Sorry für die Verzögerung.
Was ich nun überhaupt nicht verstehe: wieso gilt das erst für den Theismus der patriarchalischen Gesellschaftsform (deine Auffassung eines vorneolithischen matriarchalen Paradieses vorausgesetzt) nicht aber bereits für den Theismus der matriarchalischen Gesellschaftsform? Ist die Magna Mater etwa keine Theá, das man hier nicht von "Theismus" sprechen könnte?
1) Ich wiederhole nun
zum x-ten Male, dass meine Auffassung von paläolithischer und frühneolithischer Sozialstruktur mit einem "Matriarchat" nichts zu tun hat, sondern - wegen der Nichtevidenz hierarchischer Strukturen in diesen Zeiten, egal ob allgemein oder genderbezogen - von einer "
Egalität" ausgeht, wobei die Observanz religiöser, darunter auch schamanistischer Rituale (siehe Studie von Dean R. Snow von 2013) wahrscheinlich vorwiegend in weiblicher Hand lag.
(Großfettdruck zwecks hoffentlich besserer Memorierung)
2) Geht es in diesem Thread-Teil nicht um die Frage, ob und inwieweit Religion der Herrschaftserhaltung dient (anknüpfend an Erik Eriksons Statement und Dieters Antwort darauf)? Soweit prä-patriarchalische Sozialsysteme bekannt sind, fehlt jedes Anzeichen für eine starke Hierarchie (die ich als Merkmal für Herrschafts-Systeme nannte, über die es hier geht). In frühneolithischen und paläolithischen Zeiten gab es möglicherweise "flache Hierarchien", die aber nichts mit Herrschaft zu tun haben in dem Sinne, um den es hier geht.
3) Zudem ist
Theismus definiert als Glaube an einen "persönlich wirkenden Gott", also einen personalen Gott. Davon kann in prä-patriarchalischen Zeiten noch keine Rede sein, da Gottheiten damals höchstwahrscheinlich noch stark symbolisch konnotiert waren und keine personalen Namen trugen, sondern als universale Naturmacht aufgefasst wurden. Es hat sicher fließende Übergänge gegeben, die uns im Detail aber ganz unbekannt sind. Also ist von Theismus ab etwa 5.000 BCE auszugehen (erster EA-Tempel in Eridu, damals noch Ubaid, später Sumer / EA = Wasser- und Fruchtbarkeitsgott, Vorläufer von Enki). Zu dieser Zeit konnte noch längst nicht von einem Königtum die Rede sein (weil dessen Entstehungsbedingungen, siehe unten, noch nicht gegeben waren), aber von ersten stark hierarchischen Strukturen.
Letztlich ist dieser Beitrag doch nur eine Variante deines ewigen Themas (Vor dem Patriarchat gab es ein Matriarchat, das Matriarchat war gut, mit dem Patriarchat kam das Böse in die Welt*), ohne tatsächlichen Bezug zum eigentlichen Threadthema.
Was soll ich dazu sagen? Dass du in Bezug auf meine früheren Statements zu diesem Thema ein schwaches Gedächtnis hast (siehe oben)? Vielleicht ist es einfach nur der Ausdruck "
Egalität", der in die Köpfe mancher User nicht rein will, die in Schwarzweißmanier nur die Alternative Patriarchat-Matriarchat kennen, wobei ersteres für sie ein selbstverständlicher Naturzustand von Beginn der Zeiten zu sein scheint.
Zudem kam mit dem Patriarchat nicht "das Böse" in die Welt (warum kannst du meine Statements nicht einfach mal
sachlich wiedergeben, sondern
verzerrst sie immer wieder?), sondern das
Kriegerische. Mit deiner unwissenschaftlichen Wortwahl verunsachlichst du die Debatte ganz erheblich. Außerdem beeinträchtigt das meine Motivation, auf deine Antworten einzugehen, ebenfalls ganz erheblich. Ich schrieb schon einmal, dass eine Diskussion mit dir für mich eine "Sisyphos"-Arbeit ist, weil immer und immer wieder Sinn-Verzerrungen klarzurücken sind.
Des weiteren ignoriert die Darstellung, was ich immer wieder kritisiere, dass sie die "herrschende Klasse" als außerhalb des Systems darstellt.
