Kriegsschuldfrage zum Zweiten Punischen Krieg

Ich vermute, daß irgendwer nicht genau wußte oder wissen wollte, wo Sagunt lag, entweder die Römer, die sich darauf als Kriegsgrund beriefen oder Polybios, der widersprüchliche Aussagen gibt. Polybios scheint seinen Widerspruch in den verschiedenen Kapiteln nicht zu sehen. War es ihm egal, weil er den wahren Kriegsgrund sowieso woanders sah? Vielleicht war der Iberos-Vertrag auch nur erfunden.

Wovon ich allerdings nicht ausgehe, ist, daß es eine Demarkationslinie zugunsten der Karthager gab. Rom war durch nichts verpflichtet, sich aus der Gegend südlich des Iberos herauszuhalten. Karthago war (eventuell) verpflichtet, sich nicht über den Iberos hinaus nach Norden zu bewegen.
 
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Ich vermute, daß irgendwer nicht genau wußte, wo Sagunt lag, entweder die Römer, die sich darauf als Kriegsgrund beriefen oder Polybios, der widersprüchliche Aussagen gibt.

Weder beriefen sich die Römer auf die Überquerung des Ebro (ich hatte darauf hingewiesen, dass eine Überquerung des Ebro ausdrücklich nicht Teil der Kritik war, als sie Hannibal vorwarfen, dass er ihren Schützling Sagunt angriff) noch macht Polybios widersprl. Aussagen bzgl. der Lage Sagunts zum Ebro.
Die Behauptung, Hannibal habe den Ebro vertragsbrüchig überrschritten, als er Sagunt angriff, findet sich erst bei Appian. Auch bei Livius steht, dass die Grenze zwischen beiden Völkern der Ebro sein solle: "um hoc Hasdrubale, quia mirae artis in sollicitandis gentibus imperioque suo iungendis fuerat, foedus renovaverat populus Romanus ut finis utriusque imperii esset amnis Hiberus". Die Saguntiner sollten zwischen beiden Herrschaftsbereichen ihre Freiheit bewahren: "Saguntinisque mediis inter imperia duorum populorum libertas servaretur."

Wovon ich allerdings nicht ausgehe, ist, daß es eine Demarkationslinie zugunsten der Karthager gab. Rom war durch nichts verpflichtet, sich aus der Gegend südlich des Iberos herauszuhalten. Karthago war (eventuell) verpflichtet, sich nicht über den Iberos hinaus nach Norden zu bewegen.

Immerhin schreibt Polybios, dass die Römer im Zuge des Punischen Krieges den Ebro erstmals in Waffen überquerten.
 
Weder beriefen sich die Römer auf die Überquerung des Ebro (ich hatte darauf hingewiesen, dass eine Überquerung des Ebro ausdrücklich nicht Teil der Kritik war, als sie Hannibal vorwarfen, dass er ihren Schützling Sagunt angriff) noch macht Polybios widersprl. Aussagen bzgl. der Lage Sagunts zum Ebro.
Die Behauptung, Hannibal habe den Ebro vertragsbrüchig überrschritten, als er Sagunt angriff, findet sich erst bei Appian. Auch bei Livius steht, dass die Grenze zwischen beiden Völkern der Ebro sein solle: "um hoc Hasdrubale, quia mirae artis in sollicitandis gentibus imperioque suo iungendis fuerat, foedus renovaverat populus Romanus ut finis utriusque imperii esset amnis Hiberus". Die Saguntiner sollten zwischen beiden Herrschaftsbereichen ihre Freiheit bewahren: "Saguntinisque mediis inter imperia duorum populorum libertas servaretur."


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Ich kann diese Interpretation nicht mit Polybios 3, 29 und 3, 30 in Übereinklang bringen. Dort schreibt er ausdrücklich, die beiden Gründe zum Krieg für die Römer nach der Einnahme Sagunts wären der Bruch des Lutatius-Vertrags (Angriff auf Verbündete) und des Iberos-Vertrags (Überschreiten in Waffen) gewesen.
 
