Und Großbritannien benötigte diesen Ausgleich, denn wenn die Russen ernst gemacht hätten, wären die britischen Positionen wohl nicht zu halten gewesen.
Das ist für mich nicht abzuschätzen, wie sich die Russen bei einem Angriff gegen Indien oder Persien geschlagen hätten, aber konnten sie sich denn einen solchen Angriff überhaupt leisten, wenn sie nicht auf die Neutralität der Deutschen zählen konnten? Was passiert wenn die halbe russ. Armee in Persien oder Indien steht und der Zweibund auf brit. Seite in den Krieg eintritt. Bleiben die Türken dann neutral oder die Japaner?
So schlecht wie das Verhältnis zu Deutschland war nach 1908, konnten die Russen doch gar keine zweite Front gegen GB eröffnen.
Das Buch von Neitzel ist von 2002 also wirklich überholt ist das noch nicht denke ich mal. Im Vorwort ist ein Seitenhieb gegen Nial Ferguson, der würde so abwegige Theorien aufstellen um Aufmerksamkeit zu erregen, da habe ich schon gegrinst, beim zweiten mal Lesen.
Es ist das Verdienst der Studie von Gade, Gleichgewichtspolitik oder Bündnispflege: Maximen britischer Aussenpolitik (1909-1914), nachgewiesen zu haben, dass nach 1900 eben ein Prioritäten- bzw. Methodenwechsel in der britischen Außenpolitik stattgefunden hat, der unter der Wahrnehmung der veränderten strategischen Lage erklärbar ist.
Aber wo ein Prioritätenwechsel stattgefunden hat, kann ja auch ein zweiter stattfinden, wenn die "strategische Lage" es erlaubt. Da bin ich mir noch nicht so schlüssig, Neitzel arbeitet das zwar alles schön heraus, nur was nach 1900 so viel anders ist als vor 1900 verstehe ich nicht. Die brit. Armee war doch um 1880 auch schon mickrig klein und der Burenkrieg wäre 1880 doch auch nicht billiger gewesen als 1900.
In Faschoda gegen Frankreich und in Nordchina gegen Russland hat GB noch beinhart gespielt, beide mal bis an den Rand des Krieges gegangen und im Grunde beide Male als Sieger vom Platz gegangen. Dann nach 1905 werden sie auf einmal knieweich. Entente hier, Freundschaft da, bloß keinen verärgern.
Die klassische Erklärung war, dass vor lauter Angst vor den Deutschen und ihrer Flotte man umdisponiert hat. Oder jetzt alternativ, dass Empire "nicht mehr zu halten" war. Warum es aber "nicht mehr zu halten" wird nicht so genau erläutert.