Ich sehe nicht, wo ich die Elite "außerhalb des Systems" dargestellt habe. Auch hier wurde ich - zum 587.334 Male - missverstanden.
Ich schrieb:
Ich kann Erik Erikson unter der Bedingung, dass es um Theismus innerhalb stark hierarchisch organisierter Staaten geht, nur zustimmen. Diese Art des Theismus (die auch im folgenden gemeint ist) entwickelte sich historisch als eine Denkweise der patriarchalischen Herrscherelite (Könige und Priester) und hatte vor allem die Funktion, die Herrschaft dieser Elite zu legitimieren (sog. "sakrales Königtum"). Dass dies immer in bewusster Reflexion auf diese Funktion geschah, will ich damit nicht sagen, tendenziell vollzog sich das unbewusst, aber es gibt Anzeichen dafür, dass Könige auch bewusst das Charisma von Göttergestalten nutzten oder mit Hilfe von Hohepriestern neue theologische Konzepte einführten, um ihre königliche Macht zu konsolidieren oder zu erweitern.
Das wichtige "unbewusst" wurde von dir übersehen. Warum habe ich es überhaupt geschrieben, frage ich mich, wenn es doch nicht gelesen wird?
Sofern die Elite also
unbewusst ihren religiösen Status ausarbeitete, war sie Teil des Systems. Vielleicht war diese Unbewusstheit auch zu Beginn dieser Entwicklung der Fall, als das Königtum sich mit der Göttlichkeit zu assoziieren begann. Aber selbst wenn die Elite bewusste konzeptuelle Operationen vollzog, gehörte sie zum historisch durch Eliten, also selbstgeschaffenen System, von dem sie, sobald es einmal geschaffen war, immer ein Teil war, wobei es sich die Elite logischerweise auch auch mal herausnimmt, das System bewusst zu modifizieren.
Sonst wäre sie ja keine Elite.
Mehr dazu im nachfolgenden Absatz 2).
Richtig ist: Religion ist immer zum Machterhalt missbraucht worden. Besonders deutlich wird das etwa im Christentum zwischen dem 8. und 20. Jhdt. oder auch im Hinduismus. Allerdings standen die religiösen Führer nie außerhalb des Systems, welches sie zum Machterhalt missbrauchten.
1) Ägypten, wo diese Praxis am deutlichsten stattfand, erwähnst du überhaupt nicht.
2) Ich wiederhole: Hierarchischer Theismus ist ursprünglich ein Produkt der Herrscherelite. Dass die folgenden Generationen in dieses System hingeboren und sozialisiert wurden, ist klar, aber das System hat sich doch ständig weiterentwickelt, angetrieben von den Bedürfnissen der Herrscherelite, die Mittel ihrer geistigen Macht über das Volk noch zu verfeinern. Das muss, wie ich ja schrieb und von dir leider übersehen wurde, nicht unbedingt bewusst geschehen sein (woraus ja logisch folgt, dass die Elite, sobald das System erst einmal etabliert ist, ein Teil des Systems ist). Es gab aber auch genügend bewussten Spielraum für strategische Neuerungen. Ein besonders deutliches Beispiel ist die Selbstvergöttlichung mancher mesopotamischer Herrscher (als erster: Naram-Sin), deren Zweck nur sein konnte, den unterworfenen Populationen einen maximalen Respekt vor der Person ihres neuen Herrschers einzuflößen. Dem unmittelbaren Umfeld des Vergöttlichten musste der strategische Hintergedanke dabei natürlich klar sein.
Aber auch die schon früher nachweisbare Idee der "Gottessohnschaft" des Herrschers, die noch keine direkte Göttlichkeit implizierte, ist als Ausdruck eines Willens anzusehen, die Person des Herrschers zu überhöhen, um seine Position innerhalb der aristokratischen Hierarchie noch unangreifbarer zu machen. Man kann annehmen, dass das Königtum (bzw. Fürstentum) zunächst als temporäres Amt entstand durch die Wahl eines provisorischen "Ersten" durch eine Anzahl liierter Stämme. Aufgrund zunehmender Kriegsaktivitäten im Laufe des 4. Jt. BCE schien es notwendig zu sein, dass das Amt kontinuierlicher und mit mehr Akzent auf dem Militärischen ausgeübt wurde, um sich der neuen instabilen Situation anzupassen, die zugleich mehr Gefahr, aber auch mehr Chancen für Machtzuwachs durch Eroberungen bot.