Die Stelle 3,29 spricht eigentlich nicht von einem Vertragsbrauch. Die in 3,30 allerdings schon. Die Stelle in 3,30 ist in der Tat etwas problematisch. Sie ist eigentlich so zu lesen, dass Hannibal den Ebro zur Zerstörung Sagunts überschritten habe, was aber im Widerspruch zu zahlreichen anderen Stellen im Text (und zur bekannten Geographie) steht und daher wohl so verstanden werden muss (wenn wir hier nicht einen redaktionellen Fehler Polybios' vorliegen haben, pro domo suo), dass Hannibal zwei Anlässe zum Krieg gegeben hat, nämlich die Zerstörung Sagunts und danach die Überquerung des Ebro in Waffen, die dann in Kapitel 35 beschrieben wird.
 
Bei Polybios ist ohnehin grundsätzlich Vorsicht mit seinen Ausführungen angeraten, denn er war schließlich ein Fan des römischen Expansionismus.
 
Und man darf nicht vergessen, dass man damals nicht damit zu rechnen hatte, dass fehlerhafte Topographie irgendwem auffallen würde. Was bedeutet den Lesern in Rom oder Athen irgendein Fluss in Iberien? Ich will Polybios hier nicht einmal absichtliche Geschichtsfälschung unterstellen, aber toopografische Fehler in Gegenden, in denen man sich nicht auskennt, sind schnell passiert. Und man muss es ihm lassen - seine Version klingt so wunderbar logisch. Der Ebro war die ausgehandelte Grenze; Sagunt war der Anlass zum Krieg - also war Sagunt wohl nördlich des Ebro.

Und wieder einmal würde ich einen kleinen Finger dafür geben, die Quellen lesen zu können, auf denen Polybios' Schilderung beruht...
 
Alles nicht mehr so ganz "the horse's mouth". Sosylos und Silenos wären trotz ihrer vermutlich extrem punischen Färbung erstens ein schönes Gegengewicht zu all den erhaltenen prorömischen Historikern, und zweitens natürlich diejenigen, die schlicht und einfach dabei waren - quasi auf dem Rücksitz der Geschichte.

Zonares ist mir nicht bekannt. Den Byzantiner meinst du ja sicher nicht, oder? :)
 
Die Stelle 3,29 spricht eigentlich nicht von einem Vertragsbrauch. Die in 3,30 allerdings schon. Die Stelle in 3,30 ist in der Tat etwas problematisch. Sie ist eigentlich so zu lesen, dass Hannibal den Ebro zur Zerstörung Sagunts überschritten habe, was aber im Widerspruch zu zahlreichen anderen Stellen im Text (und zur bekannten Geographie) steht und daher wohl so verstanden werden muss (wenn wir hier nicht einen redaktionellen Fehler Polybios' vorliegen haben, pro domo suo), dass Hannibal zwei Anlässe zum Krieg gegeben hat, nämlich die Zerstörung Sagunts und danach die Überquerung des Ebro in Waffen, die dann in Kapitel 35 beschrieben wird.

Die Erklärung klingt sehr plausibel. Allerdings ist sie mit der Stelle 3, 15,5 nicht vereinbar, wo die Römer Hannibal beschwören, von Sagunt abzulassen und den Iberos nicht zu überschreiten. Da die Römer zu der Zeit kaum wissen konnten, daß Hannibal über den Ebro und die Pyrenäen nach Italien ziehen wollte, kann es sich nur um einen Zusammenhang von Sagunt und Iberos halten.

So richtig Sinn kommt in die geographischen Bezeichnungen nicht hinein, was der "Iberos" jeweils ist, bleibt unklar. Polybios ist hier einfach unsauber, wobei man verschiedene Fehlerquellen annehmen kann.


Bei Polybios ist ohnehin grundsätzlich Vorsicht mit seinen Ausführungen angeraten, denn er war schließlich ein Fan des römischen Expansionismus.

Das finde ich etwas übertrieben. Polybios weist häufiger auf negative Aspekte der römischen Politk hin, ein "Fan" ist er sicher nicht. Polybios ist meiner Ansicht nach ein anderes Kaliber als Livius oder Appian, die weitaus mehr die Klitterung zu Gunsten Roms auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Wobei du recht hast, Vorsicht walten zu lassen, bei jeder Quelle.

