Wenn das Entfachen einer breiten Front oder eine effizientere Versorgung bei dieser Unternehmung eine Rolle gespielt hätte, dann hätten die Heeresteile sich nicht an der Ems treffen müssen. Ökonomischer wäre eine Aufteilung wie etwa: Caecina vom Rhein aus die Gebiete nördlich der Lippe, Germanicus die Gebiete südlich und nördlich der Ems. In der Mitte hätten die Heeresteile Fühlung halten können, ein Vereinigung wäre nicht nötig gewesen.
Nachdem gerade sechs Jahre zuvor Arminius drei Legionen vernichtet hatte, war es vielleicht nicht so toll mit jeweils nur vier Legionen auf Germanienurlaub zu gehen. Und wie knapp die pontes longi ausgehen, sehen wir dann ja. Aber selbst im darauffolgenden Jahr in Idistaviso und am Angrivarierwall sehen sich die Germanen durchaus in der Lage einer Acht-Legionen-Armee die Stirn zu bieten. Sie erleben dann zwar zwei Niederlagen, aber bereits 17 liefert sich Arminius eine Schlacht mit Marbod. Vor diesem Hintergrund war das Treffen natürlich notwendig.
Und warum sollte das Verbringen von Getreide über die Nordsee zur Ems für die Römer von Vorteil gewesen sein, wenn damit eine Armme versorgt werden sollte die in der Nähe oder direkt an der ebenfalls schiffbaren Lippe operierte?
Weil offenbar nicht die Lippe sondern die Ems Zentrum der Operationen war.
Um so wichtiger wird die Einbeziehung anderer Faktoren...
Die du bezeichnenderweise nicht nennst?
Vorausgesetzt der Treffpunkt lag tatsächlich bei den Chaukischen Hilfstruppen am Unterlauf oder gar an der Mündung der Ems, dann gab es nördlich von Rheine tatsächlich nicht viele Alternativen.
Die war bis Greven schiffbar.
Die Wasserbaumassnahmen der Germanen als topische Beschreibung abzutun ist vom Textbefund auch völlig unnötig.
Die "Wasserbaumaßnahmen" ad-hoc und im Hau-Ruck-Verfahren widersprechen unserem praktischen Wissen von der Welt. Sie sind nicht völlig unmöglich, aber doch höchst unwahrscheinlich. Bäche in Hanglageummzuleiten ist nicht ganz einfach, vor allem nicht dann, wenn man nur einen Nachmittag und eine Nacht dafür hat.
Sich sklavisch nach dem Textbefund zu richten ist ebenfalls keine Lösung.
Richtig, das ist aber keine Berechtigung zu phantasiereicher Hinzu- oder Umdichtung.
Schliesslich haben wir eine Menge archäologischer Funde und wissenschaftlicher Arbeiten zu berücksichtigen, die eine Menge Widersprüche aufgezeigt haben.
Butter bei die Fische!
Plausibel ist am Ende das Szenario, dass die wenigsten Hilfshypothesen benötigt.
Aber ich bin sehr auf Deine hilfshypothesenfreie Interpretation der Ereignisse gespannt.
Die kannst du in dem von dir zitierten Beitrag lesen.
Die Absicht des getrennten Aufmarsches
war es den Feind zu trennen.
Ja, durchaus. Aber du kennst ja auch den Moltke:
Getrennt marschieren, gemeinsam schlagen.
Die entlegensten Gebiete der Brukterer lagen vom Rhein aus gesehen aber zwischen Ems und Weser
Claudius Ptolemaios verortet die Grossen Brukterer auf jeden Fall östlich der Ems und in Küstennähe. Der Schiffskampf des Drusus auf der Ems mit diesem Stamm wird auch nicht am Oberlauf der Ems stattgefunden haben. Die Verwendung der Bezeichnung "Grosse Brukterer" deute ich dahingehend, dass damit das Hauptsiedlungsgebiet dieses Stammes gemeint ist. Ptolemaios zählt als Nachbarstamm dieser "Grossen Brukterer" die Chauken (Cauchos minores) auf. Also genau die Germanen die von Germanicus für diesen Feldzug als Hilfstruppen rekrutiert wurden.
Das ist für mich plausibel. Ich rekrutiere die Hilfstruppen ökonomisch vor Ort und lasse die Chauken nicht durch feindliches Gebiet in den Ems-Lipperaum kommen, oder bringe sie in Bedrängnis ihre Stammesgrenzen östlich der Ems zu den Brukterern durch Truppenabzug womöglich nicht mehr selbst schützen zu können.
Zwischen Ems und Lippe wurden die Germanen nicht geteilt.
Germanicus mit den Chauken von der Küste, Caecina macht von Süden die Zange zu und Stertinus zerstreut den Rest. Das wäre meiner Meinung nach logisch wenn man das gesamte Siedlungsgebiet der Brukterer bekriegen will.