Das war dann auch die historische Situation, die von einzelnen Individuen genutzt wurde, um das Führungsamt narzisstisch zu missbrauchen und mit persönlicher Macht und Machtzuwachs zu verbinden. Die Kontinuität des Amtes ermöglichte auch, den König zum "Sohn" des Stadtgottes (z.B. Eannatum als Sohn von Ningirsu) aufzupeppen. Dahinter stand sicher der Wunsch der royalen Sippe, ihren Status zu festigen. Diese Erhöhungsstrategie muss von einem uns unbekannten König/Fürst/lugal in Sumer innovativ eingeführt worden sein und wurde, wegen der Attraktivität und Effektivität dieses Konzepts, von anderen Herrschern dann nachgeahmt.
Deine Argumentation, soweit ich sie dechiffrieren kann, scheint darauf hinauszulaufen, dass religiös fundierte soziale Hierarchie "schon immer" bestanden hat oder aber, dass kein historischer Beginn einer solchen festgestellt werden kann, auch wenn es einen gegeben haben muss (welche der Optionen die deine ist, weiß ich nicht, du wirst es aber vielleicht noch erläutern).
Das heißt natürlich nicht, dass Religion nicht als Legitimation von Herrschaftsstrukturen als Machtinstrument herangezogen worden ist. Die Frage des Mißbrauchs ergibt sich dann wohl immanent aus dem Vergleich der damals geltenden Normen und den tatsächlichen Handlungen.
Das erscheint mir unlogisch. Gerade diese Normen stehen doch zur Debatte. Die Frage ist doch, inwieweit diese, immer auch theologisch fundierten, Normen im Dienste königlicher Macht standen. Nehmen wir die Norm des Steuerabführens an das Königshaus, das sich dadurch einen prächtigen Luxus leisten konnte, und an den Tempel, der vor Reichtum ebenfalls aus den Nähten platzte. Nehmen wir zudem die Norm der Gottessohnschaft und der Kriegslegitimation durch Götter. Das waren königlich-priesterlich geschaffene Normen, die gemäß der "normativen Kraft des Faktischen" zu traditionellen Normen in der altorientalischen Gesellschaft wurden. Ich will damit nicht sagen, dass
alle Normen herrschaftsspezifisch waren, viele von ihnen waren soziale Regeln, die in
jeder Gesellschaft notwendig erscheinen. Andere aber dienten zur Stabilisierung von Herrschaftsstrukturen, nicht zuletzt auch im Kontext der zunehmenden Dominanz des Mannes über die Frau bis zu dem Punkt, an dem sie nur noch sein Besitzobjekt ist.
Auffällig ist vor allem, dass der himmlische Staat ein Spiegelbild des irdischen Staates war. Das zeigt doch eindeutig, dass die "Henne" (die Hierarchie der Menschenwelt) vor dem "Ei" (die Hierarchie der Götterwelt) da war. Du und Thanepower tun so, als sei es genau umgekehrt.
3. In diesem Kontext enthält sie als sinnstiftendes Element - vor allem - auch das Potential einer "Ideologie", die die "Vergemeinschaftung" bzw. die "Vergesellschaftung" ermöglicht.
