Ohne, dass ich kunsthistorisch nur einen Hauch formaler Bildung hätte: Könnten sich, ähnlich wie beim idealen Teint - vornehme Blässe, die Schönheitsideale für Angehörige der Oberschicht inklusive Göttinnen von den standesgemäßen Idealen unterscheiden, die an die niedrigeren Gesellschaftsschichten angelegt wurden? Die Magd darf einen sehnigen, kräftigen Körper haben (und eine fertige (im Sinne von "reife") Frau sein, während die Dame gern dem Kindchenschema entsprechen soll und auch gerne ein paar müßigganggeschuldete Speckröllchen haben darf? Ggf. wäre das darüberhinaus auch eine Art Fruchtbarkeitssymbolik, die viele stramme Stammhalter, Stammhaltersvertreter und Heiratsmaterial verheißt?
Die Magd wäre dann eher Lustobjekt für den Hausherrn, das speckige Kindchen Potentialträgerin für's Dynastie- und Vernetzungsprojekt?
Das klingt sehr schlüssig, interessanter Gedanke. Der wäre mir gar nicht gekommen. Offenbar hatte ich unwillkürlich auf einen egalitäreren, moderneren Begriff eines Schönheitsideals abgestellt.
Also sollte ich mich eigentlich zurückhalten (früher hatten wir hier einen Smilie mit zugeklebtem Mund).
Immer frisch drauflos.
So viel Theorie habe ich im Kunstunterricht nie erlebt, unser Kunstunterricht war durch die Jahre eigentlich immer recht untheoretisch und ich hatte in meiner Schullaufbahn mindestens vier, ich meine fünf verschiedene Kunstlehrer.
Welches Bundesland? Bei uns in Bayern war der Unterricht so theorielastig, dass sich jedes händische Arbeiten fast wie eine Belohnung angefühlt hat.
Kindchenschema wäre mir neu und das sehe ich auch nicht unbedingt auf den beispielhaft angeführten Bildern.*
Vielleicht hätte ich den Begriff "kindlich" nicht einführen sollen, doch scheinen mir gewisse Gemeinsamkeiten jedenfalls augenfällig. Die Augen etwa sind immer recht groß, wie bei El Grecos
Maria Magdalena (und manchmal derart hervortretend, dass man an Schilddrüsenprobleme denkt).
Die Nasen sind meist klein oder jedenfalls sehr schmal; die Münder nicht breit, mit schmalen Lippen, und das Kinn eher spitz. Bei manchen Malern, z.B. Van Dyck, ist das mit den kleinen Mündern besonders ausgeprägt. Bei seiner
Caritas etwa ist der Mund gerade mal so breit wie die Nase.
Wie könnte man dieses Programm noch in Worte fassen?
De Brüste auf dem Bild von Bacon sind natürlich üppig, aber auch die Brüste auf den Bildern von Rubens sind ja nicht wirklich "klein", lediglich in der Relation zu anderen Körperstellen aber nicht an und für sich.
Also, auf die Gefahr hin zu sehr meinen "male gaze" zu bemühen – ich sehe da schon Unterschiede.
Nicht nur im Volumen, sondern auch in der Darstellung bzw. Symbolik. Ob nun eben bei Rubens' Oreithya oder bspw. auch Rembrandts
Bathseba, empfinde ich deutliche Anklänge an die Kunst der Antike (der, wenn ich mich recht erinnere, klein dargestellte Geschlechtsmerkmale als Chiffre für einen überwundenen Sexualtrieb galten) mit ihren fast wie auf Schuljungenkritzeleien kreisrunden, zierlichen, deutlich voneinander abstehenden Brüsten. Was
@Neddy geschrieben hat, scheint mir da sehr zutreffend, denn offenbar hatten die Künstler eher halbe Mädchen vor Augen als reifere Frauen.
So, hab jetzt mal drei meiner vier Kunst-, bzw. Barockbildbände gewälzt. Das mit den Pummelchen ist hauptsächlich Rubens - in den überwiegenden anderen Bildern sehen die Frauen ganz "normal" aus, will heißen, die Körperformen decken das Spektrum von schlank bis drall ab .
Merkwürdig.
Wie gesagt, ich bin kein großer Kunstkenner, aber wenn ich mich einfach bei Google Images durch die Barockkunst klicke, suche ich schlanke Frauengestalten vergebens. Gerade bei idealisierten (wie biblischen Szenen) bzw. Darstellungen offenkundig sozial höhergestellter Personen scheint mir Beleibtheit eigentlich eine Konstante zu sein. Sogar Diana, die leichtfüßige Göttin der Jagd, wird im Barock meist mit einer nicht eben jagdtauglichen Figur
dargestellt.
Übrigens malten auch die Malerinnen der Epoche ihre Frauen so (siehe z.B.
Artemisia Gentileschi).