Nach meinem Geschmack überziehen es auch einige mitunter mit der Methode, alles das, was negativ für die Karthager und positiv für Rom ist, als per se falsch/erlogen/verbogen zu etikettieren und dann fröhlich die ihnen genehme Spekulation als Alternative anzunehmen. Das fällt mir bei Seiberts Hannibalbiographie und auch ein bißchen bei Brinkmann zum Ebrovertrag auf. Bei Seibert kommen dabei mitunter kuriose logische Ungereimtheiten in seinen Wertungen heraus, wo man sich nur wundern kann.
 
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Die Erklärung klingt sehr plausibel. Allerdings ist sie mit der Stelle 3, 15,5 nicht vereinbar, wo die Römer Hannibal beschwören, von Sagunt abzulassen und den Iberos nicht zu überschreiten. Da die Römer zu der Zeit kaum wissen konnten, daß Hannibal über den Ebro und die Pyrenäen nach Italien ziehen wollte, kann es sich nur um einen Zusammenhang von Sagunt und Iberos halten.

Nee, da belagert er Sagunt ja schon, hat den Ebro aber noch nicht überschritten.
 
Luziv schrieb:
Das finde ich etwas übertrieben. Polybios weist häufiger auf negative Aspekte der römischen Politk hin, ein "Fan" ist er sicher nicht. Polybios ist meiner Ansicht nach ein anderes Kaliber als Livius oder Appian, die weitaus mehr die Klitterung zu Gunsten Roms auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Wobei du recht hast, Vorsicht walten zu lassen, bei jeder Quelle.

Nach meinem Geschmack überziehen es auch einige mitunter mit der Methode, alles das, was negativ für die Karthager und positiv für Rom ist, als per se falsch/erlogen/verbogen zu etikettieren und dann fröhlich die ihnen genehme Spekulation als Alternative anzunehmen. Das fällt mir bei Seiberts Hannibalbiographie und auch ein bißchen bei Brinkmann zum Ebrovertrag auf. Bei Seibert kommen dabei mitunter kuriose logische Ungereimtheiten in seinen Wertungen heraus, wo man sich nur wundern kann.


Polybios erweckt beispielsweise bei der Vorgeschichte des Ersten Punischen Krieges der Eindruck, dass die Mamertiner sich im Jahre 264 v.Chr. sowohl an die Karthager als auch an die Römer gewendet haben. Dies ist aber so nicht korrekt, denn zwischen beiden Hilfegesuchen liegen immerhin fünf Jahre; die Mamertiner haben sich im Jahre 269 v.Chr. an die Karthager um Hilfe gewandt. Meines Erachtens nach ist Polybios ganz gewisse kein neutraler Beobachter, sondern eher doch ein Bewunderer der Römischen Expansionspolitik und er ist von den Aussagen des römischen Annalisten Fabius Pictor abhängig ist, der seinerseits selbstverständlich die Geschehnisse von einem römischen Gesichtspunkt aus darstellt. Außerdem war Polybios sogar im Stab von Scipio Africanus, als dieser Karthago im Jahre 146 v.Chr dem Erdboden gleich gemacht hat. Poybios war sich auch nicht zu schade, den Römern als Handlanger in seiner Heimat Griechenland zu dienen, nachdem diese Korinth zerstört und Makedonien besetzt hatten.
 
Auf die Bindung zwischen Polybios und den Scipionen wollte ich gerade hinweisen - ein wichtiger Punkt, der Polybios' Affiliation deutlich macht.

Allerdings ist sie mit der Stelle 3, 15,5 nicht vereinbar, wo die Römer Hannibal beschwören, von Sagunt abzulassen und den Iberos nicht zu überschreiten. Da die Römer zu der Zeit kaum wissen konnten, daß Hannibal über den Ebro und die Pyrenäen nach Italien ziehen wollte, kann es sich nur um einen Zusammenhang von Sagunt und Iberos halten.

An dieser Stelle lese ich ganz stark rückblickende Weisheit hinein. Jedes römische Schulkind weiß, dass der zweite Punische Krieg von drei Dominosteinen ausgelöst wurde: Hannibal will Krieg -> Sagunt ist im Weg -> der Ebro wird überschritten. Auf diese Assoziationskette kann Polybios beim römischen (und hellenischen) Leser bauen. Für mich liest sich der obenstehende Satz wie eine feste Abfolge, die nur das allgemein bekannte Ende haben kann, als wäre Hannibals bloße Existenz bereits eine Gefahr für den Ebrovertrag (und damit den Frieden).