Da sollte man mehr differenzieren, meine ich. Du scheinst anzunehmen, dass die hierarchischen Gesellschaft der Frühgeschichte und des Altertums quasi naturgewachsen, also alternativlose Modelle sind, die erst viel später durch demokratische Ideen modifiziert wurden, und dass Religion u.a. den Zweck hatte, den Zusammenhalt dieser alternativlosen Systeme zu ermöglichen. Man kann aber davon ausgehen, dass es bereits in jenen Zeiten (auch ab 4. Jt., aber natürlich schon vorher) gesellschaftliche Alternativmodelle gab, die von der historischen Entwicklung aber nach und nach ausgesondert wurden. Der Assyriologe Thorkild Jacobson hat z.B. die Hypothese einer "primitiven Demokratie" im vorbabylonischen Mesopotamien aufgestellt, begründet u.a. mit der Götterversammlung in sumerischen Mythen, in denen der Götterkönig keine monarchische Macht hat, sondern den Rat der Versammlung berücksichtigen muss. Jacobsen zufolge könnte noch bis in die Zeit der ersten Hälfte des 3. Jt. der irdische Herrscher seine Macht mit einem Ältestenrat und einem Rat aus waffenfähigen jungen Männern geteilt haben, wobei er als exekutives Organ dieser Räte fungierte. Das ist aber nur eine, wenn auch viel diskutierte, Hypothese. Jedenfalls kann man davon ausgehen, dass das Königtum einen historischen Beginn im 4. Jt. hat, dessen Bedingungen ich oben schon angedeutet habe.
Zu bedenken ist dabei, dass es schon vorher stark hierarchische Strukturen auf tribaler Ebene gab, deren historischer Beginn aber wohl erst im 6. Jt. BCE liegen dürfte.
Obiges gilt für Sumer. In Ägypten war der monarchische Gedanke natürlich schon ab dem 4. Jt. durch die Identifikation des Königs mit dem Himmelsgott Horus bis zum Anschlang realisiert.
Also die Durchsetzung von Normen ohne eine dauerhafte Notwendigkeit, ihre Anwendung und Befolgung permanent durch physischen Druck bzw. Strafe durchzusetzen, was als ein explizit repressives politisches Herrschaftssystem wahrgenommen werden würde.
Das ist mir zu einseitig. Du stellst das so dar, wäre der Prozess sozialer Hierarchisierung in dem Maße, über das wir hier reden, eine evolutionäre Notwendigkeit. Ich sehe in dieser Entwicklung aber keinen Prozess, der sich mit Notwendigkeit aus einer vermeintlichen menschlichen "Natur" ergibt, sondern sehe darin eine Reihe von individuellen Entscheidungen historischer Subjekte, die auf der Grundlage ökonomischer Prozesse und damit verbundenen Zuwachses an Ressourcen (vor allem die Akkumulation des Viehs als Basis von indivduellem Reichtum) soziale Macht erlangten und Hierarchien etablieren konnten, die der Erhaltung ihrer Macht dienten. Nicht dass ich oder jemand anders ihnen deswegen "moralische" Vorhaltungen machen würde - es geht nur darum, die psychologischen Motive hinter dieser Entwicklung in den Blick zu nehmen, statt an der Oberfläche einer evolutionären Geschichtskonzeption zu verharren, die ich in deinen Anmerkungen - vielleicht zu Unrecht - zu erkennen glaube.
4. Somit sind diese Ideologien notwendig, um das Zusammenleben zu organisieren.
Dieser Satz scheint das ja zu bestätigen.
Diese Sicht kann man beispielsweise in den Arbeiten von Durkheim (Die elementaren Formen des religiösen Lebens), von Luhmann (Funktion der Religion) oder auch bei Mann (Geschichte der Macht. und der dazugehörigen Theorie der "Kapitalsorten") in unterschiedlichen Facetten erkennen.
An dieser Stelle zu Luhmann nur so viel, dass seine Auffassung von der Religion als soziales Subsystem mit der
Selbstauffassung der Religion als alles überdachendes Totalsystem unheilbar kollidiert. Diesem vermeintlichen "Subsystem" unter diesen Umständen einen konstruktiven und notwendigen Sinn anzudichten, ist widersinnig. Den Luxus einer solchen Fehleinschätzung kann sich Luhmann natürlich nur erlauben, weil theistische Religion als faktisches Totalsystem (in Europa bis zum 17. Jh.) nur deswegen zum "Subsystem" wurde, weil sie von den Kräften der Vernunft (Aufklärung) entscheidend in den Hintergrund gedrängt wurde. Bis zur Frz. Revolution galt der frz. König ja noch als "von Gottes Gnaden" in sein Amt eingesetzt (analog zur sumerischen Gottessohnschaft). Luhmann argumentiert also aus der gemütlichen Perspektive des nachaufklärerischen Zeitalters. Im 15. Jh. z.B. hatte er "die Religion" sicher nicht für ein "Subsystem" gehalten.