Na Utopie war das nicht, selbst für Deutschland nicht. Die Frage ist ob sie das überhaupt wollten. Ganz weit oben auf Wunschliste war erstmal ende des Krieges.
Frieden stand auf jeden Fall ganz weit oben, zusammen mit den Forderungen nach Lebensmittel und der Freilassung inhaftierter Aufständischer.
Jedoch scheint mir die Forderung nach der Abdankung der Monarchen immer auch mit der Forderung nach Abschaffung der Monarchie verbunden gewesen zu sein. In den Städten werden während der Aufstände immer auch Soldaten- und Arbeiterräte gegründet, die die regionale monarchische Führung und ihr Exekutivinstrument ersetzten. Ein anderer Monarch sollte irgendwie nie eingesetzt werden, eher wartete man auf neue Anweisungen der parlamentarischen Reichsregierung.
Die Mehrheit der Deutschen scheint sich die Abschaffung der Monarchie gewünscht zu haben, zumindest nichts dagegen gehabt zu haben, immerhin schlossen sich sehr viele den Aufständischen an. Möglich ist natürlich auch, dass sich viele erst einmal nur von der Verzweiflung über ihr Leid haben tragen lassen, ohne vorrangig politische Ziele im Sinn gehabt zu haben.
In einem Staat zu leben, der keine Monarchie ist, war für Deutschland und andere europäische Länder schon Utopie, denn es gab ja keine andere Staatsform. Nicht mal Ebert traute sich, an der Monarchie zu rütteln, dabei war er Sozialist (oder aus heutiger Sicht Sozialdemokrat). So sehr man damals die Monarchie auch kritisierte, man hat in diesem monarchischen System ganz selbstverständlich gelebt. Auf einmal kann alles anders werden und so richtig weiß man noch nicht einmal, was es sein wird. Und da vermute ich eine gedankliche Revolution: Man traut sich, auch ohne monarchische Mächte zu leben. Verzweiflung und Leid waren dermaßen angestaut, dass man das Vertraute nicht mehr wollte.
Was ich sage, ist wahrscheinlich ungeheuerlich. Doch suche ich nach einer Erklärung für die Welle von Aufständen, die innerhalb von 3 Wochen zur Absetzung aller regionalen Monarchen führt.
Menschen, die sich mit dem monarchischen System identifizierten, können diesen Umsturz natürlich nur als Verrat empfinden. Ihr Selbstbild ist über diese Identifikation an die monarchische Ordnung gebunden.
Turgot schrieb:
"Es waren nicht die Pressionen der Allierten, die Wilhelm zur Abdankung nötigten, sondern primär Hindenburg,. Hindenburg hat Wilhelm mit falschen Informationen nicht nur zum Rücktritt, sondern auch zum Übertritt in die Niederlande veranlaßt."
Guter Tipp. Ich werde die Beziehungen zwischen Wilhelm II. und Hindenburg noch einmal genauer betrachten. Ich verstehe nämlich die Reaktion Wilhelms nicht, zuerst die Reise nach Spa ins OHL-Hauptquartier Ende Oktober und dann die Flucht in die Niederlande. Hatte er Angst vor Anschlägen?
Ich hoffe, dass ich Turgot richtig verstanden habe: Eine wirkliche Verhandlung wurde gar nicht angestrebt. Die Friedensbedingungen waren so formuliert, dass die Reichsregierung sie gar nicht annehmen konnte und sie so lange den Kampf weiter anführen musste, bis sie kapitulieren würde?
Das würde bedeuten, dass Wilson damit gerechnet hat, dass die Reichsregierung die Friedensverhandlungen in dem Moment abbrechen wird, wenn sie erfährt, dass er mit der alten Regierung nicht verhandeln möchte.
Das könnte natürlich sein. Bei Ludendorff hats ja geklappt. Doch stellt sich auch hier die Frage nach dem Warum? Erst will Ludendorff, dass eine neue, aus den Mehrheitsparteien gebildete Reichsregierung die Friedensverhandlungen übernimmt und auf einmal will er sie abbrechen?
Ich glaube, dass Ludendorff die Forderung als Entmachtung des Monarchen empfand. Wilson wollte nur mit gewählten Vertretern eines Volkes verhandeln. Nur diese sollten also über Frieden und so auch Krieg - absolutes Privileg des Monarchen und seiner Vertreter - verhandeln. Nicht eine Abdankung war implizit gefordert, sondern die Übertragung der Regierungsgewalt auf die parlamentarischen Mächte.
Ich weiß, dass ich zu keinen neuen Ergebnissen komme. Doch finde ich in Lehrbüchern immer nur, das Wilson "implizit", "verklausuliert" die Parlamentarisierung forderte. Jetzt verstehe ich, warum die Historiker zu dieser Interpretation kamen.