ab dem 13. Jahrhundert vom Parlament bedrängte Könige so ihre Günstlinge und Verbündeten vor dem Zugriff des Gesetzes bewahren, dem sich pro forma auch der König unterordnen musste.
Erst Edward IV. und v.a. Henry VII. schlugen hier andere Töne an und erwirkten Parlamentsbeschlüsse, wonach mit dem
Attainder belegten (d.h. per Parlamentsbeschluss verurteilten und entrechteten) Personen kein Kirchenasyl zustand. Die waren aber nicht allgemein anerkannt. Heinrich VIII. hielt es zunächst wie die Könige vor Edward, aber im Zuge der Zerschlagung der Klöster wurde das Kirchenasyl in England Knall auf Fall abgeschafft.
Laut der Warkworth-Chronik besaß Tewkesbury einen Freibrief, und Edwards Missachtung desselben schockierte auch seine Verbündeten. Für die Entweihung der Abtei musste er Buße tun. Wie diese ausfiel, weiß ich nicht, aber er dürfte glimpflich davongekommen sein; der zuständige Erzbischof von York war ein gewisser George Neville, sein eigener Vetter und Bruder des "Königsmachers" Warwick.