Nun ist auch die Tatsache einer nur einmaligen Überlieferung kein Grund etwas als Mythos zu bezeichnen.
Das ist ja kein Wunschkonzert. Wir können und müssen nur von den Quellen ausgehen. In diesem Fall kann und sollte darauf hingewiesen werden, dass der Ausspruch erst 23 Jahre später erfolgte und nur von einer Quelle berichtet wird. Aber solange der Bericht an sich nicht verworfen werden kann, bleibt uns nichts Anderes übrig, als zu sagen, dass das Zitat belegt ist. Es könnte besser bezeugt sein, aber es kann nicht als unhistorisch verworfen werden.
Ich werde mich jetzt nicht in den Text von Hall einfuchsen. Auch meine Zeit ist begrenzt, es ist nicht wirklich meine Zeit und mir geht es hier sowieso nur um die Methode.
Wenn Tacitus berichtet, wie Titus zwischen Pflicht und Liebe hin- und hergerissen ist, mag das ein literarischer Höhepunkt sein, aber nicht historisch, da auch Tacitus ihm nur vor den Kopf schauen konnte und nicht anzunehmen ist, dass Titus ihn über sein Innenleben aufklärte. Aber wenn jemand berichtet, dass jemand einen Ausspruch tat, den er hörte, ist das nicht von vornherein verdächtig. Zwar sollte niemand zu naiv sein, aber es kann auch nicht gesagt werden, dass etwas zu verwerfen ist, wenn das gar nicht gezeigt werden kann. Es ist gute Gewohnheit, darauf hinzuweisen, wie gut etwas überliefert ist.
Ich behaupte ja weder, dass es eine unumstößliche Wahrheit ist noch, dass es nicht sein kann, dass Hall -vielleicht unbewusst- schöner formulierte als Napoleon. Nur kann hier nicht von Mythos oder unhistorisch geredet werden, wie im Thread geschehen.
Das Zitat ist belegt. Punkt. Wie gut der Beleg ist, ist eine andere Frage.
Fände sich eine Quelle, die beschreibt, wie Hall immer wieder die Haltung Napoleons zu China erläuterte, bis er es irgendwann immer griffiger formuliert, bis er es nur in einem präzisen Zitat bringt, wäre es klar. Auch eine evt. generelle Unzuverlässigkeit wäre ein Grund, dass Zitat zu streichen.
Nur ein Affekt reicht dafür nicht. Das wäre postfaktische Geschichtsschreibung. Und das ist auch der Grund, warum ich hier darauf bestehen, dass das Zitat nicht einfach als Mythos abgetan werden kann, während ich nichts dagegen habe, dass es als unsicher überliefert bezeichnet wird. Fakten müssen verständlich erklärt werden. Geschieht dies nicht, oder widersprüchlich, werden die Aussagen von Experten diskreditiert und alternative Wahrheiten geschaffen, da ein gesunder Mensch nach Erklärungen strebt.
Wir haben uns daran gewöhnt nachlässig zu formulieren. Wer sich auskennt wird das Gemeinte in der Regel schon erkennen. Dabei meine ich nicht die Aristoteles für Unsitte nicht alle Schritte der Argumentation darzustellen, was ein anderes Problem ist und was auch mir oft passiert. Ich meine, dass der Laie auf einem Gebiet von den jeweiligen Experten ernst genommen wird. In der heutigen politischen Situation ist das ein Gebot der Ethik, wenn und solange man auch die Verantwortung als Staatsbürger darunter fasst.
Neulich bin ich im Forum kritisiert worden, dass ich auf Unterschiede in der juristischen und historischen Denkweise aufmerksam machte, obwohl die Probleme interdisziplinärer Kommunikation seit den 90ern nicht mehr unmodern geworden sind. Anfang der 90er wurde noch gesagt, auch wenn es alt sei, sollte ein Student sich damit wenigstens etwas beschäftigen. Dann wollte plötzlich jeder von den Informatikern verstanden werden, es kam zur Troja-Debatte und über die literarische Qualität der Geschichtsschreibung wird seit einigen Jahren auch wieder lamentiert. Aber heute sollte jedem klar sein, wie wichtig nicht nur die Kommunikation, sondern auch die verständliche Kommunikation ist.
(Eigentlich wollte ich einen Thread dazu eröffnen, aber hier hat es sich ergeben, weil ich gestern Mittag etwas auf der Leitung stand.)