Und dann kümmert mich auch nicht die viel zitierte Ems-Lippe-Verheerung bei Tacitus, die in hunderten von Lokalisierungsversuchen bemüht wurde und nicht eine einzige gesicherte Bestätigung eines Ortes der Germanicuszüge hervorgebracht hat.
Hier implizierst du wieder, dass die Archäologie Schlachtfelder finden
müsse. Vormoderne Schlachtfelder, sofern nicht der genaue Ort bekannt ist, sind kaum zu finden, da sie i.d.R. die Landschaft nicht verändern. Das Harzhorn wurde z.B. gefunden, weil Sondler einen alten Burgstall aufgesucht haben.
So, wo lebten die Brukterer? Wir haben folgende Informationen:
Strabo VII, 1, 3: Naumachie auf der Ems.
Strabo VII, 1, 3: Die Lippe fließt durch das Land der kleineren Brukterer (Problem: An dieser Stelle berichtet Strabo auch, dass die Lippe parallel zu Ems und Weser fließe und etwa 100 km (600 Stadien) vom Rhein entfernt sei. Die Lippe ist etwa 220 km lang. Oberaden wäre etwa 100 km von Vetera entfernt).
Strabo VII, 1, 3: Brukterer und andere Stämme lebten in der Nähe des Ozeans: πρὸς δὲ τῷ ὠκεανῷ Σούγαμβροί τε καὶ Χαῦβοι καὶ Βρούκτεροι καὶ Κίμβροι Καῦκοί τε καὶ Καοῦλκοι καὶ Καμψιανοὶ καὶ ἄλλοι πλείους. Wenn man sich das so ansieht, dann ist Nähe offenbar relativ. Da werden die Sugambrer genannt, die am Niederrhein lebten, die Chauben( eine Variante der Chauken oder tatsächlich ein einzelner Stamm?), die Kauken und Kaulken (und die Kaulquappen
), die Kimbrer und die Kamfianen (Chamaver). Es ist wohl davon auszugehen, dass Strabo hier mehrere Quellen zusammenfügte und Kauken, Kaulken und Chauben als derselbe Stamm zu fassen sind in verschiedenen römischen Hör- und Schreibweisen desselben germanischen Stammes.
Vell. Pat.
hist. rom. II 105: nur Erwähnung, ohne Lokalisierung
Tac.
germ. 33: Sie lebten nördlich der Tenkterer (die direkt am Rhein lebten), sind aber jetzt - 98 n. Chr. - vernichtet. Ein halbes Jahrhundert später findet Claudios Ptolemaios die Brukterer in alten Schriften (wahrscheinlich Strabo) und verortet sie an der Küste (wohingegen Strabo nur "näher am Ozean" geschrieben hatte - πρὸς δὲ τῷ ὠκεανῷ - 'in Richtung des Ozeans').
Tac. ann. I, 51 besetzen die Brukterer gemeinsam mit Usipetern und Tubanten die Pässe der Mittelgebirge (also südlich der Ruhr), als Germanicus die Marser angreift.
Tac. ann. I, 60 wird Caecina durch das Brukterergebiet an die Ems geschickt, dort kommt man zusammen (
convenere)
Tac. ann. I, 60: man durchzieht das gesamte Brukterergebiet bis zu den letzten Brukterern, das Land zwischen Ems und Lippe verheerend, die Brukterer zünden selbst ihre Gehöfte an.
Tac. hist. IV, 21: Brukterer und Tenkterer schließen sich dem Bataveraufstand an
Tac. hist. IV, 61: der von Civilis gefangengesetzte Legat Munius Lupercus wird der Seherin Veleda vom Stamme der Brukterer mit anderen Geschenken zugesandt, wird aber unterwegs getötet.
Tac. hist. IV, 77: Brukterer und Tenkterer bilden bei der Schlachtaufstellung einer Schlacht an der Mosel den linken Flügel
Tac. hist V, 18: Brukter schwimmen nahe Vetera durch den Rhein (ziemlich unglaubwürdig)
Plinius nennt die Brukterer in seiner Germanenpassage nicht, allerdings ist diese unvollständig erhalten.
Tac. hist. V, 22: Das im Kölner Hafen gekaperte Flaggschiff (triremis praetoria) des Cerealis wird der Brukterin Veleda zum Geschenk gemacht. Dazu wird es die Lippe hochgezogen
Suet. Tib. 19: Tiberius entgeht knapp einem Mordanschlag durch einem Brukterer in seinem Lager.
Auf der arg verzehrten Tabula Peutingeriana sind die
Burcturi (sic!) südlich der
Franci jenseits des Rheins zwischen Köln und Trier angesiedelt. Das besagt allerdings nichts über ihre Siedlungsgebiete während der Zeitwende, zumal unklar ist, wie alte Informationen hier in die TP eingingen.
Es ergibt sich daraus: Die Fixpunkte der Brukterer sind rund um die Ems und zwischen Ems und Lippe zu suchen, ihr Operationsgebiet war natürlich wesentlich größer, vor allem rund ums Vierkaiserjahr.