(Was allerdings weit durchgängiger auffällt sind die Pferde: sehr stark bemuskelt (fleischig) mit sehr kleinem Kopf. Bei Rubens sind allerdings auch die männlichen Nackedeis pummelig-muskulös.
Mein innerfamiliärer Kunstsachverstandsträger sagt, dass für Rubens geistige Stärke körperliche Stärke vorausgesetzt habe, - vulgo: mens fetto in corpore fetto oder so (mein Jauchegrubenlatein). Das Eingangs erwähnte Schönheitsideal scheint in dieser Extremform also womöglich in erster Linie auf Rubens und seine SuS zurückzugehen. Bei einigen Franzosen im 18. Jh. klingt das noch durch, aber bei weitem nicht so sehr.
Demnach ginge dieser Trend erst auf Rubens zurück, meinst Du?
Was die Muskeln angeht, würde ich freilich nicht nur an Schönheitsideale denken, sondern auch an das Bestreben des Künstlers, seine Meisterschaft zu zeigen (was man meiner Meinung nach daran sieht, dass oft selbst unbedeutende Nebenfiguren sehr muskulös dargestellt sind).
Ich denke schon, dass beides zutrifft.
Den Eindruck habe ich auch, kann ihn aber nicht erhärten.
Ich habe versucht, anhand von Unterschieden zwischen der Darstellung fiktiver Personen und Portraitmalerei (die ja nur begrenzt idealisieren konnte, sollte sich der oder die Dargestellte nicht verhöhnt vorkommen) so etwas wie ein Gespür dafür zu entwickeln, ob das eine oder das andere zutrifft – aber das wird doch recht erschwert durch die Tatsache, dass sich auch hinter mancher Nymphe oder Göttin eine bestimmte reale Person verbirgt (z.B. die Geliebte des Malers).
[…] aber deren Körper waren schlank und oft in S-Form dargestellt.
Ja, schlank bis auf das Becken, das vielmehr hervortretend dargestellt wurde ("gebärfreudige" Konstitution). Was die weibliche Brust anlangt, geht es bis in die Frührenaissance hinein noch recht abenteuerlich zu. Beispielhaft sei die berühmte
Darstellung Agnès Sorels, der Geliebten Karls VII., als Maria mit dem Kinde genannt. Was der Künstler da produziert hat, versucht wohl an die Antike anzuknüpfen (s.o.), erinnert aber eher an eine missglückte Schönheitsoperation.
Und zweitens ist Barock nicht gleich Barock [.]
Zugegeben … das ist die Schwäche meiner Fragestellung. Zumal ja auch die Kunst im frühen 17. Jahrhundert eine andere ist als zur Jahrhundertmitte … und so weiter.
Unterschiede gibt es auch in der Malerei, und das nicht nur zwischen Ländern, sondern auch innerhalb eines Landes: Während die (katholischen) flämischen Maler (Rubens war einer von ihnen) gern nackte Frauen malten, taten das die (calvinistischen) nördlichen Holländer (Rembrandt war einer von ihnen) fast gar nicht: Da sind sie alle angezogen und von einer Üppigkeit der Körper ist da wenig bis gar nichts zu sehen.
Interessanter Gedanke, ich werde versuchen, darauf zu achten. Allerdings finden wir dicke Nackedeis auch bei Rembrandt, etwa seine
Andromeda oder
Danaë. (Vielleicht liegt es daran, dass sie "Heidinnen" waren.)
[…] Die heutige Vorstellung der 'Barock-Figur', der überfressenen vornehmen Dame, kann mehr oder weniger generell nur dem französischen Spätbarock zugeordnet werden. Rein psychologisch geht sie auf die Gestalt von knuddelig dicklichen Babys zurück, d.h. auf die Symbolik der Fettpölsterchen fürs Jung- und Unschuldigsein, eingeführt und verbreitet durch Putti-Figuren, im 16. Jh. auch durch die Bambocci-Figuren, die als Erwachsene mit Babyproportionen und Babyspeck quasi als die Kinder Gottes (Civitas Dei) gelten können.(die Bambocciade-Malerei kam erst danach) Im frühen 18. Jh. war es hauptsächlich die Unschuld als Ideal, die die Bevorzugung rundlicher Formen an Frauen bewirkte, popularisiert durch liebliche, bukolische Motive an Gemälden und Textilien. Am extremsten ist das Kindliche im Werk von François Boucher (1703–1770) auszumachen, der seine Schäferinnen (und auch die galanten Schäfer) manchmal schon fast comichaft darstellte (mit übergroßen Augen, kleinen Mündchen, etc.). Einleuchtend auch hier, dass große Brüste dem Ideal widersprochen hätten.
Danke! Demnach hat
@Neddy offenbar Recht. Ich hätte bei den betrachteten Künstlern wohl besser räumlich und zeitlich unterscheiden sollen.