Natürlich hat Sagunt mit der Überschreitung des Ebro nichts zu tun - außer, man betrachtet Geschichte retrospektiv, und dazu neigen nicht nur wir, sondern insbesondere die Römer (für die jegliche Art der Historiographie schließlich kein Selbstzweck war, sondern klare Ziele verfolgte - Herleitung der eigenen Größe, Warnung vor Dekadenz, Legitimation der Herrschaft etc).
 
Polybios erweckt beispielsweise bei der Vorgeschichte des Ersten Punischen Krieges der Eindruck, dass die Mamertiner sich im Jahre 264 v.Chr. sowohl an die Karthager als auch an die Römer gewendet haben. Dies ist aber so nicht korrekt, denn zwischen beiden Hilfegesuchen liegen immerhin fünf Jahre; die Mamertiner haben sich im Jahre 269 v.Chr. an die Karthager um Hilfe gewandt. Meines Erachtens nach ist Polybios ganz gewisse kein neutraler Beobachter, sondern eher doch ein Bewunderer der Römischen Expansionspolitik und er ist von den Aussagen des römischen Annalisten Fabius Pictor abhängig ist, der seinerseits selbstverständlich die Geschehnisse von einem römischen Gesichtspunkt aus darstellt. Außerdem war Polybios sogar im Stab von Scipio Africanus, als dieser Karthago im Jahre 146 v.Chr dem Erdboden gleich gemacht hat. Poybios war sich auch nicht zu schade, den Römern als Handlanger in seiner Heimat Griechenland zu dienen, nachdem diese Korinth zerstört und Makedonien besetzt hatten.

Es gibt keine neutralen Beobachter. Wenn es sie gäbe, hätten sie keine Ahnung, weil sie nicht intensiv mit den praktischen Besonderheiten der Sache beschäftigt wären (ein interessantes Phänomen, welches man in abgeschwächter Form an Ansichten "unabhängiger" Beobachter wie z.B. Journalisten oder Professoren immer wieder feststellen kann). Romfreundliche Tendenzen sind bei Polybios sicher vorhanden, auch wenn er als General sozusagen besiegt wurde, als Geisel nach Rom kam und die Unterdrückung seines Heimatlandes mit ansehen mußte. Auffällig sind z.B. plump negative Schilderungen von Hannibal, sowie Versuche, die Scipionen immer gut aussehen zu lassen. Das rechtfertigt nicht die Masche, alles, was Polybios an vermeintlichen Tatsachen bringt, als konstruiert und falsch darzustellen, wenn es gegen Karthago geht. Die beiden letzten Vorwürfe im Post sind nicht sonderlich ergiebig (und auch ziemlich ungerecht, aber ok), die Qualität des Werkes beurteilen zu können.
 
Neutral sicher nicht - wenn, dann "um Neutralität bemüht", in dem Sinne, wie (gute) heutige Historiker die Versionen zusammentragen, vergleichen und gewichten, und zwar zu einem Schluss kommen, dem Leser die Alternativen aber immerhin unterbreiten. Aber eine solche Beschäftigung mit der Vergangenheit ist mir aus der Antike nicht bekannt.
 
Das rechtfertigt nicht die Masche, alles, was Polybios an vermeintlichen Tatsachen bringt, als konstruiert und falsch darzustellen, wenn es gegen Karthago geht. Die beiden letzten Vorwürfe im Post sind nicht sonderlich ergiebig (und auch ziemlich ungerecht, aber ok), die Qualität des Werkes beurteilen zu können.

Welche Masche?

Polybios hat als militärischer Berater am 3.Punischen Krieg, der über die Jahrzehnte von Rom systematisch provoziert worden war, im Stabe des römischen Feldherrn Scipio Africanus teilgenommen. Er war also Kriegsteilnehmer auf Seiter der Römer.

Als die Römer in Griechenland das Schlachtfeld verliefen wurde der Grieche Polybios von den Römern mit der Neuordnung der dortigen Verhältnisse beauftragt.

Wieso ist diese Feststellung ungerecht? Polybios hat sich mit diesen Taten deutlich positioniert und schon deshalb sehe ich ihn kritisch.
 
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